Migration und Flucht – Rechtsrahmen und Wirklichkeit

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Todesstreifen und Wachturm an der "Berliner Mauer"
Todesstreifen und Wachturm an der "Berliner Mauer"

Die Diskussion über "Migration" ist seit langem von einiger Unkenntnis der Zusammenhänge geprägt. Beispielsweise wird immer wieder der Unterschied zwischen Flüchtlingen und Migranten unterschlagen – und in der Tat spiegelt sich das in der ganzen Debatte wider. Etwa auch in der Frage, was denn „illegale Migration“ eigentlich genau sein soll. Ein klärender Blick auf die rechtlichen Zusammenhänge und die tatsächlichen Verhältnisse – die durchaus divergieren – wäre daher nützlich. Udo Endruscheit versucht es.

Migration und Flucht

Migration und Flucht sind rechtlich, politisch und moralisch völlig unterschiedliche Phänomene, werden aber oft undifferenziert zusammengefasst. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Wahrnehmung der Thematik in der Gesellschaft und für die Entwicklung von politischen Lösungen.

Flucht bezieht sich auf Menschen, die aufgrund von Krieg, Verfolgung, Gewalt oder schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ihre Heimat verlassen müssen. Diese Menschen genießen völkerrechtlich geschützte Rechte, etwa nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Flucht ist also keine Wahl, sondern ein Zwang.

Migration umfasst Menschen, die aus wirtschaftlichen, familiären, bildungsbezogenen oder anderen persönlichen Gründen in ein anderes Land ziehen. Migration ist in der Regel eine freiwillige Entscheidung und unterliegt den souveränen Regelungen der Zielländer.

Die Vermischung dieser Begriffe führt tendenziell dazu, dass das Recht auf Asyl in Frage gestellt wird, weil es fälschlicherweise als eine Form von "unregulierter Migration" wahrgenommen wird. Politische Akteure und Medien vereinfachen oft, um emotionalen Rückhalt in der Bevölkerung zu gewinnen. Begriffe wie "Flüchtlingswelle" oder "Migrationskrise" vermengen bewusst oder unbewusst Flucht und Migration, um eine Bedrohung zu suggerieren. Dies erschwert eine nüchterne Diskussion über beide Phänomene.

Die Implikationen der fehlenden Differenzierung gehen aber noch viel weiter. Die Verknüpfung von Flucht und Migration führt zu Gesetzen, die versuchen, "Migration einzudämmen", dabei aber auch den Zugang zum Asylrecht erschweren. Ein Beispiel ist die Praxis, Asylverfahren in Drittstaaten zu verlagern oder Geflüchtete von der Einreise abzuhalten, ohne ihren Schutzanspruch zu prüfen. Migranten und Flüchtlinge haben oft sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen und Bedürfnisse. Eine undifferenzierte Politik wird weder denjenigen gerecht, die Schutz suchen, noch denjenigen, die für ein besseres Leben migrieren.

Indem Flucht und Migration in einen Topf geworfen werden, entsteht häufig ein moralisches Dilemma. Schutzsuchende Menschen werden durch die Debatte über "Migration begrenzen" in ihren Rechten beeinträchtigt und kriminalisiert. Gleichzeitig wird vernachlässigt, dass Migration in vielen Ländern – auch und gerade in unserem - eine notwendige Ressource für Wirtschaft und Gesellschaft darstellt.

Die Unterscheidung zwischen Flucht und Migration ist essenziell, um eine faire und effektive Politik zu gestalten. Nur wenn die spezifischen Ursachen, Herausforderungen und Rechte der beiden Gruppen klar benannt werden, können wir Lösungen finden, die sowohl den humanitären Verpflichtungen als auch den nationalen Interessen gerecht werden.

