Gotteslästerung im Münsterland?

"Der Aufklärung sind Grenzen gesetzt"

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Albert Voß und Rechtsanwalt Rath im Amtsgericht Lüdinghausen
Prozess §166 Albert Voß 25.02.2016

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Prozeß gegen Albert Voß im Amtsgericht Lüdinghausen
Prozeß §166 Albert Voß 25.02.2016

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Großes Interesse der Medien an Gotteslästerungsprozess
Großes Interesse der Medien an Gotteslästerungsprozess

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Amtsgericht Lüdinghausen
Amtsgericht Lüdinghausen

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Albert Voß vor seinem "Spruchtaxi"
Albert Voß vor seinem "Spruchtaxi"

MÜNSTER. (hpd) Das Amtsgericht Lüdinghausen verurteilte am gestrigen Donnerstag den pensionierten Lehrer Albert Voß wegen Verstoßes gegen den sogenannten Gotteslästerungsparagraphen §166 StGB.

So viele Medienvertreter tummeln sich im Amtsgericht Lüdinghausen selten. Vom Kamerateam des WDR bis zur Bild-Zeitung verfolgten Pressevertreter am 25. Februar im voll besetzen Gerichtssaal 118 den Prozess gegen Albert Voß.

Voß hatte im Oktober 2015 zwei Anzeigen erhalten, weil er sein Auto mit Sprüchen beklebt hatte:

"Wir pilgern mit Martin Luther:
Auf nach Rom!
Die Papstsau Franz umbringen.
Reformation ist geil!"
Daneben ein Google-Symbol sowie die Suchworte "Luther Papst umbringen"

und

"Kirche sucht moderne Werbeideen. Ich helfe.
Unser Lieblingskünstler:
Jesus – 2000 Jahre rumhängen
Und noch immer kein Krampf!"

Die Staatsanwaltschaft Münster erhobt umgehend Anklage wegen Verstoßes gegen §166 StGB, der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen. Das Amtsgericht Lüdinghausen eröffnete das Hauptverfahren.

Im gestrigen Prozess erläuterte der Angeklagte der Vorsitzenden Richterin Ira Schwefer, wie er dazu kam, die Heckscheibe seines Autos mit den fraglichen Sprüchen zu bekleben. Er erzählte, dass er eine ganz normale münsterländisch-katholische Erziehung genossen habe und sogar Messdiener war. Durch die Lektüre von Büchern wie Deschners "Abermals krähte der Hahn" wurde ihm jedoch bewusst, dass sein Glaube auf fragwürdigen Fundamenten ruht. Insbesondere sei es für ihn sehr interessant gewesen zu entdecken, welche Passagen der Heiligen Schriften von den Kirchen bewusst verheimlicht werden. Im Gespräch mit Freunden und Bekannten haben er immer häufiger bemerkt, dass sie überhaupt nicht wissen, was sie glauben. Als ihm dann ein Auto mit einem der üblichen positiven Bibelsprüche auf der Heckscheibe über den Weg fuhr, habe er den Entschluss gefasst, seine Mitmenschen auf genau demselben Wege aufzuklären, was ihre Religion sonst noch alles beinhaltet. Im August 2014 beklebte er deshalb erstmals die Heckscheibe seines Autos mit einem jener Bibelsprüche, die üblicherweise lieber verschwiegen werden:

"Gott segne den, der deine Kinder packt
und sie am Felsen zerschmettert!
(Psalm 137,9)"

Voß begann schließlich, nicht nur wörtliche Zitate, sondern auch abgewandelte zu verwenden, da er als Lehrer gelernt habe, dass man nur durch "möglichst knusprige Formulierungen" Aufmerksamkeit für einen bestimmten Inhalt erzeugen könne.

Gemeinsam mit seinem Verteidiger, Rechtsanwalt Winfried Rath, führte Voß aus, dass es sich auch bei den beiden angezeigten Sprüchen um abgewandelte Zitate handelt.

Bei dem "Papstsau Franz"-Spruch handelt es sich im Kern um ein Zitat von Martin Luther, der mehrfach dazu aufgefordert hat, Päpste und Bischöfe umzubringen. Durch das Google-Symbol und die entsprechenden Suchworte unterhalb des Spruchs hatte Voß darauf hingewiesen, dass die entsprechenden Lutherschen Originalzitate leicht selbst im Internet ergoogelt werden können.

Bei dem angezeigten "2000 Jahre rumhängen"-Spruch handelt es sich um die Abwandlung eines Zitats des bekannten Journalisten Friedrich Küppersbusch, der nach dem Kruzifix-Urteil 1995 mit dem satirischen Satz "2000 Jahre rumhängen ist ja auch kein Vorbild für die Jugend" für allerhand Furore gesorgt hatte. Küppersbusch wurde für diesen Spruch nicht nach §166 StGB verurteilt.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, Amtsanwältin König, hielt Voß zwar zugute, dass er mit seinen Sprüchen zur Aufklärung beitragen wolle, trotzdem sah sie den Tatbestand der Beschimpfung eines religiösen Bekenntnisses erfüllt. Da er keine wörtlichen Zitate genutzt habe, habe er sich den Inhalt seiner Sprüche zu eigen gemacht. Sie beantragte daher eine Verurteilung nach §166 StGB.

