KARLSRUHE. (hu/hpd) Ex-Bundesverfassungsrichter mahnt sorgsameren Umgang mit Grundrechten an. Hassemer lobt anlässlich der Vorstellung des neuen Grundrechte-Reports das gestiegene Bewusstsein für Datenschutz. Zugleich fordert er ein striktes Verbot der Verwertung von Folter-Aussagen.
Der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Winfried Hassemer, der von 1991 bis 1996 auch hessischer Datenschutzbeauftragter war, hat zu einem sorgsameren Umgang mit den Grundrechten aufgerufen.
Anlässlich der Vorstellung des Grundrechte-Reports 2009 am Montag in Karlsruhe sagte er: "Wir beobachten in Gesetzgebung und Verwaltung einen allgemeinen Trend hin zu mehr Sicherheit und Prävention, der häufig zu Lasten der klassischen bürgerlichen Freiheiten geht." Als Beispiel nannte er die zunehmende Beschränkung der Demonstrationsfreiheit durch immer strengere Versammlungsgesetze.
Kurz vor dem 60. Jubiläum des Grundgesetzes am 23.5.2009 zog Hassemer ein kritisches, aber auch positives Fazit der deutschen Verfassungswirklichkeit. "Insbesondere im Bereich des Datenschutzes erleben wir, dass ein schon fast tot geglaubtes Grundrecht neu an Bedeutung gewinnt, weil die Bürger durch die Überwachungsskandale in großen Unternehmen aufgeschreckt werden".
Klar wandte sich der emeritierte Professor für Strafrecht an der Universität Frankfurt gegen Tendenzen, zum Zweck der Verfolgung oder Verhütung von Terroranschlägen das Folterverbot des Grundgesetzes aufzuweichen.
"Vor vergifteten Beweismitteln dürfen wir nicht die Augen verschließen. Wenn es belastbare Anzeichen gibt, dass Zeugenaussagen in ausländischen Gefängnissen unter Folter erzwungen wurden, dann muss ihre Verwendung sowohl deutschen Behörden als auch Gerichten strikt verboten sein."
Mangelnder Respekt vor dem Grundgesetz
Für die Herausgeber des Grundrechte-Reports kritisierte Till Müller- Heidelberg, ehemaliger Bundesvorsitzender der Humanistischen Union, einen abnehmenden Respekt der Politik gegenüber dem Grundgesetz. Als Beispiel nannte er die im vergangenen Jahr durch das Bundesverfassungsgericht verworfene Online-Durchsuchung: "In das neue BKA-Gesetz wurde die Erlaubnis dazu dann gleich wieder hineingeschrieben, zusammen mit einem Bündel von fragwürdigen Eingriffsermächtigungen - vom Belauschen von Berufsgeheimnisträgern bis zur schon tot geglaubten Rasterfahndung", sagte Müller-Heidelberg. Ebenso rügte er die Rechtsblindheit von Ermittlungsbehörden und sogar Gerichten, die immer wieder gegen die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa zur Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz verstießen.
Auch Betroffene kamen bei der Präsentation des Grundrechte-Reports 2009 zu Wort. So schilderte ein Totalverweigerer "erzieherische Maßnahmen" der Bundeswehr, die darauf hinausgelaufen seien, seine Gewissensentscheidung gegen die Wehrpflicht zu brechen. Der Anmelder einer Demonstration in Karlsruhe berichtete, wie er zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil Teilnehmer sich an vergleichsweise marginale Auflagen nicht gehalten hatten: Die Ordner seien der Polizei 15 Minuten zu spät vorgestellt worden, manche Teilnehmer "zu ähnlich gekleidet" gewesen.
Alternativer Verfassungsbericht
Der im Fischer Taschenbuch Verlag verlegte, 1997 erstmals erschienene "Grundrechte-Report" versteht sich als "alternativer Verfassungsschutzbericht". Neun Bürger- und Menschenrechtsorganisationen dokumentieren darin jährlich den Umgang mit dem Grundgesetz. Er wird gemeinsam herausgegeben von: Humanistische Union o Gustav Heinemann- Initiative o Komitee für Grundrechte und Demokratie o Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen o PRO ASYL o Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein o Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen o Internationale Liga für Menschenrechte o Neue Richtervereinigung.
Sven Lüders
Grundrechte-Report 2009 - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Herausgeber: T. Müller-Heidelberg, U. Finckh, E. Steven, M. Assall, M. Pelzer, A. Würdinger, M. Kutscha, R. Gössner und U. Engelfried; Fischer Taschenbuch Verlag; Juni 2009, ISBN 978-3-596-18373-9; 256 Seiten; 9,95 €
Inhaltsverzeichnis und weitere Informationen.
Auch über den Online-Shop der Humanistischen Union zu beziehen.