Grenzschließungen und "illegale Migranten"

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 verpflichtet Staaten nicht direkt dazu, ihre Grenzen uneingeschränkt zu öffnen. Sie legt jedoch fest, dass niemand in ein Land zurückgeschickt werden darf, in dem ihm Verfolgung droht (Grundsatz der Non-Refoulement) – und das kann konkludent bereits durch eine Zurückweisung Schutzsuchender selbst an der Grenze zu einem sicheren (EU-)Nachbarstaat verwirklicht werden. In der Praxis führt das oft zu Spannungen zwischen dem Recht auf Schutz und dem Wunsch der Staaten nach Kontrolle über ihre Grenzen.

Der Begriff "illegale Migration" wird oft verwendet, um Personen zu beschreiben, die ohne ausdrückliche Erlaubnis in ein Land einreisen oder sich dort aufhalten. Allerdings ist der Begriff umstritten, da Migration als Akt nicht "illegal" sein kann. Kritiker argumentieren, dass Begriffe wie "irregulär" oder "undokumentiert" weniger stigmatisierend und präziser sind. Der Begriff kann leicht emotional aufgeladen und missbräuchlich eingesetzt werden, um negative Assoziationen hervorzurufen.

In Deutschland garantiert Artikel 16a des Grundgesetzes das Asylrecht für politisch Verfolgte. Allerdings ist dieses Recht durch europäische und nationale Regelungen sowohl eingeschränkt als auch erweitert, etwa durch das sogenannte Dublin-System, das vorschreibt, dass der Asylantrag in dem EU-Land gestellt werden muss, das zuerst betreten wurde. Eine "Schließung der Grenzen" könnte dazu führen, dass Asylsuchende keine Möglichkeit mehr haben, überhaupt in das Land zu gelangen, um einen Antrag zu stellen. Das könnte das Asylrecht faktisch aushöhlen, da der Zugang zur Asylbeantragung eine Voraussetzung für dessen Umsetzung ist.

Schon dieser erste Blick zeigt, wie komplex die Balance zwischen humanitären Verpflichtungen, nationaler Souveränität und politischer Realität ist.

Der Rechtsrahmen aus Grundgesetz, EU-Recht und Völkerrecht

Artikel 16a GG und seine Einschränkungen durch EU-Recht

Die historische Grundregel des Artikel 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantiert, dass politisch Verfolgte in Deutschland Asylrecht genießen. Es handelt sich dabei um ein individuelles Grundrecht, das ursprünglich ohne wesentliche Einschränkungen galt.

Mit dem sogenannten Asylkompromiss von 1993 wurde Artikel 16a GG erheblich eingeschränkt. Nach Artikel 16a Abs. 2 GG können Personen kein Asyl in Deutschland beanspruchen, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen oder wenn sie in einem sicheren Herkunftsstaat verfolgt werden (sic!). Die Liste der sicheren Drittstaaten umfasst alle EU-Mitgliedsstaaten sowie weitere Staaten wie die Schweiz. Es wird dem Interessierten nicht entgangen sein, dass die Diskussion über sichere Drittstaaten nie aufhört – bereits einen Tag nach dem Umsturz in Syrien erhoben sich Stimmen, diesen mitten im Umbruch befindlichen Staat zum "sicheren Drittstaat" im Sinne des Asylrechts zu erklären.

EU-Asylrecht und seine Wirkung auf Artikel 16a GG

Das EU-Asylrecht hat in Deutschland Vorrang vor nationalem Recht, sofern es europäische Regelungen gibt, die den gleichen Sachverhalt betreffen. Zentral ist hier die Dublin-III-Verordnung, die die Zuständigkeit für Asylanträge innerhalb der EU regelt.

Nach der Dublin-Verordnung ist grundsätzlich der EU-Mitgliedstaat für ein Asylverfahren zuständig, in dem ein Schutzsuchender erstmals europäischen Boden betreten hat. Das bedeutet zunächst einmal, dass Deutschland (viele) Asylanträge ablehnen kann / sollte / müsste, wenn ein anderer EU-Staat gemäß Dublin-III zuständig ist. In solchen Fällen wird der Asylbewerber in den zuständigen Staat überstellt, sofern dies praktisch durchführbar ist (Rückführungen scheitern oft an der Realität, z. B. aufgrund fehlender Zusammenarbeit oder humanitärer Bedenken). Und schon sind wir bei einer Kollision von Rechtslage und Realität.

