Das ABC des Christentums (2)

Das Buch Die Kirche im Kopf – Von „Ach Herrje!“ bis „Zum Teufel!“ klärt auf heiter-satirische Weise über das Christentum auf.


 

Das 286seitige Werk der beiden hpd-Redakteure Carsten Frerk und Michael Schmidt-Salomon versteht sich als „Enzyklopädie für freie Geister und solche, die es werden wollen“. Das Lexikon erklärt, warum im christlichen Kulturkreis angeblich „alles Gute von oben kommt“, warum „Christstollen“ keine Katakomben im alten Rom sind und weshalb „Gott immer bei den stärksten Bataillonen ist“ („Heiliges Kanonenrohr!“). Der Humanistische Pressedienst hat Auszüge aus dem Buch (jeweils ein Begriff pro Buchstabe) zu einer kleinen Serie zusammengestellt.

 

 

 

E

Empfängnis, unbefleckte: Das Christentum ist (vor allem in Gestalt des Katholizismus) eine Religion mit feinsinnigen Nuancen. So ist Empfängnisverhütung böse, Empfängnisfleckenverhütung als Spezialität des Heiligen Geistes jedoch ein Zeichen höchster Heiligkeit. Wir Sterblichen stehen nur vor der Wahl, uns mittels Empfängnisverhütung zu versündigen oder uns und unsere Nachkommen im Rahmen einer ordnungsgemäß vollzogenen Empfängnis zu beflecken.

Der Mythos der unbefleckten Empfängnis ist nicht in den Werbeabteilungen der Waschmittelindustrie erfunden worden, sondern beruht auf einem jahrtausendalten Übersetzungsfehler des Wortes Jungfrau. Kern ist die Vorstellung, dass eine Frau schwanger wurde und dennoch Jungfrau blieb, d. h. keinen normalen Geschlechtsverkehr hatte. Hierdurch wurde verhindert, dass sie zur Weiterverbreitung des Virus der → Erb­sünde beitrug, der nach christlicher Überzeugung – analog zu herkömm­lichen Geschlechtskrankheiten – sexuell übertragen wird. Insofern hatte Nietzsche vollkommen Recht, als er schrieb, dass das Dogma der un­befleckten Empfängnis die Empfängnis befleckte. Bei allem „Geheimnis des Glaubens“ ist doch das Diskriminierende deutlich: Der Mythos der unbefleckten Empfängnis machte aus der natürlichen Empfängnis eine schmutzige, sündige Sache.

In christlicher Verschwisterung mit → Sünde, → Sexualität und er­laubter → Lust ist daraus der Zwang zum Duschen vieler Menschen (ins­besondere von Frauen) nach dem Koitus entstanden, um die möglichen Flecken der ausgetauschten Körperflüssigkeiten abzuspülen. In Analogie zu den Händen, waschen diese Menschen ihren ganzen Körper in Unschuld. Es muss – in Übernahme energetischer Ansichten – allerdings die Dusche sein, denn nur mit dem Duschwasser kann das Böse abfließen. Bei einem Wannenbad bliebe man mittendrin sitzen, im Bösen.

Sinnigerweise wurde das Fest der Unbefleckten Empfängnis 1476 von Papst Sixtus IV. gestiftet. Das war derjenige „Heilige Vater“, der nicht nur die Sixtinische Kapelle bauen ließ, sondern auch ein Bordell betrieb, Steuern von seinen Nutten bezog und mit der eigenen Schwester und seinen Kindern koitierte (vgl. u. a. Deschner, Die beleidigte Kirche, S. 19). ( Sexualität) Das berühmt-berüchtigte Dogma der unbefleckten Empfängnis ist noch neueren Datums (1854). Es bezeichnet nicht – wie häufig missverstanden – die unbefleckte (samen- und erbsündenfreie) Empfängnis des Jesuskindes (das war ja schon lange vorher klar!), son­dern die ebenso unbefleckte Empfängnis der Gottesmutter selbst. (Maria war also genetisch sündenfrei!) Dadurch wurde der Heilige Geist von dem Verdacht befreit, eine erbsündig belastete Dame befruchtet zu haben (→ Früchte).

