Auslaufbündnis Religionsunterricht

(hpd) BERLIN, POTSDAM, GÖRLITZ. Das Auslaufen ist eine probate Erholungsmethode

im Leistungssport. Egal ob Gewinner, Platzierter oder Verlierer – man trabt vor sich hin, redet miteinander, betreibt Manöverkritik, verarbeitet die Emotionen und stellt sich neue Ziele: „Nun erst recht“ oder „Das war’s jetzt“.

Das ist der Zustand, in dem sich die beiden christlichen Kirchen bezogen auf den Religionsunterricht in Berlin und Brandenburg derzeit befinden. Sie haben sich nun für ein „Noch einmal“ entschieden, senden Trotzzeichen aus und haben die (Berliner) CDU und ihren neuen Star Friedbert Pflüger für ihr altes Vorhaben gewonnen (die Brandenburger ist noch mit anderen Hackordnungsfragen beschäftigt). Die Kirchen wollen doch noch Wahlpflicht Religion/Ethik durchsetzen.

Noch einmal

Die „Berliner Zeitung“ von heute fasst das Vorhaben wie folgt unter der Überschrift „CDU sucht Nähe zu den Kirchen“ zusammen: „Die Volksbegehren-Kampagne zur Einführung eines Wahlpflichtfaches Religion wird von der CDU-Fraktion offensiv unterstützt. Die Zusicherung erhielten am Wochenende der Erzbischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky und Landesbischof Wolfgang Huber bei einer Klausurtagung der Fraktion. Man traf sich auf dem Luther-Hof bei Drohndorf bei Aschersleben in Sachsen-Anhalt. 'Es wird ein breites Aktionsbündnis geben', sagte der CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger nach der Tagung. Die Bürgerinitiative Pro-Reli habe demnächst die für das Volksbegehren nötigen 20.000 Unterschriften zusammen.“

Über „Pro-Reli“ hat der hpd bereits berichtet.

Doch niemand in Berlin und Brandenburg hat so richtig Lust und Laune zu einem neuen Kulturkampf. Die Medien auch nicht. Das Echo auf die Ankündigung fiel blass aus. Wer letzten Freitag Abend die Redaktion der „Berliner Abendschau“ des rbb sah, als Bischof Huber sie besuchte und um Hilfe bat, konnte an den Gesichtern das mangelnde Interesse ablesen (zumal dieser Besuch vielleicht die Redaktion zwingt, nun auch den Kardinal und dann den Berliner HVD-Vorsitzenden und dann einen Imam einzuladen, wegen der Gleichbehandlung).

Sind neue Gerichtsgänge nach verlorenen Klagen zu erwarten?

Die Bevölkerung – auch die christliche – hat andere Sorgen. Das zeigen die mageren 20.000 Unterschriften für „Pro-Reli“. Man hätte sicher gern mehr vorgelegt, als nötig waren. Das ist sehr wenig, zumal beide Kirchen sich da voll hineingehängt haben.

So wie der Streit ausging – damit können alle in Berlin und Brandenburg erst einmal leben, vor allem in Berlin: Ethik für alle Schülerinnen und Schüler per Gesetz eingeführt, Evangelischer, Katholischer, Islamischer Religionsunterricht bzw. „Humanistische Lebenskunde“ nach Bedarf und alle gleich behandelnd als Zusatz weiter im staatlich geförderten Angebot.

In Brandenburg konnte LER (Lebensgestaltung, Ethik, Religion) zwar nicht als pflichtiges Ethikfach für alle durchgesetzt werden. Eine Befreiung für Religionsunterricht ist möglich. Gegen diese Einseitigkeit hat sich der „Humanistische Verband“ erfolgreich gewehrt und „Humanistische Lebenskunde“ parallel zum Religionsunterricht durchgesetzt.

Lebenskunde als rotes Tuch

Der „Humanistische Verband Deutschlands“ hat aber nun angekündigt, „Humanistische Lebenskunde“ bundesweit zu wollen. Noch vor dem Sommer hat der Bundesvorstand des HVD „Grundsätze für Humanistische Lebenskunde“ sowie „Rechtspolitische Positionen des HVD“ beschlossen.

In NRW wird der Verband, weil man seinem Wunsch regierungsseitig nicht nachkommen möchte, den Klageweg beschreiten. Es wäre die nach der erfolgreichen Klage in Brandenburg zweite Klage in einem Bundesland zu diesem Fach. Der HVD NRW, immerhin eine KdÖR, ist sehr optimistisch.

Es sind sicher diese Fortschritte von Lebenskunde, die dem „Bündnis für Religionsunterricht“ ein rotes Tuch sind. Es hat sich dazu letzte Woche der Görlitzer Katholische Bischof Dr. Konrad Zdarsa gemeldet. Das Bistum ist eine ostdeutsche Diözese in der Kirchenprovinz Berlin. Sie umfasst die Niederlausitz sowie die nordöstliche Oberlausitz, die zum Freistaat Sachsen gehört. Sie umfasst 35.000 Katholiken.