Deutschland ist zudem Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das Mindeststandards für die Behandlung von Asylsuchenden in der EU festlegt. Dazu gehören:

  • Die Asylverfahrensrichtlinie (legt Verfahrensregeln fest, etwa zu Fristen und Schutzgarantien).
  • Die Aufnahmerichtlinie (regelt Standards für Unterbringung, Verpflegung und soziale Leistungen).
  • Die Qualifikationsrichtlinie (definiert, wer als Flüchtling gilt und welchen Schutzstatus Personen erhalten können).

Diese Regelungen schränken den Spielraum bei der Gestaltung des nationalen Asylrechts erheblich ein.

Praktische Auswirkungen

Die europäische Zusammenarbeit führt dazu, dass Deutschland oft keine Einzelfallprüfung gemäß Artikel 16a GG vornimmt, sondern sich auf die Dublin-Regeln stützt. Das nationale Asylrecht ist in der Praxis stark mit dem EU-Recht verwoben.

Einige Kritiker sehen in der Dublin-Verordnung eine "Aushöhlung" des Grundrechts auf Asyl. Da Grenzstaaten wie Italien oder Griechenland die Hauptlast tragen, werden diese Länder oft überfordert. Das führt dazu, dass schutzsuchende Menschen dort teils unter prekären Bedingungen leben müssen, was wiederum in Deutschland moralische und rechtliche Diskussionen anstößt.

Deutschland überstellt jährlich Tausende Asylsuchende in andere EU-Staaten. Gleichzeitig führt die restriktive EU-Politik dazu, dass viele Schutzsuchende den Zugang zu fairen Verfahren verlieren, insbesondere an den EU-Außengrenzen.

Völkerrechtliche Vorgaben

Neben dem EU-Recht ist auch das Völkerrecht ein wichtiger Rahmen:

  • Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) überwölbt das EU- und das nationale deutsche Recht und garantiert Schutz vor Verfolgung.
  • Allerdings wird auch häufig argumentiert, dass die GFK durch Dublin-III und die Drittstaatenregelung in Artikel 16a Abs. 2 GG indirekt eingeschränkt wird.

Artikel 16a GG wird also durch das EU-Recht erheblich beeinflusst. Insbesondere die Dublin-Verordnung und das Gemeinsame Europäische Asylsystem legen Zuständigkeiten und Mindeststandards fest, die in Deutschland Anwendung finden. Dadurch hat das nationale Asylrecht an Autonomie verloren und ist heute Teil einer komplexen europäischen Regelungsstruktur. Kritiker bemängeln, dass die europäische "Verschiebepraxis" häufig den Schutzgedanken des Asylrechts verwässert, insbesondere wenn schutzsuchende Menschen an den Außengrenzen abgehalten oder in Drittstaaten zurückgeführt werden, ohne dass ihr Asylanspruch individuell geprüft wird.

Eine Gemengelage – die man kennen sollte

Aus den vorstehenden Ausführungen wird ersichtlich, was für eine Gemengelage sich hinter dem unterkomplexen Schlagwort der "Migrationsproblematik" verbirgt. Deutschland müsste rein theoretisch nach Artikel 16a GG nur (die wenigen) Asylbewerber aufnehmen, die direkt und ohne Transit durch sichere Drittstaaten nach Deutschland kommen. In der Realität kommen jedoch die meisten Schutzsuchenden über sichere Nachbarstaaten wie Österreich, Frankreich oder die Schweiz, was sie gemäß Artikel 16a Abs. 2 GG eigentlich vom Asylrecht ausschließt. Die Praxis sieht dennoch anders aus.

