Eine Studie zur Lobby-Arbeit

Der Einfluss der Kirchen auf die Politik

00_pk_kirchenrepublik.jpg

BONN. (hpd) Der Politikwissenschaftler Carsten Frerk untersucht in seiner Studie “Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus” den Einfluss der Kirchen auf die Politik sowohl von außen wie von innen. Die Fülle von Informationen beeindrucken und liefern einen überzeugenden Beleg für demokratietheoretisch überaus problematische Einflussnahmen, womit eine Lücke in der bisherigen kritischen Lobby-Forschung geschlossen wird.

Ein pluralistisches Demokratieverständnis hält die Existenz von unterschiedlichen Interessengruppen nicht nur für legitim, sondern auch für wünschenswert. In Konkurrenz oder Kooperation ringen sie darum, ihre jeweilige Auffassung vom Gemeinsinn einflussreich oder mehrheitsfähig zu machen. Für diesen Grundsatz entstehen immer dann Probleme in der Realität, wenn bestimmte Interessengruppen einen höheren Einfluss als andere Interessengruppen erlangen. Dies gilt in einer marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaft insbesondere für Konzerne, die über Lobbyeinrichtungen direkten Einfluss auf die Politik nehmen. Erst langsam entsteht hierzu ein kritisches Bewusstsein, das journalistische wie sozialwissenschaftliche Aufmerksamkeit motivierte und zu aus demokratietheoretischen Gründen beklemmenden Einsichten führte. Doch wie steht es eigentlich um den Einfluss der Kirchen, die ebenfalls Einfluss als Interessengruppen auf die Politik nehmen wollen? Dieser Frage ist die bisherige Forschung noch nicht nachgegangen.

Um so begrüßenswerter ist allein von daher die Arbeit “Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus”, die der Politikwissenschaftler Carsten Frerk zum Thema “Kirchen als politischer Akteur” vorlegte. Dieses Buch ist die gekürzte Fassung einer längeren Studie und verzichtet daher auf den üblichen wissenschaftlichen Apparat. Es stellt die gleichen Fragen wie jede kritische Erörterung zum Einfluss von Lobbys: “Wie findet politische Willensbildung … tatsächlich statt? Werden alle Akteure genannt, insbesondere, werden alle Lobbyisten benannt und werden die Wege ihrer Einflussnahme beschrieben?” (S. 19). Diese Fragen gilt es, um der Bejahung von Demokratie und Transparenz immer wieder zu stellen. Frerk geht denn auch einschlägigen Einflüssen nach, wobei er zunächst auf Besonderheiten des kirchlichen Lobbyismus verweist: “Kirchen sind schon deshalb keine Lobby-Organisationen wie andere auch, da sie ihre Lobbyisten (…) bereits als Kinder in ihre Glaubenswelt, ihre Rituale und Gemeinschaft einüben …” (S. 23).

Danach macht der Autor das Gemeinte anhand einer Fülle von Beispielen von Einrichtungen und Personen deutlich, wobei eine Differenzierung von “Lobbyismus von außen” und “Lobbyismus von innen” vorgenommen wird. Es geht dabei einerseits um das Agieren von kirchliche Büros auf Bundes- und Landesebene gegenüber der Politik und andererseits um Personengruppen in den Ministerien wie den “Seitenwechslern” von der Kirche zum Staat. Bilanzierend heißt es bei Frerk: “In Deutschland besteht neben der parlamentarischen Demokratie und dem Staatsaufbau eine ‘Nebenregierung’ und eine zweite ‘Bürokratie’, die öffentlich als Kirche auftritt und ihren massiven Lobbyismus entweder verschweigt oder gelegentlich stolz präsentiert … Die Kirchen sind selbstverständlicher Teil des Staates geworden, ohne dass dafür irgendeine Rechtsgrundlage besteht … Zum Erfolg … trägt nicht nur seine Geräuschlosigkeit bei … sondern vor allem die lobbyistische Camouflage, dass die Kirchen keine eigenen wirtschaftlichen Interessen hätten” (S. 297).

Auch wenn hier manche Formulierung wie etwa “Nebenregierung” dramatisierend wirkt, machen die Darstellungen immer wieder anschaulich die Lobbywirkungen deutlich. Frerk kommt das Verdienst zu, hier eine Bewusstseins- und Wissenslücke geschlossen zu haben. Denn, wie der Autor an einem Beispiel zutreffend hervorhebt, es gilt als Skandal, wenn ein Politiker wie Ronald Pofalla direkt in die Wirtschaft wechselt, aber nicht wenn eine Politikerin wie Katrin Göring-Eckhardt gleichzeitig eine Leitungsfunktion in einer Kirche innehat. Insofern fördert das Buch ein entwickeltes Problembewusstsein und hinterfragt scheinbare Selbstverständlichkeiten. Dabei konzentriert sich Frerk mitunter allzu stark auf einzelne Einrichtungen oder Personen. Zwar findet man bei ihm immer wieder Ausführungen, die auf die demokratietheoretische Legitimationsproblematik und die vergleichende Lobbyforschung inhaltlich bezogen sind. Davon hätte man sich mehr gewünscht. Denn damit einhergehende Einsichten sollten nicht in der imponierenden Faktenfülle untergehen.

Carsten Frerk, Kirchenrepublik Deutschland. Christlicher Lobbyismus, Aschaffenburg 2015 (Alibri-Verlag), 303 S., 18,00 Euro

Das Buch ist auch bei unserem Partner denkladen.de erhältlich.