F

Fegefeuer: fegen, mittelhochdeutsch vëgen, bedeutet reinigen (wenn man den Boden mit dem Besen fegt, reinigt man ihn, befreit ihn von Unrat). Entsprechend ist das christliche Fegefeuer auch keines, in dem der sün­dige Mensch, der da zur „Reinigung“ hinein gezwungen wird, verbrennt. Das strafende Feuer reinigt (quält) den Sünder so lange, bis er eschatologisch sauber, also von seinen Sünden befreit ist. Das Ganze ist also ein Akt der göttlichen → Gnade. Deshalb wird das mit dem → Hexenverbrennen auch immer völlig falsch gesehen.

In den biblischen Evangelien nicht vorgesehen (dort gibt es nur Himmel und Hölle) wurde das Fegefeuer eingeführt, um die lausige, da auch weiterhin sündige Kundschaft besser erschrecken zu können. Die alte Marketingstrategie (Himmel oder Hölle) bedeutete für die meisten Menschen recht automatisch „Hölle“ und hatte entweder Depressionen zur Folge oder die Leute lebten nach dem Prinzip: „Sind die Sünden potenziert, lebt es sich ganz ungeniert!“ Da in beiden Fällen keine Chance gesehen wurde, der Hölle zu entfliehen, bestand keine große Motivation, sich durch „gute Werke“ für die Kirche (Stiftungen, Schenkungen, Erbschaften etc.) bessere Ausgangsvoraussetzungen zu verschaffen.

Da das Fegefeuer klugerweise als Zeit-Strafe konzipiert wurde und man sich von solchen Strafen in allen korrupten Systemen freikaufen kann, etablierte sich ein lukratives Geschäft mit der → Sünde, der Ablass. Dann aber wurde Martin Luther der Spielverderber. Er strich das Fege­feuer und verlegte es in die Gegenwart und das Innere des Menschen hinein. Dieses „Fegefeuer von Innen“ nennt sich heute Gewissensbisse.

G

Gericht, das Jüngste: Hierbei handelt es sich nicht etwa um die allerneueste Rezeptidee von ‘Fernsehkoch’ Alfred Biolek. Das Jüngste Gericht ist vielmehr eines der ältesten Gerüchte der Christenheit. Schon die Jünger Jesu erwarteten das Jüngste Gericht bald nach dem Tod ihres Heilands. Der Gerichtstermin wurde aber aus bisher ungeklärten Gründen verschoben. Danach traten immer wieder Propheten auf, die den genauen Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts zu kennen glaubten (vgl. Randi, Lexikon der übersinnlichen Phänomene, S.367, ff.). Besonders an magischen Zeitwenden bibberten die Menschen in Anbetracht des angekündigten harten Richtspruchs Gottes. Aber nichts geschah. Der angedrohte ‘Prozessbeginn’ verzögerte sich ein um das andere Mal, und das ist auch gut so – vor allem, wenn man sich die bedauernswerte geistige Verfassung des maßgeblichen Richters ( Gott) anschaut. Auch die in Aussicht ge­stellte Strafregelung ( Hölle) trägt nicht dazu bei, dass wir uns für das Jüngste Gericht erwärmen können. Dann schon lieber fröhliches Promi­nentenkochen mit Biolek