Die Begrenzung auf politisch Verfolgte in Artikel 16a GG

Artikel 16a GG ist in der Tat sehr eng gefasst und gilt nur für Menschen, die wegen ihrer politischen Überzeugung, Religion, ethnischen Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden. Solche Verfolgung muss gezielt durch einen Staat oder staatsähnliche Akteure erfolgen.

Das Problem: Viele Menschen, die heute Asyl suchen, fliehen vor anderen Gefahren wie:

  • Kriegen (z. B. in Syrien oder der Ukraine),
  • Bürgerkriegen und bewaffneten Konflikten (z. B. in Afghanistan oder Somalia),
  • Hungersnöten oder wirtschaftlicher Not (oft als "wirtschaftliche Migranten" bezeichnet).

Diese Fluchtgründe fallen nicht unter Artikel 16a GG, weshalb Deutschland und die EU weitere Schutzkategorien geschaffen haben.

Weitere Schutzstatus neben Artikel 16a GG

Neben dem verfassungsrechtlichen Asylrecht gibt es in Deutschland weitere Kategorien für Schutzsuchende, die in der Praxis eine größere Rolle spielen. Die wichtigsten sind:

Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Dieser Schutzstatus wird gewährt, wenn jemand wegen einer der in der GFK genannten Gründe verfolgt wird:

  • Rasse,
  • Religion,
  • Nationalität,
  • politische Überzeugung,
  • Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

Das GFK-basierte Flüchtlingsrecht ist international bindend und wird in Deutschland oft angewandt, da es umfassender ist als Artikel 16a GG.

Subsidiärer Schutz greift für Menschen, die nicht direkt verfolgt werden, aber denen dennoch ernsthafter Schaden droht, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückkehren (Lebensgefahr durch Krieg oder Bürgerkrieg, Gefahr durch Folter, Todesstrafe oder unmenschliche Behandlung). Dieser Schutzstatus wurde auf EU-Ebene eingeführt und wird in Deutschland gemäß § 4 des Asylgesetzes umgesetzt.

Ein noch schwächerer Schutzstatus ist das nationale Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz). Es gilt, wenn jemand nach Rückkehr in sein Herkunftsland erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wäre, etwa aufgrund schwerer Krankheiten oder humanitärer Katastrophen.

Praxis der Anerkennung in Deutschland

Die verschiedenen Schutzstatus führen dazu, dass viele Asylbewerber Schutz erhalten, auch wenn sie nicht unter das Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16a GG fallen. Hier die Anerkennungsquoten in der Praxis (Stand 2024):

  • Nur wenige Prozent der Asylsuchenden erhalten Asyl nach Artikel 16a GG.
  • Ein großer Teil wird als Flüchtling nach der GFK anerkannt.
  • Viele weitere erhalten subsidiären Schutz oder ein Abschiebungsverbot.

Das bedeutet, dass die meisten Schutzsuchenden nicht wegen politischer Verfolgung im engeren Sinne des ursprünglichen Artikel 16 GG aufgenommen werden, sondern aufgrund der erweiterten Schutzdefinitionen des internationalen und europäischen Rechts.

Warum das in der Praxis eine Herausforderung ist

Die Einschränkungen in Artikel 16a GG und die Regelungen des EU-Rechts führen zu einem schwer durchschaubaren System:

  • Theoretisch dürfte Deutschland viele Schutzsuchende nicht aufnehmen, da sie über sichere Drittstaaten einreisen.
  • Praktisch werden viele aufgenommen, weil EU-Recht (z. B. Dublin) und internationale Verpflichtungen wie die GFK Vorrang haben.
  • Flüchtlinge können oft nicht direkt per Flugzeug einreisen, da sie weder Visa noch Reisepässe erhalten (was ein Schlaglicht auf das oft gehörte Argument wirft, dass bereits das Fehlen von Papieren eine "illegale Migration" impliziere). Sie sind deshalb auf Fluchtrouten auf Land und See angewiesen, was wiederum dazu führt, dass sie fast zwangsläufig durch sichere Drittstaaten reisen.

