Was kostet der Kirchenaustritt?

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K. Nocurn bei der "Freiheit statt Angst" 2013
K. Nocurn bei der "Freiheit statt Angst" 2013

BERLIN. (hpd) Katharina Nocun, die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, will aus der Kirche austreten. Über ihre Gründe dazu schrieb sie einen Artikel, den der hpd ebenfalls veröffentlicht.

Ich werde noch in dieser Woche aus der Kirche austreten. Diese Entscheidung zu treffen war nicht einfach. Nicht etwa aus religiösen Gründen, sondern aus ganz praktischen Überlegungen heraus. In Sachen Kirchenaustritt bin ich in guter Gesellschaft. In Deutschland ist die Zahl der Kirchenmitglieder seit den Fünfzigerjahren von 90 Prozent auf derzeit 58,8 Prozent gesunken. Doch wer denkt, mit der Kirchensteuer entziehe man der Kirche die finanzielle Unterstützung, der irrt. Das Schweigen der Politik zu den Sonderrechten der Kirchen muss gebrochen werden.

Der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands genießt Sonderrechte

Fakt ist: Wer aus der Kirche austritt, muss sich im Jahr 2014 nach Christus immer noch Gedanken über die berufliche Zukunft machen. Denn mit einer Millionen Angestellten sind die großen Kirchen nach dem Staat zweitgrößter Arbeitgeber in Deutschland. Bei vielen Taufen erwachsener Menschen spielt mittlerweile die Berufswahl eine tragende Rolle. Die passende Kirchenmitgliedschaft ist besonders in Schulen und Kindergärten noch immer ein wichtiges Einstellungskriterium. Ganz offen kann die Kirche Bewerber ablehnen, die geschieden sind und sich in einer neuen Partnerschaft befinden oder in anderer Hinsicht nicht nach kirchlichen Moralvorstellungen leben.

Bei dem Arbeitsrecht der Beschäftigten bei kirchlichen Trägern hört die Nächstenliebe auf. Erst dank intensiver Anstrengungen von ver.di gibt es bei einigen Einrichtungen der Diakonie seit Neuestem echte Tarifverträge mit Beteiligung von Gewerkschaften. Mittlerweile gilt das Streikverbot nicht mehr vollständig und die Beschäftigten der Kirchen dürfen zumindest eingeschränkt protestieren. Das sind alles Reformen, die durch Gewerkschaften und Gerichte erstritten wurden. Die auf antikem Recht beruhenden Sonderregelungen werden in der Politik fraktionsübergreifend nicht angerührt - man will es sich nicht mit den Kirchen verderben. Doch wer aus der Kirche austritt, um ein Zeichen gegen die Beschäftigungspolitik der Kirchen zu setzen, wird wahrscheinlich nicht gehört werden.

Schule und Kita: Nachteile für angehende Eltern wegen Austritt

Besonders für angehende Eltern stellt der Kirchenaustritt eine schwerwiegende Entscheidung dar. Die Kirche übernimmt zahlreiche staatliche Aufgaben in der Bildung. Das Steuersystem begünstigt Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, wodurch trotz sinkender Mitgliederzahlen der Kirchen der Anteil der kirchlichen Betreuungseinrichtungen hoch bleibt und sogar steigt. Auf meiner Grundschule hatten der katholische und evangelische Teil getrennt Pause.

In der öffentlichen Wahrnehmung bezahlen die Kirchen diese sozialen Einrichtungen, Schulen und Kindergärten. Das Meiste zahlt jedoch der Staat über Steuereinnahmen, an denen alle Bürger beteiligt sind, unabhängig von deren Religion oder eben Religionslosigkeit. Der Anteil der Kirchen beträgt je nach Träger im Schnitt maximal 10 Prozent. Meist ist es noch weniger. Egal ob Pflege, Schule oder Kindergarten: Der Großteil der Einnahmen kommt nicht aus der Kirchensteuer, sondern aus Steuern, die von der Allgemeinheit bezahlt werden.

Ginge es hier um eine Unternehmensbeteiligung, müsste der Staat das Sagen haben. Hat er aber nicht. Obwohl der Lohn von Krankenschwestern und Lehrern aus Steuergeldern finanziert wird, gibt die Kirche die Regeln für Arbeitsrecht und Religionsanteil im Unterricht vor. Über die Aufnahme von Kindern für die begehrten Kindergartenplätze entscheiden die Träger autonom. Trotz Kirchenaustritt finanziere ich also weiterhin kirchliche Träger, auch wenn ich für meine Kinder konfessionslose Kitas und Kindergärten bevorzugen würde. Und unter Umständen ist es eines Tages von Nachteil, ausgetreten zu sein.

