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Theodizee im Schattenland

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Fotos: Screenshots

GIESSEN. (hpd) Jeden Freitag veröffentlicht der hpd einen Artikel zu einem Film oder einer Serie, die mit einem “humanistischen Auge” gesehen werden. Der Philosoph Edgar Dahl beleuchtet das Theodizee-Problem anhand der späten Liebesgeschichte zwischen dem sehr gläubigen irischen Literaturwissenschaftler C. S. Lewis und der schwerkranken amerikanischen Schriftstellerin Joy Gresham.

 

Lewis, großartig gespielt von Anthony Hopkins, lehrt an der University of Cambridge. Obgleich er vor allem durch seine Kinderbücher, wie etwa den “Chroniken von Narnia” weltweiten Ruhm erlangt, beschäftigt er sich doch durchaus auch mit ernsten Themen. Eines dieser Themen ist das so genannte “Theodizee-Problem”, also die Frage: Wie kann ein allmächtiger, allwissender und allgütiger Gott eigentlich all das Leid und Elend in dieser Welt zulassen?

Zu Beginn des Films hat Lewis auf diese schwierige Frage eine einfache Antwort: Gott will, dass wir leiden. Mit dem Leid will Gott uns zu besseren Menschen machen. Wie ein Bildhauer mit Hammer und Meißel auf den Marmor einschlagen muss, um sein Kunstwerk zu vollenden, so muss auch Gott mitunter auf die Menschen einschlagen, um seine Schöpfung zu vollenden.

Als sich Lewis im Alter von 58 Jahren in die verheiratete Schriftstellerin Joy Gresham verliebt, wendet er sich jedoch zunehmend von dieser ästhetisierenden Sicht der Dinge ab. Joy leidet am Osteosarkom, im Volksmund oft “Knochenkrebs” genannt, und sie hat fürchterliche Schmerzen. Seine gewohnte Antwort auf die lästige Theodizee-Frage stellt Lewis plötzlich nicht mehr zufrieden. Sicher, Leid mag einen Menschen und die, die ihn lieben, durchaus reifen lassen und ihren Charakter veredeln. Doch warum so viel Leid? Und vor allem: Warum so viel unnötiges Leid? Dies steht doch in keinem Verhältnis zueinander!

Debra Winger als Joy

Als Joy unter geradezu unerträglichen Schmerzen stirbt, bricht es denn auch voller Zorn aus Lewis heraus: “Wir sind nur die Ratten in Gottes kosmischen Laboratorium!” Und mit beißendem Sarkasmus fügt er hinzu: “Ich bin sicher, dass dieses Experiment nur zu unserem Besten ist, doch es ändert nun einmal nichts daran, dass es Gott zu einem Vivisektionisten macht.”

Anders als Richard Attenboroughs Film suggeriert, hat C. S. Lewis in Wirklichkeit nie seinen Glauben an einen gütigen Gott verloren. Doch die Frage lautet, konnte er seine Hoffnung auf einen barmherzigen Schöpfer wirklich noch rational rechtfertigen?

Das Theodizee-Problem ist älter als das Christentum. Schon vor mehr als zweitausend Jahren kleidete der griechische Philosoph Epikur es in die Frage: “Ist Gott willens, aber nicht fähig, die Übel zu verhindern? Dann ist er nicht allmächtig! Ist er fähig, aber nicht willens? Dann ist er nicht allgütig! Ist er sowohl fähig als auch willens? Woher kommen dann die Übel?”

Wie aus Epikurs Formulierung schon deutlich wird, ist das Theodizee-Problem ein logisches Problem. Es besteht in der logischen Unvereinbarkeit der Eigenschaften Gottes mit den Eigenschaften dieser Welt.

In meinen Augen kann man das Theodizee-Problem deshalb auch nicht lösen. Man kann es allenfalls umgehen. Und zwar, indem man Gott eine seiner drei vermeintlichen Eigenschaften abspricht.