Die Differenzierung zwischen Migration und Flucht und / oder zwischen den unterschiedlichen Schutzstatus (politisches Asyl, GFK-Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz) wird in der politischen Kommunikation und medialen Berichterstattung häufig vernachlässigt. Stattdessen werden komplexe juristische und humanitäre Fragen oft auf einfache Schlagworte wie "Grenzen dicht" oder "illegale Migration" reduziert.

Das führt nicht nur zu Missverständnissen in der Öffentlichkeit, sondern spielt auch populistischen Narrativen in die Hände. Gerade in den vergangenen Tagen hat sich gezeigt, wie Politiker verschiedener Lager vermeintlich einfache Lösungen präsentieren, ohne die rechtlichen, moralischen und praktischen Implikationen zu thematisieren. Die aktuelle Diskussion liefert den Beweis dafür, wie wenig Differenzierung in der öffentlichen Debatte tatsächlich stattfindet.

Ohne eine präzise und differenzierte Analyse kann keine nachhaltige Lösung entwickelt werden. Stattdessen werden oft pauschale Maßnahmen oder symbolische Politiken beschlossen, die weder den rechtlichen Rahmen berücksichtigen noch den realen Herausforderungen gerecht werden. In der Migrations- und Asyldebatte kommen dazu noch die emotionalen und ideologischen Überlagerungen, die eine nüchterne Betrachtung erschweren. Klarheit und Aufklärung sind daher umso wichtiger – auch, um Vorurteile und Missverständnisse in der Bevölkerung abzubauen und den Diskurs wieder auf eine sachliche Ebene zu bringen.

Die Inkonsistenz des Rechtsrahmens

Nun kann andererseits auch nicht die Rede davon sein, dass der um das EU-Recht erweiterte Regelungsrahmen konsistent wäre und Kollisionen zwischen Rechtslage und Vollzugstätigkeit ausgeschlossen wären. Ganz im Gegenteil. Und im Grunde fangen die Probleme damit erst richtig an.

Die Kombination aus der Dublin-III-Verordnung und dem internationalen Flüchtlingsrecht führt in der Praxis tatsächlich zu erheblichen Widersprüchen und Dilemmata. Die theoretisch klare Verteilung und Verantwortung innerhalb des EU-Asylsystems wird, wie leicht erkennbar ist, durch die Realität oft ad absurdum geführt.

Laut der Dublin-III-Verordnung ist grundsätzlich der EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig, in dem ein Schutzsuchender zuerst registriert wird. In der Praxis betrifft das vor allem Länder an den EU-Außengrenzen wie Italien, Griechenland, Spanien oder Ungarn. Die Drittstaatenregelung (nach Artikel 16a GG oder vergleichbaren EU-Regelungen) besagt zusätzlich explizit, dass ein Asylsuchender keinen Anspruch auf Asyl hat, wenn er über einen sicheren Drittstaat einreist.

Das internationale Flüchtlingsrecht, insbesondere die Genfer Flüchtlingskonvention und das Rückführungsverbot (Non-Refoulement), zwingt Staaten dazu, Menschen Schutz zu gewähren, wenn ihnen in ihrem Herkunftsland Verfolgung, Folter oder Tod drohen. Diese Verpflichtung steht über nationalen oder regionalen Regelungen wie Dublin III oder der Drittstaatenregelung.

In der Theorie könnten Länder wie Deutschland oder Frankreich darauf bestehen, dass Asylsuchende in den zuständigen EU-Außengrenzstaaten bleiben. Doch die Praxis sieht anders aus:

Länder wie Griechenland oder Italien sind nicht in der Lage, alle Schutzsuchenden menschenwürdig zu registrieren und zu versorgen. Diese Überforderung hat teils katastrophale humanitäre Folgen.

