Kommunale Kirchenbaulast reduziert

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Gingen an der Fils, 1900 / Ansichtskarte (Ausschnitt) von Eugen Felle

MANNHEIM. (hpd)  Der 1. Senat des Verwaltungs­gerichts­hofs Baden-Württemberg (VGH) hat entschieden, dass die Gemeinde Gingen die historisch begründeten Kirchen­bau­lasten aufgrund wesent­licher Änderungen nur in reduzierter Höhe zu tragen hat: statt 83,3 Prozent nur noch ein Drittel.

Gingen an der Fils ist eine Gemeinde in Baden-Württemberg (Region Stuttgart) und hat eine Entscheidung des Verwaltungs­gerichtshofs Baden-Württemberg erstritten, über die es in Kommentaren heißt, sie könnte eine Klage­welle von Kommunen in ganz Baden-Württemberg auslösen.

Das Urteil wurde zwar bereits am 3. Dezember 2013 gesprochen, aber erst am vergangenen Freitag (3.1.2014) zugestellt – vermutlich wegen der Friedens­erhaltung zur „Weihnachts­pause“, da die Kirchen­gemeinde (und die Landes­kirche) nach beinahe zehn­jährigem Streit nun eine Nieder­lage hinnehmen musste.

Was war geschehen? 2004 wurde der Kirchturm der evangelischen Johannes­kirche für rund 600.000 Euro saniert und nach Abzug der Spenden­gelder des Förder­kreises (155.602,80 Euro) und dem Zuschuss des Landes­denkmal­amtes (59.610 Euro) blieb nach Abzug weiterer Ein­nahmen ein offener Betrag ("Abmangel“) von rund 360.000 Euro, von dem die politische Gemeinde, nach Auffassung der Kirchen­gemeinde, fünf Sechstel (83,3 %), also rund 300.000 Euro zu bezahlen habe.

Rechtsgrundlage dafür sei eine „Aus­scheidungs- und Abfindungs­urkunde“ aus dem Jahr 1890, als Kirchen­gemeinde und politische Gemeinde voneinander getrennt wurden. Damals habe die politische Gemeinde aus Nütz­lichkeits­erwägungen ein Nutzungs­recht am Kirch­turm, seinen Uhren, den Glocken und dem Läut­werk erworben. Daraus ergebe sich aus dem Württem­bergischen Kirchen­gemeinde­gesetz vom 14. Juni 1887 eine anteilige Kosten­tragungs­pflicht nach dem Maß der Benutzung dieser Gegen­stände für Zwecke der bürger­lichen Gemeinde. „Diese Vorschrift“, so der Verwaltungs­gerichtshof, „gelte nach dem Württem­bergischen Kirchen­gesetz vom 3. März 1924 bis heute fort; der Land­tag habe dies durch seine Zustimmung zum Evange­lischen Kirchen­vertrag Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2007 aus­drück­lich bestätigt.“ Wie viel zu zahlen sei, das ergäbe sich aus dem Nutzungs­anteil. Für Gingen wurden 1890 fünf Sechstel der offenen Forderungen vereinbart.

Die politische Gemeinde stellte sich nun (2005) auf den Stand­punkt, dass der Kirch­turm mittler­weile weder als Zentral­uhr oder für die Tages­ein­teilung noch das Glocken­geläut als Alarmierung bei Gefahr eine Bedeutung hätten, also der Nutzen für die Gemeinde nur noch gering sei und war nur noch bereit, 25 Prozent der offenen Forderungen beizu­tragen.

Der Verwaltungs­gerichts­hof gab zwar nun einer­seits der Kirchen­gemeinde (vertreten durch die Landes­kirche) recht, dass diese Verein­barungen kein Vertrag sei, den die Kommune kündigen könne, sondern es sich um ein Gesetz handele, dass nur vom Gesetz­geber geändert werden könne, d. h. prinzipiell bestehen solche kommunalen Kirchen­bau­lasten weiter­hin. Anderer­seits bekam die politische Gemeinde recht, da auf­grund der wesent­lichen Verände­rungen der Verhält­nisse in der Bedeutung des Kirch­turms die „ursprüng­liche Beteiligungs­quote wegen eines untrag­baren Miss­verhältnisses zwischen Leistung und Gegen­leistung objektiv unzu­mutbar“ sei und entschied, dass eine Betei­ligungs­quote von einem Drittel ange­messen sei. Statt der von der Kirche geforderten 300.000 Euro muss die Stadt jetzt nur noch 120.000 Euro zahlen.