Der Bischof lies erklären, er glaube „nicht an einen ’religiös neutralen’ Werteunterricht des ‚Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg’ (HVBB), wie er im Unterrichtsfach ‚Humanistische Lebenskunde’ angeboten wird. Vielmehr werde das Religiöse im Allgemeinen und das Christliche im Besonderen aus den Köpfen der Menschen verdrängt. Der Humanistische Verband leugne offensichtlich die christlichen Wurzeln in Deutschland und Europa und mache das moderne Leben ’geschichtslos’. Der Bischof erinnert daran, dass viele Werte, die auch von nicht christlichen Mitbürgerinnen und Mitbürgern anerkannt werden, aus der jüdisch-christlichen Tradition stammen.“

Dazu äußerte sich heute der Bundesvorsitzende des HVD, Dr. Horst Groschopp: „Ich bin für historische Wahrheit. Ein Baum hat viele Wurzeln. Was wir beklagen ist, dass nur eine einzige – die christliche – Wurzel unsere Kultur gebildet haben soll. Dass der Bischof ‚jüdisch’ hinzufügt, das ist erfreulich, aber in dieser Kirche historisch sehr neu. Und die freidenkerischen, aufklärerischen, humanistischen Wurzeln unserer Kultur? Sie werden als unerheblich abgetan oder – wie sich der neue Papst bemüht – einverleibt.

Und was die christliche Tradition betrifft, gerade in dieser Region, sie bedarf dringend der historisch kritischen Sicht. Dies nicht nur hinsichtlich der letzten hundert Jahre. Schon die Christianisierung war Teil der deutschen Ostexpansion und deren Ideologie. Erst nach den Kriegen gegen die Slawen, besonders die heidnischen Luitizen (983 wurde ihr Aufstand blutig niedergeschlagen) wurde das Bistum Görlitz errichtet. Was damals als Werte des Christentums vorgetragen wurde, das möchte sicher der Bischof heute nicht als Tradition haben und wird er sicher relativieren.

Auch muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass die Menschenrechte gegen den erbitterten Widerstand besonders der katholischen Kirche erkämpft worden sind.

Der Humanistische Verband ist sicher kirchen- und religionskritisch. Er wendet sich aber an Menschen, die sich bereits von Kirchen und Religionen verabschiedet haben, nicht nur in ihren Köpfen, sondern in ihrem täglichen Leben. Der HVD verdrängt nichts Religiöses oder Christliches. Es ist schon nicht mehr da, wie alle seriösen Studien belegen, besonders die der Kirchen selbst.“

Lebenskunde als Angebot

Bleibt festzuhalten, dass Bischof Zdarsa angesichts von fast achtzig Prozent Konfessionslosen im Land Brandenburg, den Einfluss des „Humanistischen Verbandes“ erheblich überschätzt. Er unterschätzt aber gänzlich, dass auch konfessionslose Menschen eigene ethische Vorstellungen haben, die sie gut begründen können.

Der Geschäftsführer des HVD Berlin, Manfred Isemeyer, erklärte am letzten Freitag dazu, s. Anhang: „Der Humanistische Lebenskundeunterricht, der in diesem Schuljahr an 15 Brandenburgischen Schulen erstmals angeboten wird, ist ebenso wie der Religionsunterricht der beiden Kirchen ein Bekenntnisunterricht und diesem gleichgestellt. In Berlin nehmen am Lebenskundeunterricht des Verbandes im gerade angelaufenden Schuljahr 45.000 Schülerinnen und Schüler teil. Wir erwarten, dass das Unterrichtsfach auch in Brandenburg zu einem Erfolgsmodell wird.“

In der Presseerklärung des HVBB heißt es: „Der Humanistische Verband Berlin- Brandenburg, der für das neue freiwillige Unterrichtsfach verantwortlich zeichnet, ist eine überparteiliche Weltanschauungsgemeinschaft in der Tradition der europäischen Aufklärung. Der Verband vertritt die Überzeugung, dass Menschen ein selbstbestimmtes und verantwortliches Leben ohne Religion führen können. Seine Mitglieder treten für eine pluralistische und tolerante Gesellschaft ein. Ihr Engagement gilt den Menschenrechten wie sie die Vereinten Nationen beschlossen haben.“

Im Humanistischen Lebenskundeunterricht wird nicht gegen Religionen agitiert, sondern Kinder lernen, dass es verschiedene Bekenntnisse gibt, dass es wichtig ist, friedlich miteinander zu leben und dass den Mitmenschen mit Toleranz begegnet werden sollte. „Im Lebenskundeunterricht vermitteln wir ethische Positionen und Werte, ohne dabei auf eine Religion Bezug zu nehmen“, sagte Werner Schultz vom „Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg“. Das erfolgreiche Fach bekennt sich zu religiösem Pluralismus und religiöser Toleranz. Es akzeptiert, dass auch die Kirchen freiwilligen Religionsunterricht anbieten.

GG