Aufregung um EU-Kommissionsbesetzung

Christdemokraten wollen Andersgläubige psychiatrisieren

BERLIN. (hpd) Die Besetzung der EU-Kommission kommt nicht so voran, wie Jean-Claude Juncker sich das vorgestellt hat. Dafür mag es eine Reihe gewichtiger politischer Probleme geben. Was sich gestern aber abgespielt hat, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Innerhalb der Fraktion der Europäischen Christdemokraten soll es zu Tumulten gekommen sein; der Chef der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul, stört sich an den religiösen Vorstellungen der von Juncker vorgeschlagenen Kommissionskandidatin Bulc.

Dabei hat Reul aus seinem christlichen Herzen keine Mördergrube gemacht: er würde diese Frau nicht eine Stunde allein in seinem Haus lassen, da man nicht wissen könne, was sie dort treibe. Reul schlug vor, Frau Bulc gegebenenfalls in die Psychiatrie einweisen zu lassen.

Da wird die Slowenin Violeta Bulc als “Schamanin” geoutet, verbreitet, sie habe mit der Esoterik-Szene zu tun. Veröffentlich wird, Frau Bulc habe im Internet etwas von “Strukturen” geäußert, die “eigene Leidenschaften” hätten, sie soll von einer “kosmischen Erfahrung”, die sie “tief innen in sich” verspüre, geschwärmt haben.

Sie soll auch davon berichtet haben, dass sie über glühende Kohlen laufen könne. Nun wird letzteres seit Jahren von indischen Fakiren berichtet, die über entsprechende Meditationstechniken verfügen, so dass eine solche Fertigkeit nicht besonders aufregend ist. Für manch wackeren Christenmenschen dürfte eher schon die Tatsache verstörend sein, dass die Slowenin eine Ausbildung zur Schamanin absolviert hat.

Violeta Bulc 2014, Foto: © Tamino Petelinšek, wikimedia (CC-BY-SA 4.0)
Violeta Bulc 2014, Foto: © Tamino Petelinšek, wikimedia (CC-BY-SA 4.0)

Was immer Frau Bulc “glaubt”, es ist ihre Privatsache. Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist Menschenrecht! Auch wenn das eine oder andere an den religiösen Auffassungen befremdlich sein mag.

Dass sich der “Glaube” der Kommissionskandidatin auf ihre Amtstätigkeit negativ auswirken könnte, hat niemand schlüssig dargelegt. Dass der “Glaube” von Frau Bulc gegen Menschenrechte verstößt, ebenso wenig. Da sollten sich die Christen lieber einmal einen Blick in den Spiegel gönnen.

Nein, die Christenmenschen werden nervös: ihr Einfluss geht in Europa deutlich zurück, und nicht nur Humanismus, sondern auch Schamanismus und Esoterik wird als Konkurrenz empfunden.

Auf die Idee, dass ein Glaube an einen dreieinigen Gott, an eine Auferstehung von den Toten, an geistwesenhafte Engel, an das Wirken Heiliger (auch noch aus dem “Jenseits” heraus), und dergleichen mehr, von Außenstehenden als skurril wahrgenommen werden könnte, scheint der Christdemokrat nicht zu kommen. Ebenso wenig auch die Idee, dass manches an den christlichen Lehren Außenstehende zu der Annahme veranlassen könnte, die Vertreter dieser Lehren seien reif für die Psychiatrie.

Christliche Überheblichkeit sehen wir hier wieder einmal in aller Deutlichkeit, beruhigend nur, dass solche christlichen Leute nicht über die Macht verfügen, Andersdenkende in die Psychiatrie einzuweisen. Früher, ja früher, da hatten wackere Christen bekanntlich noch ganz andere Möglichkeiten, mit Ungläubigen, Andersgläubigen, Ketzern, Spirituellen umzuspringen. Nur gut, dass diese Zeiten vorbei sind.