Obwohl Dublin III einen europaweiten Ordnungsrahmen setzen will, funktioniert die Verteilung der Verantwortung in der EU schlicht nicht. Einerseits fühlen sich Länder an den Außengrenzen allein gelassen, andererseits entsteht in den nördlichen Staaten wie Deutschland der Eindruck, man nehme doch faktisch weiterhin (zu) viele Asylsuchende auf. Selbst wenn ein Schutzsuchender über einen sicheren Drittstaat eingereist ist, ist es oft rechtlich oder faktisch unmöglich, ihn dorthin zurückzuführen. Das liegt unter anderem an fehlenden Abkommen, ineffizienten Verfahren oder der Weigerung des Drittstaates, die Person zurückzunehmen.

Das Dilemma der Unanwendbarkeit

Und so bleiben In der Praxis die Vorgaben von Dublin III und der Drittstaatenregelung oft geduldiges Papier. Die EU-Staaten an den Außengrenzen verweisen darauf, dass sie überlastet sind und es an europäischer Solidarität fehlt. Nördliche EU-Staaten wie Deutschland sind zwar verpflichtet, theoretisch Dublin-Rückführungen zu vollziehen, lassen die Schutzsuchenden aber oft trotzdem bleiben, um Konflikte mit den Außengrenzstaaten oder humanitäre Notlagen zu vermeiden (sagen wir, zu verringern). Wobei Schutzsuchende indirekt von diesem Dilemma profitieren, da die strengen Regelungen nach Dublin III faktisch unterlaufen werden.

Reformbedarf und Realität

Der Kern des Problems liegt in der fehlenden Umverteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU. Die Vorstellung, dass Länder wie Griechenland, die selbst mit wirtschaftlichen und politischen Problemen kämpfen, die Hauptlast tragen sollen, ist schlicht nicht haltbar. Das System krankt daran, dass einige Staaten (vor allem im Osten) jede Verantwortung innerhalb des EU-Asylsystems schlicht ablehnen. Beim sogenannten Asylkompromiss von europäischer Solidarität zu reden, ist beinahe schon ein Oxymoron. Solange die EU nicht zu einer wirklich gemeinsamen Asylpolitik findet, bleibt das System in einem permanenten Schwebezustand zwischen theoretischen Regeln und praktischer Untauglichkeit. Was sowohl rechtsstaatlich wie humanitär nicht hinnehmbar ist.

Die strikten Dublin- und Drittstaatenregeln stehen in Konflikt mit den praktischen Anforderungen des internationalen Flüchtlingsrechts und sind mit Ursache der ungleichen Verteilung von Verantwortung innerhalb der EU. Ohne eine tiefgreifende Reform der Asyl- und Migrationspolitik, die Solidarität und Effektivität in den Mittelpunkt stellt, wird dieses Dilemma weiterbestehen – mit schwerwiegenden humanitären und politischen Konsequenzen.

Solche Dilemmata bezeichne ich gern als Unterschied zwischen Realität und Wirklichkeit, um das Absurde daran hervorzuheben. Im Kontext der europäischen Migrationspolitik könnte man sagen: Die Realität ist, dass die Menschen kommen, weil sie Schutz suchen oder eine bessere Zukunft wollen, und die Systeme überfordert sind. Die Wirklichkeit hingegen ist die politische und juristische Fassade, die vorgibt, dass alles geregelt sei, während sich in der Praxis die Konflikte, Widersprüche und menschlichen Tragödien häufen.

Versuch eines Fazits

Die fehlende Differenzierung zwischen Flüchtlingen und Migranten spielt eine zentrale Rolle in der Debatte, insbesondere weil sie Raum für populistische Narrative und manipulative Begriffe wie "Remigration" schafft. Dieser Begriff, der ursprünglich aus rechtsnationalistischen Kreisen stammt, hat in der letzten Zeit, wie manch anderer, eine zunehmende Normalisierung erfahren – etwas, das noch vor kurzer Zeit undenkbar schien.

