Das ABC des Christentums (5)

Das Buch Die Kirche im Kopf - Von „Ach Herrje!" bis „Zum Teufel!" klärt auf heiter-satirische Weise über das Christentum auf.

 

Das 286seitige Werk der beiden hpd-Redakteure Carsten Frerk und Michael Schmidt-Salomon versteht sich als „Enzyklopädie für freie Geister und solche, die es werden wollen". Das Lexikon erklärt, warum im christlichen Kulturkreis angeblich „alles Gute von oben kommt", warum „Christstollen" keine Katakomben im alten Rom sind und weshalb „Gott immer bei den stärksten Bataillonen ist" („Heiliges Kanonenrohr!"). Der humanistische Pressedienst hat Auszüge aus dem Buch (jeweils ein Begriff pro Buchstabe) zu einer kleinen Serie zusammengestellt.

Dies ist nun die fünfte und letzte Folge.

 

 

S
Schweine und Säue:
„Die Perlen nicht vor die Säue werfen": Man soll etwas Wertvolles nicht jenen geben, die es nicht zu schätzen wissen. Die Redewendung geht zurück auf Mt 7, 6. Der Ausspruch hatte ursprünglich eine provokant politische Bedeutung, denn mit „Perle" war die jüdische „Thoraweisheit" gemeint, mit „Säuen" (oder Schweinen) die verhassten römischen Besatzer, die das für Juden unreine und daher verbotene Schweinefleisch konsumierten. Der historische Jesus (sofern es eine solche Person gab) war also (im scharfen Gegensatz zu seinem späteren, selbst ernannten Apostel Paulus) davon überzeugt, dass Nichtjuden niemals missioniert werden dürften (was die Entwicklung des Christentums zur Weltreligion von Grund auf verhindert hätte.) Wie sehr Jesus als patriotischer Jude und erklärter Römerfeind dachte, zeigt insbesondere jene Stelle, die Generationen von naiv gläubigen Tierfreunden in arge Bedrängnis brachte: Der Evangelist Markus beschreibt in den Versen 5, 1-20, wie Jesus einen besessenen Mann heilt, indem er die Dämonen, von denen der Ärmste befallen war, in zweitausend Schweine fahren lässt, die daraufhin den Abhang hinunterstürzen und im See ertrinken. Auch hier wurde der Begriff „Schwein" als Synonym für „Römer" gebraucht.
Tierschützer können also beruhigt sein, dass Jesus sich nicht an harmlosen Schweinen ausließ. Christen jedoch sollten sich gut überlegen, ob sie sich gläubig auf einen Mann beziehen möchten, der ausschließlich die Mitglieder der eigenen Volks- und Glaubensgruppe als echte Menschen wahrnahm.

 

T
Tschüs(s):
Der Norden Deutschlands sei – so lautet eine immer wieder gern beschworene → Selbstbeweihräucherung – mit seinem flachen Land (da kann man sehr weit gucken!) viel freisinniger, als die folkloristischen Süddeutschen mit ihren beschränkenden Bergen und insbesondere die Bayern mit ihrem „Grüß Gott!"

So gibt es ein Lied von der „Waterkant", in dem stolz gesungen wird: „Im Norden sagt man Tschü-ü-ü-s und meint auf Wiederseh'n!" Tja. Da ist wohl etwas verloren gegangen. Und zwar das einfache Wissen, woher das Wort Tschüss stammt: aus der klerikalen Küche.

Die Franzosen parlierten während der „Franzosentied", d. h. der Besetzung von Niedersachsen und Hamburg durch die Truppen Napoleons, natürlich französisch und sagten zum Abschied: „A Dieu!" (Auf deutsch: Bei ... / Auf zu ... / Grüß Gott!). Die plattdeutsch sprechenden Bauern, Fischer und Städter konnten kein gepflegtes Französisch und formten das französische „Adieu!" zum plattdeutschen: „Atschö!". Daraus wurde dann „Tschö!", und schließlich „Tschüss".
Eine andere Variante leitet das „Tschüs" vom holländischen „Adjus" ab, das während der spanischen Besetzung vom „Adios" abgeleitet worden sein soll. Da aber „Adieu" und „Adios" die gleiche Quelle haben, sind es regionale Varianten gleichen Ursprungs.

Sakra! Also auch im „Missionsgebiet" bei den Nordlichtern keine Aufklärung! Auch im Norden grüßen wir den HERRN, wenn wir uns mit „Tschüss" verabschieden: „Auf zu Gott!"

 

U
Ungerechtigkeit:
„Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit": Ein als besonders gravierend empfundener Bruch des Gerechtigkeitsverständnisses. Der Begriff folgt einer Phrase der Bibel (1 Mose 4, 10). Der HERR spricht zu Kain, der seinen Bruder Abel erschlagen hat: „Die Stimme des Blutes [Igitt, sprechendes Blut] deines Bruders schreit zu mir von der Erde." Bei all der himmelschreienden Ungerechtigkeit seitdem, ist der HERR, wie es scheint, taub geworden. Vielleicht erklärt das ja, warum ER den Hungernden in der Welt nicht segensreich unter die Arme greift.

 

V
Valentinstag
ist der 14. Februar, an dem die klassischen Römer der Göttin Juno gedachten, als Beschützerin der Ehe und Familie. Im christlichen ‘Umsatteln' der Festtage der heidnischen Götter auf einen christlichen Patron musste ein passender Heiliger her. Und flugs fand sich ein um 268 Gestorbener, Valentin mit Namen, vermutlich Bischof von Terni, der am 14. Februar wegen seines Glaubens vom römischen Kaiser hingerichtet worden sein soll. Und dieser Valentin pflegte, der Überlieferung nach (d. h. es ist alles zusammengelogen), Liebespaaren Blumen zu schenken.

