Martin Luther? Pff, pff, pff…

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Umschlag "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" mit Bild Luthers

BERLIN. (hpd) Wir sind mitten drin in der „Lutherdekade“ - und die Blüten, die sich mittlerweile um diesen Reformator ranken, haben ein beträchtliches Potential an intellektuellem Niespulver, dass es einem die Tränen in die Augen treiben kann. Vor Lachen.

Ein Kommentar von Carsten Frerk.

Der Reformationstag ist noch nicht lange her (31.10.2012) und die EKD hatte sich fleißig ins Zeug gelegt: „Beten ist ‚eine Standleitung zu Gott -  Fernsehgottesdienst zum Reformationstag mit Margot Käßmann und Liedermacher Klaus Hoffmann“. Und: eine Churchnight gibt es, um das um sich greifende Halloween-Gespenster-Feiern gibt es – da evangelisch, ist die Bezeichnung auf englisch , die Katholiken hätten einen lateinischen Begriff verwendet. ‚Hell. Wach. Evangelisch‘ ist auch in diesem Jahr das Motto der "Churchnight" zum Reformationstag am 31. Oktober. Seit 2006 transferiert das Projekt von EKD und Evangelischem Jugendwerk Württemberg Luthers Reformthesen in die heutige Zeit, denn was Luther vor beinahe 500 Jahren elektrisierte, berührt die Menschen auch heute.“ Und was wird als Reformationstag gefeiert? „Der Reformationstag oder auch Gedenktag der Reformation wird von evangelischen Christen in Deutschland und Österreich am 31. Oktober im Gedenken an die Reformation der Kirche durch Martin Luther gefeiert.“ (Quelle) Also in Kurzform: Am Vorabend des katholischen Allerheiligen (am 1.11.) habe Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche Wittenbergs angeschlagen; Hammerschläge, die zur Reformation führten. Also, mit einem Wort: Luther.

Das erzeugt nun im Gedenken daran so nette Plaudereien über Luther und die Reformation, mit der betrübten Erkenntnis, dass eigentlich nichts mehr Originales von Luther erhalten ist.

Ungleich eindeutiger und unsentimentaler äußerte sich hingegen die Theologin Petra Bahr, Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, zum Thema „Luther und der Reformationstag – Held oder Holzklotz“ in der Süddeutschen Zeitung. Das intellektuelle Spagat, das sie dabei macht, können vermutlich vorzugsweise nur studierte Theologen.

Einerseits stellt sie wissenschaftlich korrekt fest: Luther hat niemals Thesen angeschlagen, wollte keine Kirche gründen, war kein großer Neuerer, stand mit beiden Beinen noch im Mittelalter und hasste die Juden. Nach der konsequenten, aber anscheinend nur rhetorischen Frage: Was feiert denn die evangelische Kirche am Reformationstag?, fährt sie in den historischen Feststellungen fort: Kritik am Ablasshandel? Hatten auch schon andere vor ihm geäußert. Das Papsttum als Agentur des Teufels, auch keine originelle Luther-Erfindung. Auch die Idee, dass allein die Gnade Gottes den Menschen erlöse, war schon bekannt. Und die deutsche Sprache hatte schon viele andere Vorbereiter. Jetzt könnte man also das Ganze als Mumpitz streichen, aber nein, alles das sei auch Ausdruck der Geschichte des Protestantismus, auch eine „innerevangelische Konfliktgeschichte“. Deshalb habe der „Bildersturm der Historiker auf die Lutherdenkmäler  etwas Befreiendes“. Keine falschen Sentimentalitäten mehr, kein Triumphalismus früherer Zeiten, keine „geistige Überlegenheit des Protestantismus“ mehr.

Was bleibt, wenn von Luther eigentlich nicht mehr zu würdigen bleibt? Das weiß die Theologin, denn es „hilft die religiöse Gewissheit, dass Menschen vor Gott voraussetzlos gewürdigt sind.“ Luther habe einen religiösen Befreiungsschlag geführt und die EKD „singt die Marseillaise des Protestantismus: ‚Eine feste Burg ist unser Gott‘, stehend, mit Posaunen und Gänsehauteffekt.“

Also wahrlich, was für Worte und Vergleiche! Gott sei’s getrommelt und gepfiffen, wie soll man eine solche Auffassung des „Alles falsch, aber wir sind richtig“ noch übertreffen? Aber ja, man kann.

Am Wochenende wurde „das Geheimnis gelüftet, die Luther-Städte sind sich einig“: „Lutherpreis für Anti-Nazi-Initiative“. Ausgezeichnet wurde nicht Pussy Riot, die im Gespräch gewesen waren, sondern eine Regensburger Gastwirt-Initiative „Rassisten werden hier nicht bedient.“

Soll man also lachen oder weinen, denn es gibt einen Mann, der geschrieben hat: „Was sollen wir Christen nun mit diesem verworfenen, verdammten Volk der Juden tun? (...)" und Empfehlungen gibt:
    „Erstlich, dass man ihre Synagoga oder Schule mit Feuer anstecke und, was nicht brennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun, unserm Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien und solch öffentlich Lügen, Fluchen und Lästern seines Sohnes und seiner Christen wissentlich nicht geduldet noch gewilliget haben.
    Zum andern, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben ebendasselbige drinnen, das sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun, wie die Zigeuner, auf dass sie wissen, sie seien nicht Herrn in unserem Lande, wie sie rühmen, sondern im Elend und gefangen, wie sie ohn' Unterlass vor Gott über uns Zeter schreien und klagen.“
…Und dieser Mann, der noch einige weitere Empfehlungen formulierte, käme heute nach Regensburg, in eine Gaststätte dieser lobenswerten Initiative, die nun den Lutherpreis bekommen hat und in deren Speisekarten steht: „Keine Bedienung für Nazis“, der Mann würde glatt verdursten. Der Mann heißt Martin Luther. Eine evangelische Selbstdarstellung in Geschichtsvergessenheit?