Ärztlicher Umgang mit sterbewilligen Patient:innen

Erstmalig Leitlinie bei Suizidwunsch in der Hausarztpraxis

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Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist sehr wichtig um den Patientenwillen zu dokumentieren.
Kommunikation zwischen Arzt und Patient

Eine sogenannte S1-Leitlinie gibt es seit November zum Wunsch nach Suizidassistenz in der Hausarztpraxis. Entwickelt wurde sie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Sie empfiehlt Handlungsrichtlinien für Ärzt:innen, wenn sie von ihren Patient:innen in der Behandlungssituation mit den Worten und der Bitte konfrontiert werden: "Ich möchte sterben".

Die Leitlinie vermittelt ethische und rechtliche Rahmenbedingungen zur ärztlichen Suizidassistenz, zu Struktur und Inhalten einer angemessenen Kommunikation, sowie Hinweise und Empfehlungen zur Begleitung von Patient:innen, denen vor allem Hausärzt:innen eine Hilfe zur Selbsttötung nicht verwehren möchte.

Was bedeutet eine medizinische S-Leitlinie?

Das "S" steht – i.d.R. betreffend Krankheitsbilder wie z. B. Atemwegsbeschwerden oder Diabetes – für eine zugrundeliegende Systematik. Zu deren Güte im Entwicklungsprozess wird unterschieden von der qualitativ niedrigsten Stufe S1 bis zur höchsten Stufe S3. Die medizinische Leitlinien sollen – mit steigendem methodischem Aufwand von S1 bis S3 – auf wissenschaftlicher Sichtung von Evidenzkriterien unter Abwägung von Schaden und Nutzen basieren. Ihr Hauptzweck ist die Darstellung des fachlichen Standes in einem medizinischen Behandlungsgebiet. Einbezogen wird dabei die praktische Bewertung auch von alternativer Vorgehensweisen. Aber ebenso können Krankenhaushygiene oder Ernährungslehre Themen sein, wie das offizielle Leitlinenregister der medizinischen Fachgesellschaften ausweist.

Sie sind alle empirisch fundiert unter Federführung der entsprechenden Facharztdisziplin und enthalten praxisorientierte Angaben und Kriterien in der Regel mit indizierter Krankheitsbehandlung. Sie geben damit nicht nur Ärzt:innen und anderen an der medizinischen Versorgung Beteiligten Standards vor, sondern bieten auch Patient:innen Orientierung im Sinne von Nachvollziehbarkeit und letztendlich einer Entscheidung gemäß eigener Bedürfnisse und Präferenzen.

Die S1-Leitlinie zum Suizidwunsch in der hausärztlichen Praxis

Hier geht es nun nicht um bestimmte, in der Regel gängige Krankheitsbilder. Vielmehr heißt es in der Ankündigung dieser knapp 30 seitigen Leitlinie im Ärzteblatt, das Thema Suizid wäre in der Hausarztpraxis zwar nicht so häufig, dennoch käme es immer wieder vor.

Dabei sagt das Leitlinienniveau von S1 schon aus, dass es sich um mehr oder weniger unverbindliche "Soll-Bestimmungen", also Empfehlungen handelt. Aber immerhin ist laut DEGAM-Pressemitteilung ihre Leitlinie bislang weltweit die Einzige, die sich mit der Suizidassistenz im Setting der allgemeinmedizinischen Primärversorgung befasst. Zitiert wird DEGAM-Präsident Professor Martin Scherer: "Hilfe bei der Selbsttötung entspricht in der Regel nicht dem ärztlichen Selbstverständnis. Umso wichtiger ist es, sich auf dieses Szenario vorzubereiten". Suizid sei ein Thema, "das wohl niemanden kalt lässt" und das in der Ärzteschaft schon lange kontrovers diskutiert wurde. 2020 wäre neue Bewegung in die Debatte gekommen, als das Bundesverfassungsgericht klar gemacht hat, dass Menschen beim Suizid auch die Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen dürfen. Seit das fünf Jahre zuvor im § 217 StGB normierte Verbot der "geschäftsmäßigen" ärztlichen Suizidassistenz für verfassungswidrig erklärt wurde, gäbe es keine neue gesetzliche Regelung – obwohl doch das Thema "unser aller Aufmerksamkeit" verlange.

