Verfassungsbeschwerden gegen Kirchen

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Taufstein in St. Peter und Paul (Eltville), Foto: Haffitt (CC-BY-SA-3.0)

WOLFENBÜTTEL. (hpd) Die Kindstaufe wird an einem noch nicht volljährigen und damit noch unmündigen Kind vollzogen. Diese Tatsache und dass dieser Akt der Aufnahme in eine Religionsgemeinschaft staatlich anerkannt wird und Auswirkungen auf das gesamte Leben des Menschen hat, hält Prof. Dr. Uwe Hillebrand für verfassungswidrig. Deshalb hat er eine Verfassungsbeschwerde eingelegt.

 

Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland wird u.a. allen Bürgern Religionsfreiheit garantiert, ferner werden generell die Grundrechte der Religionsgemeinschaften definiert. Artikel 140 GG regelt die Rechte der Religionsgemeinschaften. Zu diesem Zweck wurden die diesbezüglichen Bestimmungen der Artikel 136 bis 141 der deutschen Verfassung vom 11.08.1919 (Weimarer Reichsverfassung, WRV) in den Art. 140 GG übernommen. Dieser Artikel des Grundgesetzes gilt also in Verbindung mit (i.V.m.) dem entsprechenden Artikel der WRV.

Durch die Taufe wird ein neugeborener Mensch offiziell in die jeweilige Religionsgesellschaft aufgenommen. Weil der Mensch in der Regel im Säuglingsalter getauft wird, kann er dabei nicht begreifen, wie ihm geschieht. Auch die Fragen nach dem Taufbegehren und dem Glaubensbekenntnis kann der Säugling weder verstehen noch beantworten, weswegen stellvertretend für ihn die Eltern und der Taufpate antworten. Bei dieser wichtigen Entscheidung, ob ein Mensch in die fragliche Kirchengemeinde aufgenommen werden will oder nicht, hat somit der Betroffene selbst nichts zu entscheiden. Diese bei den christlichen Kirchen übliche Verfahrensweise zur Aufnahme eines Mitgliedes verstößt insgesamt gegen fünf Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, gegen die Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde.

Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV lautet: "Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden."

Nach diesem Grundgesetz handelt es sich bei der praktizierten Kindstaufe um eine Zwangstaufe, die der im Grundgesetz allen Bürgern, unabhängig vom Alter, zugesagten Zwangsfreiheit widerspricht. Eine altersbedingte Ausnahme sieht das Grundgesetz hierbei nicht vor. Der Zwang, dem der Täufling ausgesetzt ist, besteht in der völligen Abnahme der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Da er aufgrund seines Alters keine diesbezügliche Entscheidung äußern kann, muss diese Entscheidung auf ein späteres Lebensalter verschoben werden, in dem er dann zu solch einer Entscheidung fähig ist.

Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 lautet: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes."

Bei der Kindstaufe werden demnach die in Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV formulierten Schranken des Gesetzes, die für jeden Bürger der Bundesrepublik Deutschland, also auch für eine Religionsgesellschaft, gelten müssen, von der die Kindstaufe durchführenden Religionsgesellschaft überschritten.

Art. 6 GG Abs. 2 Satz 1 lautet: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht."

Daraus kann nicht das Recht abgeleitet werden, dass Eltern auch über die Taufe und damit die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche ihrer Kinder bestimmen können, weil diese Verfahrensweise Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV widerspricht. Denn unmündige Kinder sind eigene Rechtssubjekte, für die die religiöse Selbstbestimmung zu gelten hat. Das Erziehungsrecht der Eltern darf außerdem nicht das in Art. 4 GG Abs. 1 garantierte Grundrecht auf Religionsfreiheit außer Kraft setzen.

Art. 4 GG Abs. 1 lautet: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich."

Durch eine Taufe im Kleinkindalter wird die in Art. 4 GG Abs. 1 garantierte Religionsfreiheit der Bürger verletzt. Die Eltern nehmen zwar für sich das Recht auf Religionsfreiheit in Anspruch, verwehren es aber gleichzeitig ihrem Kinde. Da es sehr viele Religionen gibt, die jede für sich einen absoluten Wahrheitsanspruch vertreten, widerspricht diese Verfahrensweise der Freiheit des religiösen Bekenntnisses, weil die Eltern mit der Taufe ihrem Kind ihre eigene Religion aufzwingen. Ein Korrigieren dieser elterlichen Entscheidung durch das getaufte Kind in späteren Jahren ist oft nicht möglich, da erfahrungsgemäß die frühkindliche kirchliche Indoktrination, eine direkte Folge der unfreiwilligen Taufe, in vielen Fällen eine Korrektur aus psychologischen Gründen verhindert.

