Das ABC des Christentums (4)

Das Buch Die Kirche im Kopf – Von „Ach Herrje!“ bis „Zum Teufel!“ klärt auf heiter-satirische Weise über das Christentum auf.

 

 

 

Das 286seitige Werk der beiden hpd-Redakteure Carsten Frerk und Michael Schmidt-Salomon versteht sich als „Enzyklopädie für freie Geister und solche, die es werden wollen“. Das Lexikon erklärt, warum im christlichen Kulturkreis angeblich „alles Gute von oben kommt“, warum „Christstollen“ keine Katakomben im alten Rom sind und weshalb „Gott immer bei den stärksten Bataillonen ist“ („Heiliges Kanonenrohr!“). Der humanistische Pressedienst hat Auszüge aus dem Buch (jeweils ein Begriff pro Buchstabe) zu einer kleinen Serie zusammengestellt.

 

 

N

Nikolaus ist ein Heiliger, dem es ziemlich arg ergangen ist – nicht nur vor fünfhundert Jahren von den Evangelisch-Lutherischen, sondern vor relativ kurzem auch von Seiten der römisch-katholischen Amtsträger. Traditionell brachte er die (richtigen) Geschenke für die Kinder am 6. Dezember – Weihnachten war nur ein Gedenktag – und das war sehr beliebt, nur bei Martin Luther nicht, der mit dem ganzen katholischen Heiligen-Gespuke aufräumte, d. h. alle Heiligen abschaffte (→ Weih­nachten). Die Katholiken kümmerte es lange Zeit nicht und auch die Evangelisch-Reformierten in den Niederlanden ließen sich ihren Santa Klaas nicht nehmen und bescheren auch weiterhin am 6. Dezember.

Katholisch ging’s dem Nikolaus gut, allerdings nur bis 1969, als Papst Paul VI. den Gedenktag des Heiligen aus dem römischen Generalkalender strich. Auch der von der Vatikanischen Gottesdienstkommission konfir­mierte Regionalkalender für den deutschen Sprachraum führt den Niko­laustag nicht mehr auf. So ist der Tag nun vollkommen „profaniert“ und der Süßwarenindustrie zur allgemeinen reinen Kommerzialisierung über­geben.

 

O

Onanie: Beinahe alle von uns (vor allem die Männer, aber auch Frauen) haben es schon gemacht und dennoch gilt es immer noch in konservativen Kreisen als „wohl die zahlenmäßig am häufigsten auftretende sexuelle Anomalie“ (Schelsky, Soziologie der Sexualität, S. 76). Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?

Die Onanie, fachgerecht: „Masturbation“ genannt, ist die so genannte Selbstbefriedigung des Mannes. Für die Frauen war Selbstbefriedigung früher nicht bekannt, da ihre Sexualität entweder ganz geleugnet oder unterdrückt wurde und weibliche Masturbation für die Männer unter dem Gesichtspunkt der → Diktatur des Genetariats“ (Verlust von Spermien für die Zeugung) ohne Interesse war. Aktuell katholisch gehört die Mas­turbation zu den „Formen sexuellen Verhaltens, die dem vollen Sinn menschlicher Geschlechtlichkeit nicht entsprechen“ (Katholischer Er­wachsenen-Katechismus II, S. 378). Und weiter katholisch: „Ob und in welchem Maße bei der Masturbation Schuld vorliegt, hängt somit auch davon ab, wieweit Einsicht und Freiheit mitspielen.“ (Katholischer Er­wachsenen-Katechismus II, S. 379) Im Klartext heißt das allerdings: Wer doof ist, darf auch wichsen.

