Veranstaltungsbericht

Die staatliche Bekenntnisschule – Wie Nordrhein-Westfalen an einem Anachronismus festhält

Am Vorabend der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai hatte der im Februar neugegründete AK der säkularen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Düsseldorf am vergangenen Mittwoch in einer Kooperationsveranstaltung mit der Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB) und den Jusos zu seinem ersten Themenabend geladen.

Im Mittelpunkt des Abends standen die staatlichen Bekenntnisgrundschulen als NRW-Spezifikum. Diese anachronistische Schulform existiert – neben dem Kreis Oldenburg in Niedersachsen – flächendeckend tatsächlich nur noch im bevölkerungsreichsten Bundesland, wurde schon vor über 50 Jahren selbst in Baden-Württemberg (1967) und in Bayern (1968) abgeschafft.

In Nordrhein-Westfalen hingegen sind noch heute circa 30 Prozent aller Grundschulen konfessionell gebunden, 90 Prozent davon katholisch. Was jedoch kaum jemand weiß: Diese Schulen werden zu 100 Prozent staatlich finanziert – die Kirchen steuern keinen Cent zur Finanzierung bei. Allerdings müssen bis heute Rektor oder Rektorin dem Bekenntnis der Schule angehören, was bis 2015 sogar für Lehrkräfte galt.

Max Ehlers, Gründungsmitglied und Sprecher der landesweit tätigen Initiative Kurze Beine – Kurze Wege, die sich seit 2009 für eine Umwandlung der staatlichen Bekenntnisgrundschulen in öffentliche Gemeinschaftsschulen engagiert, referierte in einem informationssatten Vortrag über diesen "Spezialfall" des nordrhein-westfälischen Bildungssystems und über die mitunter bitteren Folgen für die betroffenen Kinder, Eltern und Lehrkräfte.

Für ihn, als Protestant aus Bayern, sei dieses NRW-Spezifikum zunächst ein "Mysterium" gewesen: In 39 Prozent aller Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen sind 50 Prozent aller Grundschulen Bekenntnisschulen. Während aber die Anzahl der getauften Kinder beider Konfessionen im Zeitraum von 20 Jahren deutlich zurückgegangen ist und die stärksten Veränderungen beim deutlich gestiegenen Anteil konfessionsfreier oder muslimischer Schülerinnen und Schülern zu konstatieren sind, bleibt die Zahl der Bekenntnisschulen seit Jahren relativ konstant.

Welche Auswirkungen hat diese Schulform?

Bei der Aufnahme an eine solche Schule werden in der Regel entsprechend getaufte Kinder bevorzugt. Alle anderen können aufgrund ihrer Konfessionszugehörigkeit oder -freiheit abgelehnt werden, wenn es mehr Anmeldungen als Plätze gibt.

Konkret bedeutet dies häufig einen wesentlich längeren, kaum zumutbaren Schulweg für einzelne Schüler, die dann eben nicht einfach die nächstgelegene Grundschule besuchen können. Darüber hinaus werden so oftmals bereits in einem sehr jungen Alter Freundschaften unter Nachbarskindern entzweit.

Illustration zum Thema von der Website der überkonfessionellen Initiative Kurze Beine – Kurze Wege.

Besonderes Erstaunen rief die Aussage des Vortragenden hervor, dass viele Eltern ihre bis dato konfessionsfreien Kinder gar taufen beziehungsweise anders getaufte "umtaufen" ließen, damit diese – nunmehr mit dem "richtigen" Bekenntnis – an der nächstgelegenen Schule angenommen werden.

Dies geschehe, so Ehlers, völlig losgelöst vom persönlichen Glauben und der individuellen Überzeugung der Betroffenen bei einer bemerkenswerten Bereitwilligkeit der Pfarrer und katholischen Priester, hier tätig zu werden. Diese würden zum einen natürlich eine "Notsituation" erkennen und helfen wollen, zum anderen aber wohl auch gerne neue Schäfchen und zukünftige Steuerzahler rekrutieren.

Selbst Lehrkräfte ließen sich immer wieder taufen, um entsprechende RektorInnenstellen antreten zu können, so der Referent weiter. Mitunter bleiben diese Stellen jedoch auch unbesetzt, wenn sich niemand mit der "passenden" Konfession findet.

Ein weiterer gravierender Effekt dieser Schulform sei oftmals eine signifikant unterschiedliche soziale Zusammensetzung verschiedener Schulen und damit verbunden auch unterschiedliche Bildungschancen.

Dabei seien diese staatlichen Bekenntnisschulen keineswegs "Bekenntnis-homogen", denn "andersgläubige" Kinder werden nur dann abgelehnt, wenn schon alle Plätze mit Kindern belegt sind, die der Konfession der Schule angehören: Es gebe Fälle, führte der Referent aus, bei denen an evangelischen Grundschulen mehr Kinder muslimisch seien als evangelisch. In Bonn – der Keimzelle der überkonfessionellen Initiative – bilden jene Bekenntnisgrundschulen, an denen mehr als 50 Prozent der Kinder dem Bekenntnis der Schule angehören, eher die Ausnahme als die Regel.

