Es war ein folgenschwerer Anschlag, der sich am 20. Dezember 2024 in Magdeburg ereignete. Ein damals 50-jähriger aus Saudi-Arabien stammender Arzt und Psychiater war mit einem Auto in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt gerast. Sechs Menschen starben, es gab mehr als 300 Verletzte. Am heutigen Montag beginnt am Landgericht Magdeburg der Strafprozess gegen den Mann. Dieser war zuvor nicht nur mit Behörden und der Ärztekammer aneinandergeraten, sondern hatte auch die Säkulare Flüchtlingshilfe und den Zentralrat der Ex-Muslime attackiert.
Für den Prozess, der mindestens 50 Verhandlungstage dauern wird, wurde wegen des großen öffentlichen Interesses in Magdeburg ein temporäres Gerichtsgebäude gebaut, in dem 700 Zuhörer Platz finden. Die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft lautet auf sechsfachen Mord, versuchten Mord in 338 Fällen und gefährliche Körperverletzung in 309 Fällen. Seit der Tat im vergangenen Dezember ist zwar vieles über den Angeklagten bekannt geworden, seine Persönlichkeit und seine Motive erscheinen aber weiterhin in diffusem Licht. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt hat gewissermaßen schon Vorarbeit für das Strafgericht geleistet, indem er zahlreiche Zeugen vernahm, um die Hintergründe des Anschlags zu klären.
Taleb A. hatte 2016 in Deutschland politisches Asyl erhalten, weil ihm nach eigenen Angaben in Saudi-Arabien wegen seiner Kritik an der Herrscherfamilie und am Islam Verfolgung gedroht haben soll. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte der Mann dargelegt, dass ihm bei einer Rückkehr Folter oder Haft drohen könnten, berichtete ein früherer BAMF-Mitarbeiter vor dem Untersuchungsausschuss.
Zu dem Zeitpunkt war Taleb A. schon mehrere Jahre in Deutschland. Ab 2006 hatte er in Hamburg studiert. Im Rahmen der Ermittlungen des Untersuchungsausschusses wurde bekannt, dass ein ehemaliger Polizeihauptkommissar in Mecklenburg-Vorpommern bereits 2013 empfohlen hatte, Taleb A. psychiatrisch untersuchen zu lassen. Ins Visier der Polizei geraten war er damals, als er in einem Streit mit der Ärztekammer des Landes Mecklenburg-Vorpommern (es ging um Anerkennung von Prüfungsleistungen im Rahmen seiner Facharztausbildung) telefonisch mit Handlungen gedroht haben soll, die "international Aufsehen erregen würden" und Bezüge zum kurz zuvor passierten Boston-Marathon-Anschlag hergestellt. Damals gab es auch eine Hausdurchsuchung bei ihm.
Ungeachtet des vorangegangenen Geschehens war Taleb. A seit 2020 als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie tätig. Er arbeitete im Maßregelvollzug in Bernburg (Sachsen-Anhalt) mit suchtkranken Straftätern.
Auch mit dem Zentralrat der Ex-Muslime kam Taleb A. in konfliktreichen Kontakt, den die Vorsitzende des Verbands, Mina Ahadi, kurz nach dem Anschlag von Magdeburg so beschrieb:
"Der Attentäter Taleb A. ist für uns ja kein Unbekannter, denn er hat uns seit Jahren terrorisiert. Anfangs vermuteten wir, er könnte ein Maulwurf der islamistischen Bewegung sein. Inzwischen denke ich jedoch, dass er ein Psychopath ist, der ultrarechten Verschwörungsideologien anhängt. Nach langjähriger Erfahrung kann ich sagen: Der Attentäter von Magdeburg hasst nicht nur Muslime, sondern alle, die seinen Hass nicht teilen!"
Taleb A. kritisierte die "linke" humanistische Ausrichtung des Zentralrats der Ex-Muslime und der eng befreundeten Säkularen Flüchtlingshilfe, die sich gezielt für religionsfreie Migrant*innen aus islamisch geprägten Ländern einsetzt. "Längst nicht alle Menschen, die aus islamischen Ländern fliehen, sind Muslime", sagte Mina Ahadi. "Wir sind als Organisation zwar explizit religionskritisch, aber wir kämpfen nicht gegen liberale Muslime, sondern für sie, da sie besonders oft zu Opfern des Islamismus werden. Dies hat Taleb A. sehr aufgeregt. Als er merkte, dass er mit seinem Hass auf alles Muslimische bei uns nicht ankam, ist er dazu übergegangen, einzelne Aktive der Säkularen Flüchtlingshilfe öffentlich zu diffamieren."
Nach Posts von Taleb A. auf Social Media hatte eine Aktivistin der Säkularen Flüchtlingshilfe schon Monate vor dem Anschlag Strafanzeige gegen diesen eingereicht und die Polizei vor einem Anschlag gewarnt, den dieser vorbereiten würde. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt kam in seiner Bewertung jedoch zu dem sich falschen Schluss, dass von Taleb A. keine konkrete Bedrohung ausgehe.
Das Landgericht Magdeburg wird bei der juristischen Aufklärung des Geschehens die diffuse Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten beleuchten und dabei wohl alle diejenigen als Zeugen vernehmen, die mit ihm in Kontakt waren.
Hans Goldenbaum, Sozial- und Islamwissenschaftler, der die Fach- und Beratungsstelle für Gewalt- und Radikalisierungsprävention SALAM Sachsen-Anhalt leitet, hatte bereits kurz nach dem Anschlag gegenüber dem MDR gesagt, dass Taleb A. für ihn kein Unbekannter war:
"Der war uns als randständige Figur in dem, was wir Filterblase des digitalen globalen Rechtsextremismus nennen, ein Begriff. Wir kannten ihn aufgrund seiner Agitation insbesondere online in sozialen Medien im Bereich anti-islamischer und auch migrationsfeindlicher Diskurse der transnationalen Rechten. Er hat dort nicht nur Inhalte rezipiert, sondern auch aktiv Inhalte beigesteuert."
Auf die Frage, wie er das Weltbild von Taleb A. beschreibe, sagte der Wissenschaftler:
"Ganz klassisch. Es gibt sicherlich einige besondere Elemente aufgrund der Biografie. Aber im Kern hat er Ideologeme dieser globalen digitalen Vergemeinschaftung im Bereich des Rechtsextremismus geteilt: der angebliche sogenannte große Austausch, die angebliche Islamisierung, andere Elemente der klassischen Verschwörungsideologie, und dass man annimmt, alles sei gesteuert. Presse sei gesteuert, politisches Handeln. Das sind so Chiffren in diesem Milieu. Und wir sehen bei ihm stark und über Jahre hinweg, wie er an diesem Diskurs, an dieser digitalen Vergemeinschaftung teilgenommen hat, wie er diese Inhalte übernommen hat, bei X, ehemals Twitter, retweetet, aber auch eigene Inhalte beigesteuert hat – insbesondere im Kontext antiislamischer Agitation."







2 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Hass auf alle, die den eigenen Hass nicht teilen ...
Daran scheinen auch andere zu leiden.
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Heute früh hieß es in den Radio-Nachrichten, er sei voller Hass auf den Islam gewesen, folglich Atheist (höchstens "nomineller" Muslim), voller Wut auf die deutsche Islam- bund Einwanderungspolitik, AfD-Symp