Der biblische Onan, dessen Namen dieser „sexuellen Anomalie“ ge­geben wurde (1712 erschien in London ein anonymes Traktat: Onania; oder die abscheuliche Sünde der Selbstbefleckung), hat es sich jedoch gar nicht „selber gemacht“. Es war tatsächlich ein Coitus interruptus, der in der Bibel beschrieben wird, da Onan mit seiner verwitweten Schwägerin (ihr Mann wurde von Gott getötet) zwar gottgewollt und pflichtgemäß koitierte (zu ihr „einging“), sie aber nicht schwängern wollte: „Und Juda gab seinem ersten Sohn Ger eine Frau, die hieß Thamar. Aber Ger war böse vor dem HERRN, darum ließ ihn der HERR sterben. Da sprach Juda zu Onan: Geh zu deines Bruders Frau und nimm sie zur Schwagerehe, auf dass du deinem Bruder Nachkommen schaffest. Aber da Onan wusste, dass die Kinder nicht sein eigen sein sollten, ließ er’s auf die Erde fallen und verderben, wenn er einging zu seines Bruders Frau, auf dass er sei­nem Bruder nicht Nachkommen schaffe. Dem HERRN missfiel aber, was er tat, und er ließ ihn auch sterben.“ (1 Mose 38, 6-10)

Abgesehen von der sprachlichen Unfähigkeit zu benennen, was der Onan denn nun auf die Erde fallen ließ, haben christliche Eltern ihre Söhne zwar nicht getötet, wenn sie die Knaben beim Wichsen erwischten oder annehmen konnten, dass sie es taten, aber für fürchterliche Drohun­gen war allemal Gelegenheit. Die mildeste Androhung war noch, dass einem später die Haare ausfallen würden, die härtere, dass man dadurch impotent werde und die böseste, dass man dadurch verrückt werde (Ge­hirnerweichung). Medizinisch ist das Blödsinn, aber psychologisch hat es bei einigen durchaus funktioniert – das schlechte Gewissen.

 

P

Pfingsten hat als Wort keinerlei inhaltliche Bedeutung. Es heißt schlicht „der Fünfzigste“ Tag nach Ostern, abgeleitet aus dem griechischen „pen­tekosté“ (der Fünfzigste). Sprachgeschichtlich umgeformt entstand das heute verwendete Wort. Dieser „fünfzigste Tag“ ist jüdischen Ursprungs, als der Tag „Schawnot“ der Weizenernte und des Speiseopfers (3 Mose 23, 15-21).

Was an Pfingsten christlich gefeiert wird, weiß nur noch jeder vierte befragte Deutsche, d. h. auch die Mehrzahl der Kirchenmitglieder kann mit dieser „Geburtsstunde der Kirche“ inhaltlich nichts mehr anfangen. Nach den Geschichten der Bibel ist Pfingsten der Tag des Erscheinens des → Heiligen Geistes (als / wie eine Taube) und der Aussendung der Jünger zur Verbreitung des Christentums (Missionierung) in alle Welt.

In der aufgepfropften Verteilung der kirchlichen Feiertage auf Fest­tage im Wandel der Jahreszeiten wurde Pfingsten in den beginnenden Sommer auf ein Erntefest (in der Opfer-Darbringung der ersten Früchte) gesetzt. Dieser Feiertag hat sich aber außer mit dem → Pfingstochsen nur mit dem Kurzzeittourismus des langen Wochenendes verbinden können, was ja eigentlich dem Reiseauftrag der Jünger auch entspricht.

 

R

Reliquien: von lat. reliquiae = Überreste eines Heiligen (Körperteile, Asche, Besitztümer etc.). Man weiß nicht, worüber man sich mehr wun­dern soll: über den magischen Glauben, dass diesen Überresten besondere Macht innewohne, oder über die erstaunlichen anatomischen Eigenschaf­ten der fachgerecht zerteilten Heiligenkörper: Zählt man die weltweit gesammelten Reliquien zusammen, scheinen Heilige mit vier Füßen, Händen oder Augen keine Seltenheit gewesen zu sein. Kein Wunder, dass man diesen besonderen Exemplaren der menschlichen Gattung bis heute besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt (→ Magie).

Das Geschäftsprinzip war dabei denkbar einfach: Bekannte Reliquien zogen jährlich Tausende von Gläubigen an, die (für ihr Seelenheil, denn umsonst ist nichts) großzügig spendeten. Mit diesen Spenden konnten die Kirchen mit der bekannten Reliquie zu prächtigen (Wallfahrts-) Stätten ausgebaut werden, die wiederum dadurch noch mehr Pilger und Gläubige und weitere Schaulustige anzogen (z. B. Kölner Dom, → Heilige Drei Könige), und so weiter und so fort.