Wie sieht die Rechtslage aus?

Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes besagt: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Steht dies nicht im Widerspruch zur in NRW gängigen Praxis? Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in Münster hat noch im letzten Jahr entschieden: "Der landesverfassungsrechtliche Vorrang formell bekenntnisangehöriger Kinder beim Zugang zu Bekenntnisschulen ist mit dem Verbot der Benachteiligung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauungen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar."

Diese Form der Diskriminierung aus religiösen Gründen ist in NRW folglich rechtens, da Bekenntnisgrundschulen Verfassungsrang haben und in der nordrhein-westfälischen Landesverfassung ausformuliert sind, so der Referent.

Was tun?

Auf der Website der Initiative heißt es dazu:

"In Nordrhein-Westfalen haben Eltern die Möglichkeit, die Schulart der Grundschule ihrer Kinder zu ändern. Im ersten Schritt müssen 10 % der abstimmungsberechtigten Eltern bis zum 1. Februar eines Jahres einen Antrag auf Einleitung des Verfahrens an das Schulamt ihrer Grundschule stellen. Im zweiten Schritt, der vom Schulamt organisiert wird, folgt das Abstimmungsverfahren. Das Schulamt veröffentlicht mit einer zweiwöchigen Vorlaufzeit den Termin der Abstimmung über die Schulartänderung, die per Briefwahl oder an drei aufeinander folgenden Tagen in einem öffentlichen Gebäude (meist der Grundschule) erfolgt. Für jedes Kind an der Schule haben die Eltern gemeinsam eine Stimme. Am Ende der drei Tage erfolgt die Auszählung unter Aufsicht des Schulamts. Für eine erfolgreiche Umwandlung müssen mehr als 50 % der abstimmungsberechtigten Eltern für die Schulartänderung votieren."

Dass dies ein mitunter mühsamer und beschwerlicher Weg ist, der aber auch immer wieder erfolgreich beschritten wird, beschrieben die anwesenden Aktivist*innen der Initiative eindrucksvoll. Den nochmaligen Weg über Karlsruhe bewertete der Referent als relativ aussichtslos, wenn auch nicht unmöglich.

Illustration zum Thema von der Website der überkonfessionellen Initiative Kurze Beine – Kurze Wege.

Das Desiderat ist und bleibt folglich eine politische Zweidrittel-Mehrheit im künftigen Landesparlament von NRW, die dieser Schulform eine Absage erteilt. Der Referent verwies in diesem Zusammenhang auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 2016 mit dem Titel "Gleich und gleich gesellt sich gern". Erschwerend habe sich, so die Bertelsmann-Studie, seit dem Schuljahr 2008/2009 die Aufhebung der verbindlichen Grundschulbezirke in Nordrhein-Westfalen ausgewirkt.

Man hatte sich durch die Aufhebung erhofft, den Eltern "mehr Wahlmöglichkeiten bieten zu können und die Grundschulen durch die verstärkte Konkurrenz um Schülerzahlen zu einer Qualitätsverbesserung zu animieren". Doch die Untersuchung macht deutlich, dass die Aufhebung der verbindlichen Grundschulbezirke eher noch zu einer weiteren Verschärfung der Schulsegregation geführt hat:

"Die freie Grundschulwahl der Eltern beeinflusst nicht nur die Schülerzahlen an den Grundschulen, sondern wirkt sich auch auf die Zusammensetzung der Schülerschaften und damit auf die Schulsegregation aus. Die soziale und ethnische Schulsegregation war bereits zu Zeiten der Grundschulbezirksbindungen über die sozialräumliche
Segregation der Wohnquartiere stark ausgeprägt. Durch die Einführung der freien Grundschulwahl nimmt sie weiter zu". (S. 43)

Fazit: Das Nebeneinander von Gemeinschafts- und Bekenntnischulen behindert Integration und fördert soziale und ethnische Schulsegregation.

Welche Position vertreten die Parteien in NRW zu den staatlichen Bekenntnisschulen?

Ein abschließender Blick auf die Wahlprüfsteine der Initiative und die Antworten der angefragten Parteien offenbarte, dass die Problematik der staatlichen Bekenntnisschulen mit allen negativen Konsequenzen für die Betroffenen nur teilweise seitens der Politik erkannt und aufgegriffen wird.

Man darf also gespannt sein, ob und wie sich die säkularen – und am Wohle der Menschen orientierten – Kräfte bei und nach der anstehenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen durchsetzen.

Gerade mit Blick auf die von ihren Wurzeln her säkulare Sozialdemokratie und ihre traditionelle Forderung nach einer weltlichen Schule bleiben die Erwartungen hoch!

Weiterführende Informationen zu Zahlen und Statistiken rund um die Bekenntnisgrundschulen in NRW auf der Website der Initiative Kurze Beine – Kurze Wege.

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