Die "Remigration" zielt dabei nicht auf die Rückkehr von Geflüchteten nach einer Stabilisierung der Lage in ihren Heimatländern ab – was nach internationalem Recht durchaus eine Option ist, wenn die Fluchtgründe wegfallen. Stattdessen wird er oft im Zusammenhang mit einer Zwangsrückführung ganzer Bevölkerungsgruppen verwendet, was die Grenze zu menschenrechtlich fragwürdigen Vorstellungen überschreitet. Seit den Correctiv-Recherchen zum "Potsdamer Treffen" vor gut einem Jahr ist erschreckend deutlich geworden, wie strategisch dieser Begriff eingesetzt wurde, um nationalistisch gefärbte Narrative salonfähig zu machen, ohne direkt rechtsextreme Rhetorik zu bedienen. Diese Strategien scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn inzwischen ist der Begriff in der öffentlichen Diskussion weniger stark tabuisiert – ein alarmierender Trend.

Das Kernproblem ist, dass eine undifferenzierte Vermengung der Begriffe "Flüchtlinge" und "Migranten" in einem populistisch geprägten Dachbegriff wie "Migrationsproblem" es erlaubt, pauschale Forderungen zu stellen, die den individuellen Schutzbedürfnissen der Menschen nicht gerecht werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention beispielsweise schützt ausschließlich vor Verfolgung und ist eng an das Asylrecht gekoppelt. Migration hingegen kann ökonomische, soziale oder klimatische Gründe haben, was eine völlig andere rechtliche und moralische Grundlage erfordert. Das Scheitern der Bemühungen, ein Einwanderungsgesetz für die Bundesrepublik auf den Weg zu bringen, ist in diesem Zusammenhang symptomatisch. Wer beides vermengt, kann leichter für restriktive Maßnahmen plädieren, ohne sich dem Vorwurf der Unmenschlichkeit auszusetzen – denn die individuellen Schicksale verschwinden hinter pauschalen Kategorisierungen.

Die schwindende Tabuisierung von Begriffen wie "Remigration" ist dabei ein deutlicher Beleg für eine gesellschaftliche Verschiebung im Diskurs. Es zeigt, wie eine fehlende Differenzierung nicht nur den Raum für menschenverachtende Forderungen öffnet, sondern auch die Bereitschaft noch weiter verringert, sich mit der Komplexität des Themas auseinanderzusetzen. Stattdessen wird das Thema auf eine binäre "Wir gegen die"-Rhetorik reduziert, die weder Lösungen noch konstruktive Diskussionen ermöglicht, sondern den Diskurs in eine bedenkliche Richtung verschiebt.

Die Politik zeigt sich dabei oft im Panikmodus: Unter Druck von Wahlumfragen, Schlagzeilen und einer immer lauter werdenden rechten Flanke, die klare Lösungen verspricht, selbst wenn diese weder rechtlich noch praktisch durchsetzbar sind. Diese Panik führt dazu, dass Politiker versuchen, schnelle Maßnahmen zu ergreifen – Grenzkontrollen hier, Asylrechtsverschärfungen dort – ohne ihrerseits die rechtlichen und tatsächlichen Grenzen, die langfristigen Konsequenzen oder die moralischen Verpflichtungen ausreichend zu bedenken.

Das Problem dabei: Wenn die Politik in den Panikmodus verfällt, nimmt sie den Rechten die Argumente nicht weg, sondern bestätigt ihre Dramatisierung. Gerade durch hektische Entscheidungen wirkt sie, als habe sie selbst die Kontrolle verloren. Dies stärkt die Populisten, weil es deren Narrativ des "chaotischen Zustands" nur untermauert.

Die zentrale Herausforderung liegt also darin, Panik und Feindbilder durch einen klaren, differenzierten Diskurs zu ersetzen. Nicht jeder, der Asyl sucht, ist ein Flüchtling nach der Genfer Konvention. Nicht jeder Migrant kommt aus Not – und nicht jeder, der die Migrationspolitik kritisiert, ist ein Rechter. Solche Klarstellungen sind unbequem, weil sie nicht ins Schwarz-Weiß-Schema passen. Aber ohne sie bleibt die Debatte auf einem Niveau, das Lösungen faktisch unmöglich macht.

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