Hamburg

Die zwei Gesichter des "Religionsunterrichts für alle"

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Ende April erreichte in Hamburg eine Jubelmeldung zum Religionsunterricht die Öffentlichkeit. Schulsenator Rabe reagierte entzückt mit "religiös betrachtet ein Erdbeben" und ließ gleich vor der katholischen Akademie ein Video drehen für die Schüler*innen der Stadt. Was war geschehen? Der Hamburger Erzbischof Heße hatte bekannt gemacht, dass auch die katholische Kirche nun dem religionenpluralen Hamburger Modell beitritt. Damit haben jetzt die evangelische Kirche, drei muslimische Verbände, die alevitische Gemeinde, die jüdische Gemeinde und die katholische Kirche in Hamburg auf ihr Recht verzichtet, nach Artikel 7 (3) GG einen eigenen Religionsunterricht in der Schule anzubieten. Spannend dabei ist, dass auch das unterrichtende Personal multikonfessionell sein wird. Evangelische, katholische, muslimische, alevitische und jüdische Religionslehrer*innen werden diesen Unterricht in den Schulen auf der Grundlage gemeinsamer Lehrpläne gemeinsam erteilen. Kirchliches Personal ist in Hamburgs staatlichen Schulen unbekannt.

Wobei die evangelische Kirche jüngst von ihrer Forderung, nun endlich (wieder) eine förmliche Beauftragung durch die Kirche (Vocatio) einzuführen, abrücken musste. Jahrzehntelang war diese Vocatio nur theoretisch notwendig, erfragt wurde sie in den Schulen nie, aktenkundig gemacht auch nicht – außer dass bei grundständig studierten Religionslehrer*innen die Examensbescheinigung in den Personalakten liegt. Ob zwischenzeitlich ein Kirchenaustritt erfolgte und damit (eigentlich) die Vocatio automatisch erlöscht, wurde nicht festgehalten.

Dies änderte sich mit dem neuen Konzept, denn die muslimischen, alevitischen Religionslehrer*innen müssen sich ja irgendwie legitimieren, also eine Idschaza "ihrer" Religionsgemeinschaft vorlegen. Das musste ja nun auch für die anderen Kollegen gelten. Guter Rat ist teuer. Die dringliche Bitte an das bisherige Personal, eine Vocatio bei der Kirche zu beantragen, fiel in den Schulen auf taube Ohren. Genauso wie der gesamten Stadtgesellschaft ergeht es wohl auch dem Schulpersonal.

Die Austrittswelle rollt. In Hamburg sind nur noch 24 Prozent der Bürger*innen Angehörige der evangelischen Kirche, 10 Prozent der katholischen, bei den Muslimen und Aleviten schätzt man zwischen 5 Prozent und 8 Prozent, letztere führen bekanntlich keine Mitgliederlisten. Die klare Mehrheit der Stadtgesellschaft in Hamburg ist konfessionsfrei. Damit der nach wie vor überwiegend von der evangelischen Seite getragene "Religionsunterricht für alle" (RUfa) nicht mangels Personal zusammenbricht, ließ die Nordkirche die Schulbehörde verkünden, dass sogenannte "Altfälle", also Lehrer*innen, die vor 2018 bereits Religion unterrichteten, auch ohne Kirchenmitgliedschaft dieses Recht behielten. Ob jetzt ein Vocations-Dokument "konfessionsfrei" in die Personalakten kommt, ist noch unbekannt.

Diese Entwicklung sehe ich wie viele andere positiv. Während in vielen Bundesländern das Trennende in den vielen verschiedenen konfessionellen Religionsunterrichten Maßstab ist, soll in Hamburg das Gemeinsame betont werden. Die gerade zur Erprobung vorgelegten neuen Bildungspläne für Religion sehen vor, dass Schüler*innen neben gemeinsamen Themen sich auch zur Vertiefung mit drei Religionen ihrer Wahl beschäftigen müssen. Da sind dann, oh Wunder, sogar der Buddhismus, der Hinduismus und weitere im Angebot. Erwähnt wird in den Bildungsplänen sogar, dass es Menschen gibt, die religionsfern, gar atheistisch eingestellt sind. Schüler*innen, die neugierig geworden sind, wird hier naheliegenderweise kein Angebot zur Vertiefung gemacht. Ob diese neuen Bildungspläne allerdings bei den Schüler*innen verfangen, bleibt abzuwarten. Ab der Klasse 7 haben die religionsmündigen Schüler*innen das Recht, anstelle eines RUfa auch den alternativen Philosophie-Unterricht zu wählen, und das seit Jahrzehnten. So machen es seit Jahren laut Auskunft der Bildungsbehörde circa die Hälfte aller Schüler*innen. Sie ziehen Philosophie dem Religionsunterricht vor, der ja nach Artikel 7 (3) GG immer ein Bekenntnisunterricht ist ("in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften") und sei er auch noch so liberal in der konkreten unterrichtlichen Handhabung. Das ist das eine Gesicht, das eher positive.