Im Laufe von oft vielen Jahren, in denen Menschen in der hausärztlichen Praxis betreut und begleitet werden, entstehe zwischen allen Beteiligten eine Vertrauensbasis, so dass sich Betroffene auch in existenziellen Krisen an erster Stelle ihren Hausärztinnen und Hausärzten anvertrauen. Da die Hilfe bei der Selbsttötung in der Regel nicht dem ärztlichen Selbst- und Aufgabenverständnis entspreche, sei es "umso wichtiger, sich auf dieses Szenario vorzubereiten", ergänzt Scherer. Deshalb hat die DEGAM eine entsprechende Leitlinie entwickelt, um den Hausärzt:innen evidenzbasierte Empfehlungen zur Auseinandersetzung mit Suizidalität und Suizidassistenz zur Verfügung zu stellen.

Was ist Ziel und Inhalt der Leitlinie und was kommt nicht vor?

In der DEGAM S1-Leitlinie "Umgang mit Wunsch nach Suizidassistenz" werden Hausärzt:innen auch über Begrifflichkeiten und vieles andere aufgeklärt. Dabei findet sich allerdings unter dem Punkt "Medikamentöse Optionen" der Suizidassistenz keinerlei Information über entsprechende Mittel, sondern nur die irritierende Empfehlung, "Betäubungsmittel nach Anlage III BtMG … [sollen] nicht verordnet werden."

Dr. Ilja Karl, niedergelassener Hausarzt und gleichzeitig federführend an der Leitlinie beteiligt, kommentiert: "Die wichtigste Botschaft unserer Leitlinie ist, das Gespräch mit dem Patienten / der Patientin nicht abreißen zu lassen. Die Leitlinie ist keine Anleitung zur Suizidassistenz, sondern gibt Empfehlungen, wie der Dialog mit einem Menschen mit Sterbewunsch gelingen kann". Im Übrigen könne schon ein offenes und vertrauensvolles Gespräch "immer wieder suizidpräventiv wirken." In den Gesprächen soll es vor allem um die Motive für die Bitte um Suizidassistenz und eine sogenannte "Graduierung von Suizidalität" gehen.

Folgende Beispiele zeigen, wie die Leitlinie Empfehlungen und Statements zu bestimmten Punkten vorgibt:

  • Zur Graduierung von Suizidalität und Motivation: "Bei Konfrontation mit dem Wunsch nach Suizidassistenz sollte im ersten Schritt eine Graduierung vorgenommen werden." (Das heißt, ob es sich etwa um den Grad einer bloßen Überlegung, eines ausgereiften Wollens oder schon einer konkreten Planung handelt, G.N.). "Motive und Intentionen hinter der Bitte nach einer Suizidassistenz" wären zu erfragen und zu dokumentieren. "Bei somatischen oder psychischen Ursachen für den Sterbewunsch soll ermittelt werden, ob es kurative oder palliative Behandlungsoptionen gibt." Cave: Es können auch "andere Bedürfnisse als die tatsächliche Unterstützung beim Suizid verborgen sein." Eine Anfrage oder auch Bitte ist nicht mit einer ärztlichen Handlungsoption gleichzusetzen!
  • Zum rechtlichen Rahmen: "Die Klärung von Freiverantwortlichkeit bedarf mehrerer Gespräche." Diese müssen "nachvollziehbar dokumentiert werden. Im Zweifelsfall soll psychiatrische Expertise einbezogen werden."
  • Zur Kommunikation: Es bedarf einer "wertschätzenden Gesprächsatmosphäre" mit einem "angemessenen Zeitrahmen" und der Vereinbarung von Folgeterminen. Sollte der angefragte Arzt /die angefragte Ärztin "grundsätzlich nicht zu einer Suizidassistenz bereit sein, soll dies frühzeitig nach der Graduierung von Suizidalität kommuniziert werden."

Es geht auch darum, so Dr. Sandra Blumenthal in der DEGAM-Pressemitteilung, dass sich Ärztinnen und Ärzte mit ihrer eigenen Einstellung zum assistierten Suizid auseinandersetzen: Nur wer selbst weiß, was er / sie denkt und fühlt, könne auch mögliche Grenzen und Möglichkeiten des eigenen Handelns angemessen bestimmen. "Diese Reflexion der eigenen Haltung verlangt Ärztinnen und Ärzten viel ab", so Blumenthal. "Trotzdem geht es nicht ohne. Entsprechende Vorschläge fassen wir in der Leitlinie zusammen".

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