Wenn man Gott beispielsweise die Allwissenheit absprechen würde, könnte man behaupten, dass er das Leid dieser Welt zwar gerne verhindern würde, doch leider nicht über das hierfür nötige Wissen verfüge. Ähnlich: Wenn man Gott die Allmacht absprechen würde, könnte man behaupten, dass er die Übel zwar gerne abstellen würde, doch leider nicht über die hierfür erforderliche Macht verfüge. Und schließlich: Wenn man Gott die Allgüte absprechen würde, könnte man behaupten, dass er das Leid und Elend dieser Welt zwar sehen würde, es ihn aber einfach nicht berühre.

BeispielbildMit Ausnahme von Hans Jonas und Hans Küng, die offen die Allmacht des Schöpfers bestreiten, scheint sich die Mehrheit der Theologen aber nicht dazu durchringen zu können, Gott kurzerhand eines seiner drei Attribute zu berauben. Stattdessen haben sich religiöse Apologeten wie C. S. Lewis über die Jahrhunderte eine Vielzahl von Antworten auf die Theodizee-Frage ausgedacht. Doch leider ist keine davon wirklich überzeugend.

Die möglicherweise älteste Antwort findet sich im Buch Hiob, im Alten Testament. Darin beantwortet Gott höchstpersönlich die Theodizee-Frage. Allerdings besteht seine Antwort allein aus einer Reihe von Gegenfragen:

“Wer ist der, der den Ratschluß verdunkelt mit Worten ohne Verstand? Gürte wie ein Mann deine Lenden; ich will dich fragen, lehre mich! Wo warst du, da ich die Erde gründete? Sage an, bist du so klug! Wer hat das Meer mit Türen verschlossen, da es ausbrach wie aus einem Mutterleib? Bist du in den Grund des Meeres gekommen und in den Fußstapfen der Tiefe gewandelt? Haben sich dir die Tore des Todes je aufgetan, oder hast du gesehen die Tore der Finsternis? Kannst du die sieben Sterne zusammenbinden oder das Band des Orion auflösen? Kannst du den Morgenstern hervorbringen zu seiner Zeit? Weißt du des Himmels Ordnungen, oder bestimmst du seine Herrschaft über die Erde?”

Kurz, Gott fragt Hiob, was er glaubt, wer er ist, dass er sich allen Ernstes anmaßt, ihn zu richten. Oder anders ausgedrückt: Gott verbietet dem Menschen einfach den Mund, indem er ihm seine Bedeutungslosigkeit vor Augen führt!

Nach einer anderen biblischen Antwort ist das Leid dieser Welt “der Sünde Sold”. Ganz gleich, ob wir “Adams Fall” wortwörtlich nehmen oder nur im übertragenen Sinne verstehen, der Mensch hat sich Gott widersetzt, so dass Alter, Krankheit und Tod der gerechte Lohn für seine Missetaten sind. Vor einigen Jahrhunderten mochte diese Antwort vielleicht noch hinnehmbar sein; doch heute haben wir mit der darin angesprochenen “Sippenhaft” zu Recht unsere Probleme. Kaum jemand kann es noch als gerecht empfinden, dass ein dreijähriges Kind jämmerlich an Leukämie zu Grunde gehen muss, nur weil irgendein anderer eine “Sünde” begangen hat.

In meinen Augen hängt die Unhaltbarkeit dieser Antwort aber nicht allein von unserem veränderten Gerechtigkeitsempfinden ab. Selbst wenn wir für einen Augenblick die Sippenhaft als gerechtfertigt betrachteten, macht der Verweis auf “Adams Fall” einfach keinen Sinn. Wenn Gott, wie angenommen, nicht nur allmächtig und allgütig, sondern auch allwissend ist, dürfte er bereits vor der Erschaffung des Menschen gewusst haben, dass er von ihm abfallen wird. Warum also eine Kreatur erschaffen und bestrafen, von der er allezeit wissen musste, dass sie sich als undankbar erweisen wird?

Ich würde daher letztlich auch Arthur Schopenhauer recht geben, der einmal treffend sagte: “Es scheint, als hätte der liebe Gott diese Welt nur geschaffen, damit der Teufel sie holen solle.”

Trailer (engl.):

Shadowlands (GB 1993) Regie: Richard Attenborough, Darsteller u.a.: Anthony Hopkins, Debra Winger, Edward Hardwicke, Joseph Mazzello, James Frain, Julian Fellowes. Nominiert für zwei Oscars.