H

heilig: unantastbar, vollkommen, dem Irdischen entrückt, Gegenbegriff zum bloß Profanen. Eine Person oder Sache, die mit dem Etikett „heilig“ versehen ist, ist dem Zugriff der frechen irdischen Vernunft entzogen. Deshalb haben die Kirchen stets großen Wert darauf gelegt, alles zu heiligen, was nicht niet- und nagelfest ist. Besonders hervorgetan hat sich dabei – wen wundert’s? – die Heilige Katholische Kirche. Die räumte zwar ein: „Die Heiligkeit der Kirche scheint in erheblicher Spannung zur konkreten Erfahrung [der Menschen mit] der Kirche zu stehen.“ Das aber sei nur halb so schlimm, denn: „Der Glaube erkennt jedoch auch eine tie­fere Dimension der Kirche.“ (Katholischer Erwachsenen-Katechismus I, S. 283) Aha! Lesen wir weiter: „Im Sprachgebrauch der Heiligen Schrift meint Heiligkeit nicht primär ethische Vollkommenheit, sondern Aus­gesondertsein aus dem Bereich des Weltlichen und Zugehörigkeit zu Gott. [...] Die [→ ] Kirche ist heilig, weil sie von Gott her und auf ihn hin ist.“ (ebenda, S. 284) (Die Einsicht, dass die Kirche „hin“ ist, ist sicher­lich bei der Korrektur übersehen worden.) Jetzt verstehen wir: Man kann zwar ein Schwein sein (ethisch betrachtet), aber wenn man dabei die Sakramente und Gebote der Heiligen Katholischen Kirche beachtet, ist alles in Butter. Und deshalb erhält alles, was von Gott stammt und zu ihm „hin ist“, dieses wertvolle Prädikat der Heiligkeit, Inc.: Geist Heilig®, Familie Heilig®, Dreifaltigkeit Heilig®, Drei Könige Heilig®, Jungfrau Maria Heilig®, Mutter Kirche Heilig®, Bibel Heilig® etc. Und da Papst Johannes Paul II. besonderen Spaß an Wundern und zudem das Exklusivrecht der Heiligenernennung besaß (seit Papst Alexander II., 1170), hatte er (bis 2004) immerhin 465 Menschen zu Heiligen ernannt – so viele, wie seine Vorgänger in den vorherigen 400 Jahren zusammen.

P. S. Rindviechern wird das Zeichen, wem es gehört, in das Fell ein­gebrannt; Menschen erhalten den unauslöschlichen Prägestempel, dass sie Gott gehören, mit der Taufe, die Kirche macht es sich selber, das Heilige, durch sich selbst und für sich selbst. Natürlich im Auftrag des Herrn, versteht sich. Aber da der Herr in 2000 Jahren kirchlicher Heiligung nie­mals Widerspruch einlegte (und gibt es denn ein besseres Zeugnis für die Heiligkeit der Kirche ?!), wird das alles schon seine Richtigkeit haben.

I

Index: Wenn ein Buch, ein Film oder eine CD „auf den Index kommt, dann wird er / sie / es verboten oder zumindest werden Maßnahmen getrof­fen, die verhindern, dass Jugendliche leichten Zugang zu diesen medialen Inhalten erhalten (Beispiel: Index der jugendgefährdenden Schriften). Vorbild dieser liebevollen (um das Kindes- und Jugendwohl bemühten) Zensurmaßnahme ist der Index Romanum, die Liste der von amtskirchli­cher Seite als für den Glauben gefährlich eingestuften und daher verbote­nen Bücher. Der Index Romanum war bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil für katholische Christen verbindlich, seit 1966 halten sich nur noch besonders glaubensfeste Katholiken (beispielsweise die Mitglieder des Laienordens Opus Dei) an die freundliche Literaturverbotsempfeh­lung des Vatikans. Es ist uns nicht bekannt, ob der Index seit den 1960er Jahren weitergeführt wurde. Wenn ja, dürfte er mittlerweile ganze Schrankwände füllen. Fakt ist jedoch, dass auf dem Index Romanum einige der maßgeblichen Werke der belletristischen und philosophischen Weltliteratur zu finden waren (u. a. Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft, später auch die Werke Sartres – nicht aber Hitlers Mein Kampf).