Satire

Schlimmer als die Atombombe?

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Amtstracht des Hohenpriesters - In der über der Brust befindlichen Lostasche wurden die Urim und Thummim verwahrt.
Amtstracht des Hohenpriesters - In der über der Brust befindlichen Lostasche wurden die Urim und Thummim verwahrt.

DEIDESHEIM. (hpd) Kaum brodelt die Beziehung zwischen Israels Ministerpräsident Benjamin Nethanjahu und dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama wegen der iranischen Atompläne einem neuen Höhepunkt entgegen, da steht weit schlimmeres Ungemach ins Haus: Urim oder Thummim (welcher von beiden ist zum augenblicklichen Zeitpunkt noch nicht aktenkundig) sollen sich in der Hand der US-Amerikaner befinden.

Wer kennt sie nicht? Urim und Thummim sind gemäß Bibel Orakel-Steine der israelitischen Hohepriester in der Zeit vor dem babylonischen Exil. Das Buch Exodus, das in der Zeit um 1300 v.u.Z. von Mose persönlich geschrieben wurde, berichtet über sie. Dies beweist, dass die mysteriösen Steine uralt und fest mit der jüdischen Geschichte verwoben sind. Übersetzt könnten sie "Lichter und Vollkommenheiten" oder nach Martin Luther "Licht und Recht" bedeuten. Bibeltexte, die sich auf Urim und Thummim beziehen, stellen die Steine einzig als Entscheidungshilfen bei allgemeinen Problemen und Antwortgeber bei Fragen an Gott vor.

Viel ist zum Aussehen des religiösen Handwerkzeugs nicht bekannt: Es sollen zwei verschieden gefärbte Steine gewesen sein, die am liturgischen Gewand des Priesters befestigt waren. Mit ihrer Hilfe konnte der Hohepriester den Willen Gottes erfahren – schließlich wurden sie direkt von Gott für diesen Zweck exklusiv für die Israeliten hergestellt. Wie dieser Fernkontakt im Detail ablief, ist leider unbekannt. Doch handelte es sich wohl ausschließlich um Entscheidungen zwischen Ja und Nein.

Nach dem Babylonischen Exil im 5. Jahrhundert v.u.Z. schien diese sichere Methode zur Erforschung himmlischen Willens aus unerfindlichem Grund nicht mehr angewendet worden zu sein, sodass die weitere Geschichte des Judentums über Urim und Thummim schweigt.

Doch nun das: Laut Spiegel Online befindet sich mindestens einer der beiden Steine im Besitz der in Utah ansässigen Mormonen und damit auf US-amerikanischem Territorium! Diese Nachricht muss in Jerusalem wie eine iranische Atombombe eingeschlagen haben. Über 2.500 Jahre galten Gottes Handys im Heiligen Land als verschollen – was die schlechte Verbindung zu Gott seit dieser Zeit erklären mag. Die jetzt von der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" selbst veröffentlichten Bilder sind eine Weltsensation, die zu keinem schlechteren Zeitpunkt auf der weltpolitischen Bühne auftauchen konnten, als gerade jetzt.

Wir erinnern uns was 1823 in Nordamerika geschah: Joseph Smith Jr. traf im Wald von Manchester, New York, den Engel Moroni, der dem arglosen Amerikaner nicht nur den Aufenthaltsort von Urim und Thummim, sondern auch von echtgoldenen Schriftplatten mit altägyptischen Hieroglyphen verriet. Wer anderes, als der Dieb der Sehersteine könnte deren Aufenthaltsort kennen? Sicher hatte sich Moroni Joseph Smith Jr. unter falschen Namen vorgestellt, da er selbst bei den Hebräern als "Moroni" unbekannt ist. Also könnte es sich um eine antiisraelitische und proamerikanische Verschwörung auf himmlischer Ebene gehandelt haben.

Irritierend in diesem Zusammenhang ist höchstens, dass sich auch Gottvater, Adam (aka Erzengel Michael), dessen Söhne Abel und Seth und dessen ältester Sohn Enosch sowie Kenan, Mahalalel und dessen ältester Sohn Jered, Enoch, Lamech (mit Sohn Noah - aka Erzengel Gabriel), Erzengel Raphael, Erzvater Abraham und Sohn Isaak, Methusalem, Moses, Elias, Jakob und Elija bei Smith meldeten und ihm die Geschichte Moronis direkt oder indirekt bestätigten. Sogar die neutestamentlichen Hauptfiguren Jesus Christus, Johannes der Täufer, Petrus, Jakobus, Johannes sowie die restlichen der zwölf Apostel hielten ein Stelldichein mit dem verdutzten Smith ab. Dazu gesellten sich die ansonsten eher unbekannten zwölf nephitischen Jünger, Prophet Nephi höchstpersönlich, Zelph der Lamanit und natürlich auch Mormon himself. Auch wenn er nicht direkt zum allerheiligsten Personal gehörte, erschien auch Joseph Smiths Bruder Alvin. Ob sich die Hebräer nicht vielleicht doch geirrt haben könnten mit der geschichtlichen Darstellung in ihrer Bibel? Schließlich waren ihre Kontakte schon reichlich lange im nebulösen Dunkel der Historie entschwunden. Nun, das spielt bei den hochbrisanten Ereignissen zwischen Israel und den USA vordergründig keine Rolle.

