Notizen aus Polen

Geschichte wird im Juni gemacht

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WARSCHAU. (hpd) Im Juni werden drei wichtige Ereignisse der polnischen Geschichte gefeiert. In diesem Jahr gab es zwei runde Gedenktage – bei denen sich zeigte, wer die Macht in Polen tatsächlich hat: die Bischöfe der katholischen Kirche.

Am 28. Juni 1956 brach im größten Betrieb in Posen, in den Metallwerken "H. Cegielski", ein Streik aus. Hauptursache dafür waren die bereits lang andauernden Streitigkeiten der Belegschaft mit der Direktion um die Löhne für die Akkordarbeiter. Nachdem der damalige Maschinenbauminister zuerst den Vertretern der Arbeiter zustimmte, aber dann auf Befehl des Zentralkomitees der regierenden kommunistischen Partei sein Zugeständnis zurückzog, gingen die Arbeiter auf die Straßen. Der Demonstration schlossen sich dann zahlreiche Bürger an und die Forderungen gingen weit über die Löhne hinaus. Insgesamt über 100.000 Menschen haben im Juni 1956 ihre Unzufriedenheit manifestiert. Die Behörden haben gegen die Protestierenden 10.000 Soldaten und zahlreiche Panzer geschickt. Der Protest wurde niedergeschossen und 57 Menschen kamen dabei ums Leben.

Die in den 70-Jahren des vorigen Jahrhunderts vom Parteichef, Edward Gierek, verordneten "Großen Investitionen" haben zu einem starken wirtschaftlichen Ungleichgewicht geführt. Die mangelnde Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und die steigende Inflation haben die Parteiführung veranlasst, deren Preise drastisch – bis um 70 Prozent – zu erhöhen. Am 24. Juni 1976 sprach der damaliger Premierminister, Piotr Jaroszewicz, darüber im Radio und im Fernsehen. Am nächsten Tag brachen in 97 Fabriken Streiks aus, darunter auch in Großbetrieben in Ursus, Radom und Płock. Wie vor 20 Jahren in Posen schlossen sich den demonstrierenden Arbeitern zahlreiche Bürger an. In Ursus wurden die Eisenbahnschienen demontiert und Züge gestoppt. In Radom wurden Läden demoliert und der Sitz der örtlichen Behörden der kommunistischen Partei in Brand gesteckt. Obwohl insgesamt 112 Betriebe in ganz Polen gestreikt hatten: die größten Repressionen haben die Arbeiter von Ursus, Radom und Płock getroffen. Viele wurden entlassen oder verhaftet.

Am 23. September 1976 entstand das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), das die Rechts- und Finanzhilfe für die inhaftierten Arbeitern und ihrer Familien leistete. KOR hat erweiterte dann schnell sein Programm und gab illegale Presse heraus und führte zahlreiche oppositionelle Aktivitäten durch. Das im November 2015 entstandene "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) knüpft eindeutig das Vorbild der KOR an.

Im Juni 2016 jährt sich der "Juni 1956" von Posen zum 60. mal und der "Juni 1976" in Ursus, Radom und Płock zum 40. mal. Ein wichtiges Datum, um die damaligen Helden zu ehren und an sie zu erinnern.

Doch schon bei der Vorbereitung der Feierlichkeiten in Posen ist es zum Streit zwischen Stadtbehörden und dem Verteidigungsminister, Macierewicz, gekommen. Das Rathaus bat den Minister um die Ehrenassistenz der Militärs bei den Feierlichkeiten. Der Minister sagte zu, forderte aber, auch an die Opfer der Flugzeugkatastrophe bei Smoleńsk zu erinnern. Die Stadt und die noch lebenden Veteranen fragten daraufhin, was diese Katastrophe mit den Streiks im Jahre 1956 zu tun habe? Letztens Ende hat der Minister seine Rede auf einer Bühne, auf der zahlreiche Priester und Bischöfe in Prunkgewand saßen, gehalten. Der Posener Bürgermeister, die Ehrengäste (unter anderem der ehemalige Staatspräsident, Bronisław Komorowski) und die Bürger der Stadt marschierten dagegen durch die Straßen bis zum Denkmal der Opfer des Juni 1956. Mitveranstalter des Marsches war Komitee zur Verteidigung der Demokratie, KOD.

Die Hauptfeierlichkeiten für den "Juni 1976" fanden in Radom statt. Durch die Straßen der Stadt sind drei Märsche gezogen. Zuerst demonstrierten die Neofaschisten der ONR ("Nationalradikales Lager") und die Rechtsradikale "Młodzież Wszechpolska" (Allpolnische Jugend). Sie haben ihre üblichen Parolen skandiert, wie "an den Bäumen werden anstatt Laub die Kommunisten hängen".
Eine Stunde später startete vor den Toren des damals streikenden Großbetriebs "Zakłady Metalowe" der vom KOD organisierte Marsch. Seine Parole war: "Radom, Hauptstadt der Freiheit". Unter den Teilnehmern waren auch der Ex-Präsident, Bronisław Komorowski und die damaligen Mitglieder und Aktivisten von KOR.

Hauptevent der dritten Veranstaltung in Radom war die heilige Messe in Anwesenheit von Präsident Andrzej Duda und Premierministerin Beata Szydło. Bemerkenswert waren die Worte des Predigers, Bischofs von Płock, Piotr Libera: "Ist es ein Mangel, die Lebensweise des Westens nicht nachzuäffen? Auf welche historische Notwendigkeit kann sich die linksradikale Multi-Kulti-Politik stützen, für die alle Kulturen gleich wichtig sind, aber nicht diese, in der wir aufgewachsen sind, die des Christus, des Christentums. In den letzten Wochen und Tagen beobachten wir, wie die sogenannten 'modernen Demokraten' sich hier im Lande und im Westen über Polen panisch erschrocken gezeigt haben."

Die Juni-Feierlichkeiten zeigen noch mal, dass Polen tief gespaltet ist. Das ist sehr traurig, aber leider keine Neuigkeit mehr.
Doch wo die wahre Macht beheimatet ist, war im "Juni 2016" zum ersten Mal so deutlich öffentlich zu sehen und zu hören: Nicht der Präsident, nicht die Regierung, aber auch nicht die PiS-Zentrale, bestimmen über die Gegenwart und die Zukunft Polens. Es sind die Bischöfe!

Zur Gegenwart gehören auch die Neofaschisten der ONR, die ungestört und unter polizeilichen Schutz durch polnischen Städte marschieren; denen vor einigen Wochen in der Kathedrale von Białystok eine heilige Messe gewidmet wurde und die von Schuldirektoren eingeladen werden um den Schülern etwas über die "neuen Helden", die sogenannten "Verdammten Soldaten", zu erzählen.

Screenshot oben aus einem Video über die Veranstaltungen in Radom.