Casanova war ein Aufklärer

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Giacomo Casanova, porträtiert von Francesco Casanova, um 1750–1755
Giacomo Casanova, porträtiert von Francesco Casanova, um 1750–1755

STEISSLINGEN. (hpd) "Das Dasein ist köstlich, wir müssen nur den Mut haben, unser eigenes Leben zu führen." Giacomo Casanova ist vor allem durch seine Liebesabenteuer bekannt. Das ist aber nicht alles, was ihn auszeichnete. Eine Richtigstellung zum bevorstehenden 290. Geburtstag Casanovas.

Giacomo Girolamo Casanova erwirbt mit 17 Jahren an der Universität Padua einen Doktortitel. Auf Bitten seiner Großmutter entscheidet er sich für eine Laufbahn in der Kirche. Doch als angehender Priester torkelt er von der Kanzel, gibt drei Jahre später die klerikale Karriere auf - und heiratet nie.

In Rom empfängt ihn Benedikt XIV. Und da er so anregend plaudert, erlaubt ihm der Papst, Bücher zu lesen, die auf dem Index stehen, und erlässt ihm das Fastengebot. Eine päpstliche Belohnung für Amusement? Das wäre heute nicht mehr möglich - ein Fortschritt?

1760 zeichnet Clemens XIII. Casanova mit dem Orden vom goldenen Sporn aus. Die päpstliche Auszeichnung - heute undenkbar. Immerhin wurde Casanova schon 1755 wegen Schmähung der Religion verhaftet. Die Staatsinquisition Venedigs hatte ihn im Visier: Er hatte Umgang mit verdächtigen Ausländern und war 1750 in Lyon den Freimaurern beigetreten. Nach 15 Monaten glückt ihm die Flucht aus den Bleikammern der Inquisition.

In den folgenden Jahren bereist er Europa. In den adligen Salons ist er gern gesehen. 1760 besucht er Voltaire. Über Brüssel, Braunschweig, Wolfenbüttel kommt er 1764 nach Sanssouci, wo er Friedrich II. um eine Anstellung bittet. Die ihm angebotene Position eines Pädagogen an der Kadettenanstalt, wo die Söhne von Offizieren und Beamten eine höhere Schulbildung und eine teilmilitärische Ausbildung genießen, lehnt er jedoch ab. Stattdessen versucht er, eine Stellung bei Katharina II. zu erlangen. Neun Monate lebt er in St. Petersburg und trifft zweimal die Zarin. Doch sieht diese keine Möglichkeit, ihn in Dienst zu nehmen.

Ein Hin und Her. Dieser Mann, raffiniert und wissensdurstig, reist von einem Ort zum anderen. Das tun im Jahrhundert der klassischen Kavaliers- und Bildungsreise (Grand Tour) viele. Aber Casanova ist der einzige, der eine Beschreibung solch ausgedehnten Reisens im eigenen Wagen hinterlässt. In seinem Gefährt (insgesamt nutzt er 19 Reisewagen) pflegt er - lesen, lesen, aufgeklärt sein - eine eigene Bibliothek mit sich zu führen. Überall fällt er wegen seiner Bildung auf. Folgerichtig wird er Ludwig XV., Madame Pompadour und Kardinal Richelieu vorgestellt. Von solchen akzeptiert zu werden - als Freimaurer, Freidenker -, wäre heute kaum mehr möglich - ein Fortschritt?

Casanovas Geschichte meines Lebens zählt in 400 Ausgaben zur Weltliteratur und wurde in viele Sprachen übersetzt (auch Japanisch, Arabisch, Bengalisch und Inuktitut). Das 18. Jahrhundert breitet sich vor unseren Augen aus. Casanova ist ein großer Anreger: Er macht sich Gedanken über eine Art Telefon ebenso wie über das Frauenwahlrecht. Er hat wie kein zweiter das Milieu beschrieben, in dem sich die Aufklärung entwickeln konnte. Auch hat er selbst von der Aufklärung profitiert, die durch seine Schriften wandert.

Fast 3.700 Bücher und Artikel sind inzwischen über diesen Mann geschrieben worden. Der Name Casanova wird mit Erotomanie assoziiert, und der 1,90 Meter große weltgewandte Venezianer hat in der Tat überall Frauen verführt. Doch er gehörte nicht zu den Männern, die in Frauen nur Objekte sehen. Er "fühlte sich zu selbstbewussten, klugen und gebildeten Frauen hingezogen, die er als Partnerinnen akzeptieren konnte" (Dieter Wunderlich).

Erst 1960 wurde der Originaltext der Memoiren veröffentlicht. 2010 erwarb der französische Staat für über 7 Millionen Euro den Text. Das war der höchste Preis, der jemals für ein Manuskript erzielt worden ist.