Kommt das andere, das problematische Gesicht. Vom Konzept vergleichbar – altersgemäß auf die Jahrgänge 1 bis 6 zugeschnitten – wird aber eine ganz andere Zielgruppe angesprochen. Hier steht "für alle" nämlich für die gesamte Klasse. Die Elternschaft einer Grundschul- beziehungsweise Beobachtungsstufenklasse erhält kein Alternativangebot. Hier sollen alle Kinder gemeinsam in den RUfa gehen. Unterhalb der Religionsmündigkeit ihrer Kinder entscheiden nämlich die Eltern über deren Teilnahme am RUfa. Begründet wird dies pädagogisch raffiniert mit dem Argument, dass Kinder ja die Vielfalt der Religionen und Weltdeutungen kennen lernen sollten. Und dies gehe eben am besten gemeinsam. Und obendrein passe zum Beispiel in der Grundschule die gemeinsame Klassenratsstunde in dieses Fach. Und überdies werde der Unterricht noch nicht so fachspezifisch aufgeteilt wie später. Die Bildungsbehörde selbst stellt den Charakter dieses Unterrichts nicht dar. Man überlässt es ausdrücklich den Schulen, Eltern über ihr grundgesetzliches Recht auf Nicht-Teilnahme zu informieren.

Der Grundschulbroschüre der Stadt kann man auf Seite 20 die ausschließlich religionenbezogene Tendenz dieses Unterrichts entnehmen. Von Freiwilligkeit der Teilnahme: Kein Wort. Da findet sich das negative, manipulative Gesicht dieses RUfa.

Eltern, die auf dem Elternabend nach Schuljahresbeginn ihr Recht auf Nicht-Teilnahme reklamieren, müssen damit rechnen, dass ihr Kind mangels Alternativangebot dann in der Pausenhalle zur Stillbeschäftigung geparkt wird, bestenfalls in den Gruppenraum der Nachbarklasse geschickt. Beispiele dafür gibt es Hamburg genug. Das ist die formale Seite. Die inhaltliche Seite dieses gemeinsamen Unterrichts in den Klassen 1 bis 6 ist genauso desaströs. Auch hier wird den Schüler*innen das Angebot einer Beschäftigung mit verschiedenen Religionen "neben der eigenen" gemacht. Säkular und religionsfern aufwachsende Kinder erhalten kein Angebot, mit dem sie sich identifizieren können. Im Koalitionsvertrag der rot-grünen Landesregierung steht auf Seite 155: "Der Religionsunterricht wird so gestaltet, dass Kinder und Jugendliche aller Glaubensrichtungen und auch solche, die dezidiert keiner Religion angehören, ansprechende und alle berücksichtigende identitätsstiftende Bildungsangebote bekommen und miteinander ins Gespräch kommen."

Nun gibt es gute pädagogisch sinnvolle Argumente für einen gemeinsamen Unterricht. Die Hamburger GEW hat dies in einem Beschluss ihres Gewerkschaftstages ausdrücklich festgehalten. Der müsste dann aber religionskundlichen Charakter haben, wogegen die Religionsgemeinschaften entschiedenen Widerstand leisten. Denn hier ist der letzte Ort einer sich immer weiter von Konfessionen befreienden Welt, an dem sie noch alle Kinder gemeinsam erreichen. Das Säkulare Forum Hamburg e. V. arbeitet an einer Alternative zu den vorgelegten Bildungsplänen Religion, indem sie neben den religiösen Weltdeutungen auch säkulare Weltdeutungen einfügt und fordert, dass die nach Grundgesetz den Religionsgemeinschaften gleichgestellten Weltanschauungsgemeinschaften mit von ihnen beauftragten Lehrer*innen Zugang zu diesem Unterricht erhalten und authentisch eine säkulare Weltdeutung präsentieren können.

Wie so vieles in der Schule hängt es an den Eltern. Bislang haben sie in den Klassen 1 bis 6 stillgehalten. Die Abmeldequote vom Religionsunterricht "für alle" ist gering. Sei es, dass sie Furcht vor Diskriminierung ihrer Kinder haben, die den schönen RUfa verlassen müssen, womöglich erst nach Schuljahresbeginn, wenn die Sitzordnung schon geklärt ist. Sei es, dass sie Gespräche mit der Schulleitung fürchten, etwa: "Wollen Sie ihr Kind wirklich vom gemeinsamen Unterricht abmelden?" (das Verfahren ist in Hamburg nicht unbekannt). Sei es, dass sie den Eindruck haben, dass die Lehrer*innen den Unterricht schon ganz liberal und ohne religiösen Überwältigungsdruck handhaben und das gemeinsame Adventfeiern auch was Schönes sei. Sei es dass sie ein Alternativfach in den Klassen 1 bis 6 vermissen, das die Landesregierung partout nicht anbieten will.

Allerdings geht die Diskussion in Hamburg jetzt richtig los. Übrigens auch in den Regierungsparteien, bei denen es bereits erkennbar "Klärungsbedarf" bei den vorgelegten Bildungsplänen Religion gibt. Wir können gespannt sein.

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