Nach dem Kindergarten geht das Spiel für Eltern von vorne los. Nicht immer ist eine konfessionslose Schule in Reichweite. Der Trend geht zur kirchlichen Trägerschaft. Meist hat dies steuerliche Gründe, denn die großen Kirchen sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts steuerlich deutlich besser gestellt als andere Schulträger. Wegen des besonderen kirchlichen Arbeitsrechts können sie Lohnkosten vergleichsweise gering halten und betreiben damit einen wenig christlichen Wettbewerb.

Auch bei Schulen mit kirchlichen Trägern wird ebenso wie bei Kindergärten der Löwenanteil meist über staatliche Zuschüsse, also durch Steuern, bestritten. Vom Steuerzahler finanziert wird auch der schulische Religionsunterricht in konfessionslosen Schulen. Trotz Kirchenaustritt bezahle ich daher weiterhin via Steuern zahlreiche konfessionsgebundene Schulen und den Religionsunterricht, den ich selbst seinerzeit zugunsten von Mathe-Zusatzunterricht abgewählt habe.

Die verschleppte Trennung von Kirche und Staat kostet Milliarden

Wer im Zuge der Debatte um Tebartz-van Elst in der Hoffnung ausgetreten ist, der Kirche so die finanzielle Unterstützung zu entziehen, irrte leider. Das Gehalt hoher kirchlicher Würdenträger zahlen wir trotz Kirchenaustritt durch Steuern weiter. Es gelten jahrhundertealte „Ausgleichszahlungen". Insgesamt zahlte der Staat allein 2009 mehr als 400 Mio. Euro für die Gehälter von Bischöfen und anderen kirchlichen Würdenträgern. Diese Sonderzahlungen gehen auf alte Verträge zwischen Staat und Kirche aus dem 19. Jahrhundert zurück. Es ist eine Art Abfindung, die seit Generationen fortgeführt wird. Der Auftrag, diese alten Verträge durch die Landesgesetzgebung abzulösen, der aus der Weimarer Verfassung unter Artikel 140 in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen wurde, wartet noch heute, fast 100 Jahre später, auf seine Umsetzung. Die verschleppte Trennung von Kirche und Staat kostet den Steuerzahler Milliarden. Egal ob man Kirchenmitglied ist oder nicht: Bischofsgehälter werden weiter aus dem Staatssäckel, also von jedem mitfinanziert.

Wir können nicht austreten, so lange der Staat es nicht tut

Der Kirchenaustritt ist in den meisten Bundesländern nicht kostenlos. In Niedersachsen beispielsweise kostet die Kündigung dieses unmündig geschlossenen Vertrags 25 Euro. Trotz Austritt bleiben viele Fragen offen. Warum finanziert der Staat immer noch Bischofsgehälter und die religiösen Ausbildungen? Warum gibt in sozialen Einrichtungen der Kirchen nicht das allgemeine Arbeitsrecht die Regeln vor? Warum fördert das Steuerrecht heute überhaupt noch die zunehmende Delegation staatlicher Aufgaben an Kirchen - trotz des rapiden Schwundes bei den Mitgliederzahlen? Bei vielen wichtigen Aufgaben wie Bildung und Pflege stellt sich die Frage, warum die Religion überhaupt mit im Spiel sein muss. Ich möchte später nicht auf ein Altersheim in kirchlicher Trägerschaft angewiesen sein.

Allein wegen des schlechteren Arbeitsrechts, das für die Menschen gilt, die mich einmal pflegen werden. Ich habe meine Gründe, aus der Kirche auszutreten. Viele andere haben ihre Gründe, in der Kirche zu bleiben. Doch den Verflechtungen zwischen Kirche und Staat kann sich keiner entziehen. Jeder ist frei an das zu glauben, was er will. Aber ich habe nicht die freie Wahl, der Organisation Kirche meine Unterstützung entziehen zu können. Bis Religion Privatsache und nicht mehr Teil des Staatsauftrages ist, steht uns noch ein langer Weg bevor. Mit einem Kirchenaustritt ist es im Jahr 2014 nach Christus leider nicht getan. Es ist und bleibt eine politische Frage.