Möglicherweise war auch der Prophet Nephi der Dieb der Steine, der ca. 600 v.u.Z. mittels Schiff aus Jerusalem nach Amerika floh. Dies würde erklären, warum die Hebräer seit dieser Zeit ihre Sehersteine vermissen. Ich lasse die weiteren Verwicklungen beiseite und komme zum Punkt, der Historiker verwirren mag: Joseph Smith Jr. konnte mittels dieser Steine die Goldplatten Nephis übersetzen – das heutige "Buch Mormon"! So weit so gut. Doch bei den jüdischen Hohepriestern konnten die göttlichen Objekte eben nur simpel mit "Ja" oder "Nein" antworten – bei Smith aber in ganzen Sätzen. Ist das nicht aufregend? Kurios ist, dass Smith selbst Urim und Thummim als Kristalle bezeichnete. Nach mormonischer Lehre sollen sie obendrein in zwei Silberbügeln befestigt sein. Das wenig kristalline Aussehen und das Fehlen der Silberbügel in den nun veröffentlichten Beweisfotos mag auf einen ungünstigen Aufnahmestandpunkt des Fotografen zurückzuführen sein – oder auf magische Wellen aus dem transzendenten Hyperraum. Dies sollte uns aber nicht weiter verwundern, könnte sich darin doch ein weiteres göttliches Wunder verbergen.

Auf alle Fälle ist nun klar, dass diese religiösen Beweisstücke, die von Gott selbst für sein auserwähltes Volk angefertigt wurden, in unbefugte Hände gerieten und nach Gebrauch (also der Übersetzung des "Buches Mormon") nicht wieder den rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben wurden. Die nun (absichtlich?) freigegebenen Beweise könnten die internationale Krise, die durch die amerikanische Iranpolitik ausgelöst wurde, verschärfen. Was ist eine möglicherweise nie gebaute iranische Atombombe gegen eine echte Reliquie von Gott selbst? Ein mythisches Handy, das nur Gottes Nummer wählt, mit dem jederzeit der direkte Draht in den Himmel hergestellt werden kann.

Fragen drängen sich auf: Wusste George W. Bush von diesem Seherstein in Utah? Konnte er ihn sich zwischen 2001 und 2003 bei den Mormonen ausleihen und erklärte Gott dem amerikanischen Präsidenten auf diese Weise wirklich, was er im Irak und Afghanistan zu tun hätte? "Dann hat Gott mir aufgetragen, George geh’ los und beende die Tyrannei im Irak und ich habe es getan. Und jetzt fühle ich wieder, dass das Wort Gottes zu mir kommt", soll er gesagt haben. Das ist doch eindeutig!

Es bleibt abzuwarten, wie die israelische Regierung auf diese brisante Veröffentlichung des Sehersteins reagieren wird. Sollen die amerikanischen Juden vielleicht nicht nur Stimmung gegen Obama machen, sondern auch den aufgetauchten Seherstein zurück nach Jerusalem bringen? Als Auftakt zum Bau des Dritten Tempels auf dem Tempelberg? Benjamin Nethanjahu ist Barack Obama gegenüber sowieso geladen, auch wegen der iranischen Atomanlagen. Wie gerne würde er jetzt die Sehersteine um Rat fragen, was zu tun sei. Z.B. ob er jetzt schon in alttestamentlicher Manier den Iran landnehmen und plündern oder ob er auf eine neuerliche Sintflut für die Ajatollahs warten soll.

Die Welt schaut gebannt zu, zitternd vor Angst, aber hoffnungsvoll, dass diese globale Krise auf diplomatischem Wege beigelegt werden kann. Vielleicht durch einen Tausch "iranische Atombombe gegen israelischen Seherstein"? Dann könnten die iranischen Mullahs Gott direkt befragen, wie sie mit dem IS und Israel künftig umgehen sollten. Renommierte Theologen spekulieren aber schon, dass Gott in diesem Fall die Aussage verweigern wird. Schließlich geriete er mit jeder Antwort in arge Erklärungsnöte.