 

W
Weihnachtsmann:
Wer kennt ihn nicht, den dicken älteren Mann mit seinem weißen Bart, der roten Zipfelmütze und seiner roten Kleidung, die mit weißen Rändern (Pelz) besetzt ist. Ja, das ist der Weihnachtsmann, der deutsche „Herr Winter", der als „Väterchen Frost" auch Russland eroberte und aus den USA zurückkam von und mit Coca-Cola. (Weiß auf rot sind bekanntlich die Hausfarben dieses Getränkeherstellers.) Und das, liebe Kinder, kam so zustande: Der von Martin Luther verbotene Heilige Nikolaus blieb in den Niederlanden als Sinter Claas, bis er dann nach Nordamerika auswanderte. Dort nannte er sich erst Santa Claus und dann (ohne Heiligenschein) Father Christmas. Dann wurde er in New York einheitlich angezogen: roter Mantel, Mütze und weißer Bart. Die Geträn¬kefirma Coca-Cola erkannte ihre eigenen Markenfarben (rot-weiß) als Werbeträger und beauftragte 1931 den aus Schweden stammenden Zeichner Hadden Sundblom, den schrulligen Santa Claus für eine Werbekampagne als Sympathieträger zu zeichnen. Er portraitierte das Gesicht eines pensionierten Coca-Cola-Fahrers. Jedes Jahr ließ Coca-Cola dann für die (erfolgreiche) Weihnachtswerbung neue Varianten zeichnen und es entstand der Inbegriff des Weihnachtsmannes: Ein gemütlicher alter Mann, mit roten Pausebäckchen und wallendem weißem Bart, der rote Hosen und einen roten kurzen Mantel mit weißem Pelzbesatz trägt – alles in den Farben von Coca-Cola. Die amerikanischen Soldaten hatten dann nicht nur Coca-Cola im Gepäck, sondern auch den Weihnachtsmann. Und da er nicht gestorben ist, lebt er auch noch heute ...

 

Z
Zeitrechnung:
Die jüdische Zeitrechnung leitet sich von der Bibel ab. Die jüdischen Religionswissenschaftler haben sich auf den 6. Oktober 3761 u. Z. als den ersten Tag der Welt geeinigt. Es war ein Sonntag und die Geburtssekunde ist sehr exakt benannt: 23 Uhr 11 Minuten und 20 Sekunden. (Da fand dann also der ‘Urknall' statt.) Der Islam beginnt 622 u. Z. mit seiner Zeitrechnung, dem Jahr, als der Prophet Mohammed nach Yathrib zog, das er später in Medina umbenannte. (Das muslimische Kalenderjahr ist allerdings ein Mondjahr, d. h. 10 bis 12 Tage kürzer als das Sonnenjahr.)

In Rom rechneten auch die Christen nach dem römischen Kalender (Jahreszahl im Verhältnis zu den Regierungsjahren römischen Kaiser). Im – aus heutiger Sicht gesehen – 6. Jahrhundert entwickelte sich die Vorstellung, eine eigene Zeitrechnung mit der Geburt von Christus zusammenzubringen. Bei der Berechnung unterlief dem damit beauftragten Mönch (Dionysius Exiguus) allerdings ein Fehler, da der historische Jesus – so er denn überhaupt gelebt hat – vermutlich zwischen 4 und 7 „vor Christus" geboren wurde (→ Kalender).

Alle Jahrtausendfeiern sind entsprechend vielleicht willkommene ‘Events', aber ansonsten nichts weiter als eine konventionelle Beliebigkeit katholischer Erfindung. Der Versuch, statt „vor Christus / nach Christus" durch „vor / nach der Zeitenwende" zu ersetzen, übersieht, dass es eben zu dem angenommenen Zeitpunkt keine Zeitenwende gegeben hat.

Sinnvoller wäre es allemal, die Zeitrechnung nicht mit der (falsch berechneten) vermeintlichen Geburt des christlichen Erlösers zu beginnen, sondern beispielsweise mit dem erstmaligen Auftreten unserer Spezies vor ca. 100.000 Jahren. Um Komplikationen zu vermeiden, könnte man dabei Rücksicht auf die etablierte westliche Zeitrechnung nehmen und die Menschheitsgeschichte vor 100.000 Jahren + die Jahre der konventionel¬len Zeitrechnung beginnen zu lassen: Demnach würde die Erstauflage dieses Buches im Jahr 102.007 (Abkürzung wie bislang: 07) erscheinen, Epikur hätte von 99.659 bis 99.730 gelebt (nach alter Zeitrechnung; 341 bis 270), Cicero von 99.894 bis 99.957 (alte Zeitrechnung: 106 bis 43), Jesus von Nazareth (sofern wir annehmen, dass eine solche Person exis¬tierte) wäre etwa 99.995 geboren worden, Mohammed im Jahre 100.571.

Der Vorteil dieser alternativen Zeitrechnung wäre, dass sie verdeutlichen würde, wie ungeheuer kurz die Spanne menschlicher Hochkulturen und natürlich auch der sog. „Hochreligionen" im Vergleich zur gesamten Menschheitsgeschichte gewesen ist. Mehr als 100.000 Jahre lang hatten die Menschen definitiv keine „Kirche im Kopf" und es ist stark anzunehmen, dass es keineswegs weitere 100.000 Jahre dauern wird, bis die religiösen Meme dieser Institution wieder aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind.