Das schöpferische Eigenleben der Natur

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Projektion von Marcel Broodthaers / Alle Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Bedeutet eine investigative Ausstellung über den Animismus eine Abkehr von der Moderne? Mit ihrem Siegeszug gingen Kolonialismus und Kapitalismus einher, so die Prämisse einer jetzt eröffneten Schau im Haus der Kulturen der Welt.

Wir müssen den Animismus neu betrachten, wenn wir den jüngsten Entwicklungen der Welt mit Skepsis gegenüberstehen und Alternativen denken wollen - soweit das Anliegen des Kurators, Anselm Franke.

Es geht Anselm Franke mit dem Projekt nicht um eine Rückkehr in die Vergangenheit. Eher um eine visuelle Untersuchung der Beziehungen von Natur und Kultur, von Subjekt und Objekt und die wechselseitigen Projektionen von Außen- und Innenräumen, um die Verletzlichkeit von Natur, die Möglichkeit, sie als Rechtssubjekt zu denken, und um den Weg vom Tier zum Menschen.

Um 1970 malte ein unbekannter äthiopischer Maler eine „Versammlung der Tiere“. Das Ölbild wird heute im Tropenmuseum von Amsterdam verwahrt. Es zeigt Zebra, Löwe und Giraffe wie auf einer Ratssitzung, aufrecht zu Tische sitzend, einer Lesung lauschend, alle noch einer gemeinsamen Sprache kundig, darunter, auf einer kleineren Bildfläche, den Krieg der Tiere - aller gegen alle - den Zustand, nachdem die gemeinsame Sprache verloren ging.

1968 schuf Marcel Broodthaers eine Installation mit Projektionen von Diapositiven nach Karikaturen J. J. Grandvilles, denen er Aufnahmen der Pariser Studentenrevolte gegenüberstellte. Die Grenze zwischen Tier und Mensch wurde von Grandville, einem der gesellschaftskritischsten Künstler seiner Zeit, noch im 19. Jahrhundert mitten in Europa aufgehoben. Als Albtraum einer vermenschlichten Natur allerdings. So oder so, es bleibt die gemeinsame Sprache ein Kriterium und Bedingung der Möglichkeit, sein Werk zu verstehen.

Wohl nicht zufällig stammen eine Reihe der bemerkenswertesten Exponate der Ausstellung aus der Zeit der aufrührerischen sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ende der Sechziger ermutigten die Anthropologen Sol Worth und John Adair in den USA Navajo-Indianer, Filme über ihre Kultur zu drehen. Einer  davon, „Furchtlose Schatten“, ist nun in Berlin zu sehen. In ihm atmet die Natur. Ihre Sprache: die Struktur von Gräsern und Ästen, darin Schritte eines Menschen, brettartige Masken. Als Silhouetten tanzen sie vor dem Himmel. Eine Felge rollt über den Boden. Was sie ins Rollen brachte, wohin sie rollt, wir wissen es nicht. Der Einbruch der Moderne?

Yayoi Kusama drehte in jenen Jahren den Film einer Performance, in der sie, halb im Wasser stehend, über eine auf der Oberfläche eines seerosenbewachsenen Teiches treibende Leinwand rote Tupfer verteilt, die sich darauf zu blattartigen Massen im Wasser auflösen. Bald tröpfelt sie direkt Farbe aufs Wasser, dann wieder treibt Tang über die nun dicht unter der Wasseroberfläche schwimmenden Bilder. Schließlich setzt die Künstlerin Markierungen mit Chiffren von Gesichtern auf die schrundige Rinde eines alten Baumes, später solche mit Schriftzeichen. Sie markiert menschliche Körper mit Ahornblättern, die dann selbst im Unterholz eines Waldes verschwinden. Die Natur arbeitet mit an dem Kunstwerk.

Von dem neuseeländischen Künstler Len Lye ist ein kurzer Film zu sehen, in dem Zellen sich zu teilen scheinen, immer neue Formationen bilden, Ableger, Verzweigungen, Rhizome. Handelt es sich um Nervenzellen? Blicken wir tief ins Innerste des Menschen oder auf die Anfänge der Natur?

Jean Painlevés Film über das Liebesleben der Tintenfische inszeniert ähnliche Inbesitznahmen von Raumsituationen, Verschränkungen wie Objektivierungen von Nervenprozessen. Nur sehen wir hier tatsächlich eindeutig verschlungene Tintenfischarme, die sich ihren Weg durchs Meer ertasten.

Von der Künstlergruppe Agentur, von Kobe Matthys in Belgien gegründet, stammt eine Installation, in der es um einen Rechtsstreit geht, der sich wirklich ereignet hat. Ein Plastinator hat die nackten Dermoplastiken noch ohne Haut und Haare zur Vervielfältigung patentieren lassen wollen. In der schließlich von Richtern zu klärenden Grundsatzfrage ging es darum, ob Tiere überhaupt Gegenstand des Patentrechts sein könnten. Die Installation zeigt die sich windenden hautlosen Wesen in ihrer schrecklichen Schönheit wie in schmerzhafter Aufruhr begriffen, vor einer Wand von Schubladen, wie sie zum Magazin jedes Museums gehören. Dazu Fotos von Artenvariationen undefiniert bleibender Meerestiere sowie Kunststofftieren, offenbar Kinderspielzeug. Unklar bleibt und soll bleiben, wo die Grenze zwischen Natur und menschengemachten Objekt verläuft. Wo der Mensch anfängt, etwas zu machen, zu erfinden.