Die Angst der politischen Führung, das eigene Amt bei der nächsten Wahl zu verlieren, ist ein starker Anreiz, Wählerinnen und Wähler zufriedenzustellen. Vor allem wenn die möglichen Nachfolger einer populistischen Partei angehören, zeigen sich die Regierenden zu politischen Kurswechseln bereit. Die Drohung von Wechselwählern, künftig für Populisten zu stimmen, wirkt sich gravierend aus. Das sind Ergebnisse aus dem Diskussionspapier "Shaking Up the System: When Populism Disciplines Elite Politicians" vom EPoS Economic Research Center der Universitäten Bonn und Mannheim.
Im Unterschied zu Managern in der Wirtschaft erhalten Politikerinnen und Politiker im Laufe der Legislaturperiode keine Boni für gute Leistungen. Welche Anreize treiben die Regierung dennoch an, das Wahlvolk zufriedenzustellen? "Politiker von etablierten Parteien wollen nicht abgewählt werden – am wenigsten von Populisten. Wir zeigen mit unserem Forschungsmodell, wie wirksam die Drohung mit der 'populistischen Keule' durch Wechselwähler ist", sagt Nicolas Bonneton vom EPoS Economic Research Center.
Wechselwähler kennen Defizite von Populisten
Rationale Wähler nutzen die Option einer Populistenwahl, obwohl sie mögliche Kompetenzdefizite regierungsunerfahrener Populisten kennen. Diese Nachteile werden quasi wie in einer Kosten-Nutzen-Abwägung mit eingepreist. Die etablierten Politikerinnen und Politiker trifft die "Bestrafung" durch diese Wähler besonders hart. Im Ergebnis führt das Drohverhalten der Wechselwähler im Modell dazu, dass die Politik sich eher an den Wünschen der breiten Wählerschaft orientiert als an ideologisch begründeten Zielen festzuhalten.
Populistische Keule in Deutschland
"Kurz- bis mittelfristig gesehen ist dieser Populismusdruck von unzufriedenen Wechselwählern in Deutschland eher eine Ermahnung – das gilt vor allem im internationalen Vergleich", sagen die Forscher. "Die Wahrscheinlichkeit, hierzulande etablierte Parteien abzuwählen und durch Populisten zu ersetzen, ist relativ gering. Das verhindert in erster Linie die im Grundgesetz angelegte Möglichkeit, wechselnde Koalitionen einzugehen. So werden populistische Parteien trotz größerer Stimmenanteile von der Regierungsverantwortung ferngehalten. Die Folge: Wir sehen kaum Kursanpassungen bei den Themen 'Einwanderung' und 'Kernkraft', also bei Themen, die viele Wähler laut repräsentativer Bevölkerungsumfragen anders bewerten als die Regierung."
Einwanderungspolitik in Dänemark
Anders ist die Situation beispielsweise in Dänemark. Hier folgt die Sozialdemokratische Partei seit Jahren dem breiten Stimmungsumschwung in der Bevölkerung und fährt einen restriktiven Kurs in der Immigrationspolitik. "Das Beispiel Dänemark zeigt, wie die Bedrohung, durch eine rechtspopulistische Partei abgelöst zu werden, die Politik einer etablierten Partei beeinflussen kann", sagen die Autoren. Auch in Deutschland sei die Drohung von Wechselwählern mit der populistischen roten Karte auf längere Sicht nicht unwirksam, wenn die Unzufriedenheit mit dem Kurs der Regierungsparteien entsprechend stark anwachsen sollte.
Das Modell
In der Forschungsarbeit des EPoS Economic Research Center werden die Anreize von Politikern und Wählern in einem formalen Gleichgewichtsmodell mit rationalen Wählern untersucht. Der Fokus liegt auf den Bedingungen, unter denen eine Wahlstrategie, die möglicherweise eine populistische Partei favorisiert, für die Wähler optimal ist. Untersucht wurde das Verhalten von Wechselwählern im Unterschied zu überzeugten Anhängern einer Partei. Das Modell erklärt somit sowohl die starke Zu- als auch wieder Abnahme der Unterstützung von populistischen Parteien.
Das vorgestellte Diskussionspapier ist eine Publikation des Sonderforschungsbereichs (SFB) "Transregio 224 EPoS". Die vollständige Studie finden Sie hier. Eine Liste aller Diskussionspapiere des SFB finden Sie hier.
Die Autoren
Emmanuelle Auriol, Professorin für Volkswirtschaftslehre, Toulouse School of Economics
Nicolas Bonneton, Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre, Universität Mannheim und Mitglied des EPoS Economic Research Center
Prof. Mattias Polborn, Professor of Economics and Political Science, Vanderbilt University
Der Sonderforschungsbereich "Transregio 224 EPoS"
Der 2018 eingerichtete Sonderforschungsbereich "Transregio 224 EPoS", eine Kooperation der Universität Bonn und der Universität Mannheim, ist eine langfristig angelegte Forschungseinrichtung, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. EPoS befasst sich mit drei zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen: Wie kann Chancengleichheit gefördert werden? Wie können Märkte angesichts der Internationalisierung und Digitalisierung der Wirtschaftstätigkeit reguliert werden? Und wie kann die Stabilität des Finanzsystems gesichert werden?