Voß' Verteidiger, Rechtsanwalt Rath, wies in seinem Plädoyer auf den Kern von §166 StGB hin, in dem es eben nicht darum geht, eine Beschimpfung religiöser Bekenntnisse als solche zu ahnden, sondern nur, insofern sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Da die Frage, wann etwas geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, juristisch alles andere als simpel ist, gab Rechtsanwalt Rath zunächst die Faktenlage im vorliegenden Fall zu bedenken:

Das Anliegen von Albert Voß ist es nicht, Hetze zu betreiben oder den öffentlichen Frieden zu stören. Wie im Prozess mehr als deutlich dargelegt, ist es sein Ziel, Aufklärungsarbeit zu leisten, religiöse Menschen über die Grundlagen ihrer eigenen Religion aufzuklären, die sie meistens selbst nicht kennen.

Außerdem beklebt Voß bereits seit August 2014 die Heckscheibe seines Autos mit entsprechenden Sprüchen. Die Reaktionen, die er darauf bekam, waren zum weit überwiegenden Teil positiv. Lediglich zu einer Anzeige kam es wegen des Luther-Spruchs – und in Folge dieser Anzeige zu einer weiteren durch die Polizei, da Voß bei deren Besuch bereits den nächsten Spruch auf sein Auto geklebt hatte. Die Fakten scheinen also nicht darauf hinzudeuten, dass der öffentliche Friede immens in Gefahr ist.

Jedoch gehe es, so der Verteidiger, ja nicht um die Frage, ob der öffentliche Friede tatsächlich gestört sei, sondern darum, ob die Sprüche, die Gegenstand der Anzeigen sind, dazu geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören.

Diesbezüglich verwies Rath darauf, dass §166 StGB im Licht von Artikel 5 des Grundgesetzes betrachtet werden müsse, dem Schutz der Meinungsfreiheit. Er wies darauf hin, dass das Bundesverfassungsrecht in seinem Wunsiedel-Beschluss geurteilt hatte, dass das Recht auf Äußerung der eigenen Meinung ein hohes Gut sei und der öffentliche Friede massiv gefährdet sein müsse, um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen. Solange keine Hetze betrieben wird, ist das Recht auf Meinungsfreiheit nicht anzutasten.

Das Recht auf Religionsfreiheit beinhalte umgekehrt nicht das Recht, über seine Religion nicht zum Nachdenken gebracht zu werden, so Rath. Religiöse Gemeinschaften, die die von ihnen als wahr erachteten Ansichten in die Öffentlichkeit tragen, könnten nicht erwarten, dass sie dies ungestört tun dürften. Ansonsten wäre es bereits unmöglich, beispielsweise katholischen Ansichten zum Thema Homosexualität oder Verhütung etwas entgegenzusetzen, ohne Gefahr zu laufen, für die Verletzung religiöser Gefühle verurteilt zu werden. Gerade nach dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo müsse die Meinungsfreiheit einen höheren Wert haben, als religiöse Gefühle.

Das letzte Wort hatte wie üblich der Angeklagte. Albert Voß machte es kurz und zitierte George Orwell:

"Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen."

Die Urteilsverkündung zeigte, was sich bereits im Prozess angedeutet hatte: Richterin Schwefer, die während der gesamten Verhandlung sehr ungehalten wirkte, ließ kein einziges Argument der Verteidigung gelten. Sie schloss sich vollumfänglich der Haltung der Staatsanwaltschaft an und sprach Albert Voß wegen Verstoßes gegen §166 StGB schuldig.

Richterin Schwefer, die zugleich Direktorin des Amtsgerichts Lüdinghausen ist, sprach eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus: 30 Tagessätze zu 100 €, ausgesetzt für ein Jahr auf Bewährung. Als Bewährungsauflage soll Voß eine Geldbuße von 500 € zahlen. Zu der in der Anklageschrift von der Staatsanwaltschaft ebenfalls geforderten Einziehung des Tatmittels, sprich des Autos von Herrn Voß, sowie der Verhängung eines Fahrverbots kam es nicht, weil die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf diese Forderungen in ihrem Plädoyer verzichtet hatte.

In der mündlichen Urteilsbegründung erläuterte die Richterin den Grund für ihre Entscheidung: "Der Aufklärung sind Grenzen gesetzt", sagte Schwefer. Diese Grenzen sieht sie dort überschritten, wo religiöse Menschen sich in ihrem Wohlfühl-Empfinden gestört fühlen: "Christen haben das Recht, darauf zu vertrauen, dass ihr Glaube respektiert wird."