Art. 14 GG Abs. 1 Satz 1 lautet: "Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet."

Die direkte Folge der Taufe ist eine unbefristete Kirchenmitgliedschaft samt späterer Kirchensteuerpflicht. Dies ist nach Art. 14 GG Abs. 1 Satz 1 ein Eingriff in das Grundrecht des Kindes auf Eigentum. Ein Austritt aus der Kirche im Erwachsenenalter und damit ein Beenden der finanziellen Belastung durch die zu zahlende Kirchensteuer ist aus den erwähnten psychologischen Gründen oft nicht möglich und wäre außerdem mit erheblichen Sanktionen durch die jeweilige Kirche verbunden, die beim Austrittswilligen aufgrund seiner jahrelangen Mitgliedschaft in der Kirche trotz aller Zweifel ernste Bedenken verursachen würden.

Weitere Verfassungsbeschwerde gegen das Bundesland Niedersachsen

Der Haushaltsplan des Landes Niedersachsen für das Jahr 2014 wurde am 13.12.2013 vom niedersächsischen Landtag verabschiedet und sieht im Kapitel 0765 (Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften) im Titel 684 31–4 Staatsleistungen an die evangelischen Landeskirchen in Höhe von 33 984 000 Euro und im Titel 684 33–0 Staatsleistungen an die Diözesen in Höhe von 8 528 000 Euro vor. Diese Staatsleistungen sehen Dotationen für so genannte kirchenregimentliche Zwecke und Zuschüsse für Zwecke der Pfarrbesoldung und Pfarrversorgung vor. Das Land Niedersachsen verstößt damit gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV lautet: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde."

Nach der föderalen Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist das Bundesland Niedersachsen eines ihrer Mitgliedsländer. Die Zuschüsse des Bundeslandes Niedersachsen an die evangelische und an die katholische Kirche für die Zwecke der Pfarrbesoldung und Pfarrversorgung stellen demnach eine nach dem Grundgesetz Art. 140 i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV untersagte Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland, hier durch das Bundesland Niedersachsen, bei der Verleihung eines Amtes einer Religionsgemeinschaft dar und sind deshalb untersagt. Denn die Verleihung eines Kirchenamtes durch die beiden Großkirchen ist nur möglich bei Finanzierung desselben. Die hierfür verwendeten Gelder des Landes Niedersachsen fehlen aber in dessen Landeshaushalt an anderer Stelle, was einen weiteren Verstoß gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bedeutet.

Art. 5 GG Abs. 3 Satz 1 lautet: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei."

In Deutschland wird die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre als Grundrecht geschützt. Es liegt in der Natur der Sache, dass der zur Verfügung stehende Finanzrahmen das Niveau und damit die Freiheit der Forschung zu einem großen Teil mitbestimmt. Denn bei zu geringer finanzieller Ausstattung der Forschung wird deren Freiheit automatisch eingeengt. Als Folge davon ist auch die Qualität der Lehre betroffen. Damit führt die nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV untersagte Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland, hier durch das Bundesland Niedersachsen, bei der Verleihung eines Kirchenamtes dazu, dass die hierfür aufgewendeten Gelder in Höhe von insgesamt 42 512 000 Euro der aktuellen Forschung entzogen werden, was einen Verstoß gegen Art. 5 GG Abs. 3 Satz 1 darstellt.

Art. 2 GG Abs. 2 Satz 1 lautet: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit."

In Deutschland werden die persönlichen Freiheitsrechte der Bürger als Grundrecht geschützt. Da die finanzielle Förderung der wissenschaftlichen Forschung durch die Anwendung ihrer Ergebnisse direkt auf die Qualität des Lebens der Bürger wirkt – man denke dabei allein an die medizinische und pharmazeutische Forschung, deren Ergebnisse im Krankheitsfall lebenswichtig sein können –, werden durch diese Vorgehensweise des Bundeslandes Niedersachsen die Grundrechte der deutschen Staatsbürger verletzt. Speziell das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wird durch die Einengung des finanziellen Rahmens der medizinischen und pharmazeutischen Forschung verletzt. Die Zuschüsse des Bundeslandes Niedersachsen an die evangelische und an die katholische Kirche für die Zwecke der Pfarrbesoldung und Pfarrversorgung verstoßen demnach auch gegen Art. 2 GG Abs. 2 Satz 1.

Uwe Hillebrand