Die Stadt hatte sich dabei selbst ein Bein gestellt, denn, wie der Ver­waltungs­gerichts­hof zusätz­lich dar­legte, sei die Kirche im Stadt­wappen abgebildet und da die Stadt ebenso mit der orts­bild­prägenden Wirkung der Kirche Werbung betreibe, sei ihr dieser Anteil zuzu­muten.

Die Zeiten ändern sich, die Rechtsprechung auch

Dieses Urteil ist die aktuelle Weiter­entwick­lung der Rechts­sprechung aufgrund von Entschei­dungen des Bundes­verwaltungs­gerichts in Fragen der kommunalen Kirchen­bau­pflichten.

Die Kirchen­gemeinde Hildburghausen (in Thüringen) hatte vor ein paar Jahren auf Kosten­übernahme der politischen Gemeinde für kirch­liche Bau­maß­nahmen aufgrund historischer Rechts­titel geklagt und dadurch ein für alle ost­deutschen Bundes­länder gültiges Urteil des Bundes­verwaltungs­gerichts ausgelöst.

Das BVerwG (Urteil vom 11.12.2008) schrieb dazu im Leit­satz des Urteils: „Vor Gründung der DDR vertrag­lich verein­barte gemeind­liche Kirchen­bau­lasten sind nicht auf die Gemeinden über­gegangen, die 1990 durch die Kommunal­verfassung der DDR als selbst­ständige Gebiets­körper­schaften neu errichtet wurden, sondern sind regel­mäßig mit dem Beitritt der DDR zur Bundes­republik Deutsch­land er­loschen.“

Dabei ging es in der Urteils­begründung nicht nur um die Frage der staats­recht­lichen Nach­folge­regelungen für die ost­deutschen Bundes­länder, die als nicht ge­geben ablehnend begründet wurde, sondern auch um die sachlich fest­zustellende „Ent­kirchlichung“ der Bevölkerung, die es für ost­deutsche Kommunen als unzu­mutbar erscheinen lasse, für kirchliche Zwecke weiter­hin zwingend Aus­gaben tätigen zu müssen.

In einem weiteren Urteil, zwei Monate später (vom 05.02.2009), ging es um die Ansprüche eines katho­lischen Kirchen- und Pfarr­haus-Baufonds in Württemberg. Das Bundes­verwaltungs­gericht entschied in diesem Fall, dass die Bau­last­verpflichtung weiter­hin bestehe.

Wesentliche Veränderungen

Das Urteil hatte den Leit­satz „Vor Inkraft­treten der Weimarer Reichs­verfassung begründete vertrag­liche Kirchen­bau­lasten sind trotz des Wandels, den die Weimarer Reichs­verfassung in ihren nach Art. 140 GG fort­geltenden Bestimmungen im Verhält­nis von Kirche und Staat bewirkt hat, grund­sätzlich weiter zu er­füllen.“

Allerdings gilt die Ein­schränkung einer wesent­lichen Ver­änderung: „Vertrag­lich begründete kommunale Kirchen­bau­lasten unter­liegen bei einer wesent­lichen Veränderung der Verhältnisse grund­sätzlich der An­passung nach § 60 VwVfG (hier: § 60 VwVfG BW); der Schutz der Kirchen­guts­garantie des Art. 140 GG, Art. 138 Abs. 2 WRV bewahrt nicht vor Rechts­folgen, die die Rechts­ordnung auch sonst an eine grund­legende Änderung der Verhältnisse knüpft.“

Ob es jetzt in Württemberg zu weiteren Klagen kommen wird, bleibt abzuwarten.