Die angeklagten Heckscheibensprüche betrachtet sie als besonders verletzende Beschimpfungen und Hetze.

Mit mahnenden Worten wies sie den Angeklagten darauf hin, dass sie die Hauptstrafe von 3000 € auf Bewährung ausgesetzt habe, "damit sowas nicht noch mal passiert".

Albert Voß war angesichts des Urteils zunächst schockiert. Er war felsenfest davon überzeugt, mit seinen Heckscheibensprüchen nichts Unrechtes getan zu haben. Doch bereits als er den Gerichtssaal verließ waren die ihm eigene Fröhlichkeit und Zuversicht zurückgekehrt. "Die Gesellschaft ist wahrscheinlich weiter als die Justiz", lautete sein Fazit.

Die Einschätzung der Richterin kann er jedenfalls nicht nachvollziehen: "Aufklärung ist Ärgernis, eine Art Magenverstimmung im Gehirn. Aber doch keine Hetze." Als Freund und Verfechter der Meinungsfreiheit nahm er der Richterin ihr Urteil trotzdem nicht übel: "Dass das Hetze ist, ist eben ihre Meinung. Die darf sie ja ruhig haben. Aber ich hab' eben meine."

Besonders ungerecht findet Voss, dass er verurteilt wurde, obwohl er, wie er sagt, Luther ja sogar noch recht mild wiedergegeben habe. "In Wahrheit sind die Dinge, die der gesagt hat, ja noch viel schlimmer."

Voß will auch weiterhin seine Sprüche auf die Heckscheibe seines Autos kleben und sie auf seiner Homepage spruchtaxi.de veröffentlichen. Zusammen mit seinem Anwalt kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Nächsthöhere Instanz ist das Landgericht Münster. Der Verhandlung sieht Voß mit Interesse entgegen: "Das wird noch 'ne spannende Geschichte!"

Spannend ist die Geschichte bereits jetzt.

Spannend zum einen, weil sie zeigt, wie stark die Auslegung des Gotteslästerungsparagraphen der Willkür des Gerichts und der geografischen Lage unterworfen ist. Während ein Richter in Berlin im Begriff "Kinderfickersekte" eine durchaus zulässige Bezeichnung für die katholische Kirche sieht, betrachtet eine Richterin im Münsterland "Papstsau" als Gotteslästerung.

Spannend zum anderen, weil die Geschichte deutlich macht, welchen Schutz "religiöse Gefühle" in diesem Staat genießen. Und das, obwohl sie rechtlich streng genommen gar nicht unter Schutz stehen. Gegenstand von §166 StGB ist die Beschimpfung religiöser Bekenntnisse nämlich nur insoweit als diese Beschimpfung "geeignet ist den öffentlichen Frieden zu stören".

Mit dem Argument, dass die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens seit der Änderung von §166 StGB in der Strafrechtsreform von 1969 der zentrale Aspekt des Gestzes sei – und nicht mehr das religiöse Gefühl oder der Schutz von Religion und Weltanschauung als solche –  hatte der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages erst im Dezember 2015 die von gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon eingereichte Petition zur Streichung von §166 StGB abgelehnt. Die Petition hatte nämlich darauf hingewiesen, dass der deutsche Staat mit der Streichung des sogenannten Gotteslästerungsparagraphen einer wichtigen Forderung des UN-Menschenrechtskomitees nachkäme, das erklärt hatte, dass "Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen" mit dem "Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte" inkompatibel seien.

Der Fall Voß zeigt jedoch recht eindrücklich, dass es dem Gericht nicht um die Klärung der Frage ging, ob die Sprüche auf seiner Heckscheibe geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören. Richterin Schwefer ging es, wie bereits erwähnt, darum dass Christen das Recht haben, "darauf zu vertrauen, dass ihr Glaube respektiert wird". Und so geht es bei der praktischen Anwendung des Gotteslästerungsparagraphen also nach wie vor um die berühmten religiösen Gefühle.

Wie sich ein Ungläubiger fühlen mag, wenn auf Kanzeln regelmäßig der Atheismus für das Übel der Welt verantwortlich gemacht wird oder im Fernsehen eine Serie mit dem Titel "Gottlos – Warum Menschen töten" läuft, ist der Justiz hingegen herzlich egal. Und so zeigt sich im feinen Unterschied der rechtlichen Behandlung von "Papstsäuen" und "Atheistenschweinen", dass es bei der Berücksichtigung der Interessen religiöser und nicht-religiöser Menschen in dieser Gesellschaft noch immer ein massives Ungleichgewicht gibt.

Auch hier ließe sich ein passendes Orwell-Zitat finden:
"Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher als die anderen."