Brasilien

Olympia und das Kopftuch

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Olympia 2016: Die Iranerin Darya Safai kämpft für die Rechte von Frauen im Iran
Let Iranian Women enter their stadiums

Die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro zeigen, dass die Zahl der verschleierten Frauen im internationalen Sport ansteigt. Erstaunlicherweise nimmt bei Sportgroßereignissen kaum jemand die Kopftücher als das wahr, was sie sind: politische Statements.

Es waren Pressehighlights der Olympischen Spiele 2016 in Brasilien: Im sonst eher bikinilastigen Beachvolleyball trat die Ägypterin Doaa Elghobashy mit Kopftuch, langen Ärmeln und langen Hosen auf. Für diesen Auftritt hatte ihr der Volleyball-Weltverband FIVB sogar extra eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Nicht zu vergessen die US-amerikanische Fechterin Ibtihaj Muhammad, die als erste US-Muslimin mit einem Kopftuch bei Olympia antrat. Ganz nebenbei gewann sie im Teamwettbewerb auch die Bronzemedaille. Doch das schien fast eine Nebensache gegenüber dem Statement zu sein, das sie durch das Tragen des Hidschabs machte.

"Wir haben hier bei Olympia die Möglichkeit, noch mehr muslimische Frauen zu inspirieren", sagte Fechterin Muhammad in einem Interview nach dem Achtelfinale. "Es ist schön, immer mehr Frauen mit Kopftuch beim Sport zu sehen" und "ich bin dankbar, dass ich die Chance habe, der muslimischen Gemeinschaft eine Stimme zu geben."

Freilich sagte sie auch noch andere Dinge, doch eben auch diese, in denen deutlich anklingt, dass für Muhammad das Tragen des Hidschabs während der Olympischen Spiele vor allem eine Werbeveranstaltung für die eigene Religion und weniger ein dringendes inneres religiöses Bedürfnis ist. Ziel einer solchen bewussten Präsentation vor der internationalen Presse ist es, die eigene Religion sichtbar zu machen, für sie zu werben und zugleich deutlich eine bewusste Abgrenzung von Normen vorzunehmen, die in einem Großteil der westlichen Welt gültig sind. Ein politischer Akt. Und eigentlich in jeglicher Hinsicht ein klarer Verstoß gegen das olympische Regelwerk. In Regel 51 der Olympischen Charta heißt es: "Jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda ist an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen untersagt."

Eine Regel, auf die eine junge Frau ohne Kopftuch jedenfalls in aller Deutlichkeit hingewiesen wurde. Beim Volleyball-Vorrundenspiel der Männer zwischen Ägypten und dem Iran am Samstag zeigte die Iranerin Darya Safai – fast unbeachtet von den Medien – im Publikum ein Transparent mit der Aufschrift "Let Iranian Women enter their stadiums" (Lasst iranische Frauen in ihre Stadien gehen). Ein Versuch, darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen im Iran keine Sportstadien besuchen dürfen. Seit der Islamischen Revolution im Iran 1979 wurde Frauen zunehmend untersagt, insbesondere Männersportereignisse in Stadien anzuschauen. Nur eines von vielen Verboten für Frauen im Iran. Safai, die seit dem Jahr 2000 in Belgien lebt, nachdem sie 1999 im Iran wegen Teilnahme an einer regierungskritischen Demonstration verhaftet wurde, versucht bereits seit einigen Jahren, auf die Unterdrückung der Frauen in ihrem muslimischen Heimatland hinzuweisen.

Die politische Meinungsäußerung von Darya Safai wollten die Ordner der Olympischen Spiele nicht unwidersprochen stehen lassen. Sie forderten Safai auf, ihr Transparent herunterzunehmen und das Stadion zu verlassen – wobei sie die Ironie ihrer Aufforderung wahrscheinlich nicht mal bemerkten. Doch Safai setzte sich zur Wehr und weigerte sich, den Anweisungen der Ordner Folge zu leisten. Die Ordner gaben auf und Safai hielt bis zum Ende des Spiels das Transparent in ihren Händen.

Erstaunlich ist, dass Safais Transparent-Aktion von den Olympia-Offiziellen als politische Meinungsäußerung wahrgenommen wurde, Ibtihaj Muhammads Werbeveranstaltung für den Islam in Form eines Kopftuchs hingegen nicht. Auch viele Medien ignorieren den politischen Gehalt des Kopftuchs. Gehen sie einer Rhetorik auf den Leim, die das Kopftuch verharmlost? Einer Rhetorik, die zunehmend von muslimischen Frauen zu hören ist, die betonen, dass sie das Kopftuch gern und freiwillig tragen?

Natürlich wäre es Unsinn zu behaupten, alle Frauen, die den Hidschab tragen, würden dazu gezwungen. Gerade in den westlichen Kulturen wählen Frauen den Hidschab häufig freiwillig. Um ein politisches Statement zu setzen, um das Gefühl zu haben, zu einer Gemeinschaft zu gehören, um ihren integrierten Eltern eins auszuwischen oder weil sie meinen, ihre Religion würde es von ihnen verlangen. Dass ihre Entscheidung eine freie ist, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen in der Mehrzahl der muslimischen Länder gezwungen werden, sich zu verschleiern und dass ihre Freiheiten dort insgesamt sehr eingeschränkt sind.  

Auch heißt die Tatsache, dass Frauen, die in westlichen Kulturen freiwillig den Hidschab tragen, häufig subjektiv der Meinung sind, ihr Kopftuch und ihr Glaube stünden nicht im Widerspruch zu einem emanzipierten Leben, nicht, dass sie mit ihrer Meinung objektiv recht haben. Die Emanzipation der Frau ist im Islam de facto ebenso utopisch wie im Katholizismus.