Sichtbares Zeichen gegen Antisemitismus setzen:

Kirchen sollen "Judensau"-Plastiken in ganz Deutschland entfernen

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Auch am Kölner Dom gibt es eine "Judensau" als Wasserspeier.
Auch am Kölner Dom gibt es eine "Judensau" als Wasserspeier.

Der Bund für Geistesfreiheit München (bfg München) fordert deutschlandweit die Entfernung aller "Judensau"-Plastiken von Kirchen. Er schließt sich damit der Forderung von Michael Düllmann an, der auf Abnahme eines entsprechenden Reliefs geklagt hatte.

Am morgigen Dienstag, 21. Januar 2020, verhandelt das Oberlandesgericht Naumburg über die Entfernung der circa 700 Jahre alten sogenannten "Judensau" an der Lutherkirche in Wittenberg. Michael Düllmann, Mitglied der jüdischen Gemeinde Berlin, hatte auf Abnahme des Reliefs geklagt, durch das er sich beleidigt, verhöhnt und erniedrigt sieht. Es zeigt ein Schwein, an dessen Zitzen Menschen saugen, die durch ihre Kleidung als Juden erkennbar sind. Ein Rabbiner schaut dem Schwein in den After. In Deutschland gibt es circa 25 solcher Skulpturen, Reliefs oder auch Wasserspeier, die Juden und ihre Religion verächtlich machen. Sie stammen aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert und befinden sich zumeist an Kirchen, so zum Beispiel am Kölner Dom, am Regensburger Dom oder an der Nürnberger Sebalduskirche.

Für den Aktionskünstler Wolfram Kastner, Vorstandsmitglied im Bund für Geistesfreiheit München, war die Klage überfällig: "Diese Schmähskulpturen heißen 'Judensau', was anders als eine Beleidigung soll das denn sein? Und sie sind nach wie vor an den Außenmauern der Kirchen erkennbar und entfalten dort ihre beleidigende, erniedrigende, antijüdische und antisemitische Wirkung."

Der Bund für Geistesfreiheit München fordert daher die beiden großen Kirchen auf, endlich ein sichtbares Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen und die "Judensau"-Plastiken zu entfernen und ins Innere der Gebäude zu nehmen. "Wo diese Schmähskulpturen waren, könnten dann Tafeln angebracht werden, auf denen erklärt wird, warum sie entfernt wurden: weil die Kirchen diese beleidigende Wirkung nicht mehr erzielen und sich davon distanzieren wollen. Im Inneren der Kirchen könnten Christen die Plastik in den richtigen Kontext setzen und sich mit ihrer Geschichte, wie zum Beispiel dem christlichen Antijudaismus, den Pogromen gegen Juden, den Ermordungen und Vertreibungen auseinandersetzen", sagt Kastner. "Erschreckend ist, dass es diese Skulpturen fast ausschließlich in Deutschland und dem deutschsprachigen Raum gibt. Eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Hintergründen steht bis heute aus. Es stünde den Kirchen gut zu Gesicht, auch das endlich in Angriff zu nehmen", so der Aktionskünstler.

Landgericht Dessau-Roßlau sieht keine Beleidigung bei "Judensau"-Relief an Lutherkirche

Düllmann, der auf Abnahme der Schmähskulptur an der Lutherkirche in Wittenberg klagt, hat angekündigt, dass er notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof gehen will, falls er den Prozess vor dem Oberlandesgericht Naumburg verliert. Unterstützung hat er vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein bekommen, der am 30. Oktober 2019 die Entfernung des Reliefs in Wittenberg und die Verbringung in ein Museum forderte.

Ganz anders hatte dies am 24. Mai 2019 das Landgericht Dessau-Roßlau gesehen, als es sein Urteil im Prozess um das Schmährelief verkündete. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es, "dass der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Beseitigung des Sandsteinreliefs verlangen könne. Aus dem Umstand, dass das Relief weiterhin an der Mauer der Stadtkirche vorhanden ist und die Stadtkirchengemeinde dies nicht hat beseitigen lassen, liege keine Beleidigung (...) vor." In der von dem Relief ausgehenden Wirkung sieht das Gericht, auch weil am Boden unter der Schmähplastik ein Mahnmal angebracht ist, "keine Kundgabe der eigenen Missachtung durch die Beklagte in der Form eines negativen Werturteils in Bezug auf Juden."

"Diese Schmähskulpturen heißen 'Judensau', was anders als eine Beleidigung soll das denn sein? Diese Skulpturen sind nach wie vor an den Außenmauern der Kirchen erkennbar und entfalten dort ihre beleidigende, erniedrigende, antijüdische und antisemitische Wirkung."

Die Gedenkplatte am Boden unter dem Relief inklusive dem beigefügten Text "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem-Ha-Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen" hält Kastner für unzureichend. "Am Beispiel Wittenberg zeigt sich exemplarisch, dass der Umgang der Kirchen mit solchen Schmähskulpturen seit vielen Jahren kritikwürdig ist", sagt der Aktionskünstler, der seit Anfang der 2000er Jahre immer wieder versucht hat, mit den Kirchenverantwortlichen in Köln, Regensburg oder Nürnberg ins Gespräch zu kommen. "Die aber reagierten zumeist mit Wegschauen, nicht Hinschauen und Lügen, zum Beispiel, dass sie gar nicht wüssten, was da an ihrer Kirchenmauer hänge. Erst wenn es gar nicht mehr anders ging, wurden im Lichte der Öffentlichkeit einige Täfelchen angebracht mit seltsamen, dürren und eigentlich verdrängenden Worten."

Negativbeispiel Regensburger Dom

An der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Schmähskulptur am Regensburger Dom befinden sich drei durch ihre Kopfbedeckung als Juden gekennzeichnete Personen. Einer hält die Sau am Ohr, die anderen beiden machen sich an den Zitzen zu schaffen. Seit 2005 ist unter der Plastik eine Tafel angebracht, dort ist zu lesen: "Die Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden. Sie ist in ihrem antijüdischen Aussagegehalt für den heutigen Betrachter befremdlich. Das Verhältnis vom Christentum und Judentum in unseren Tagen zeichnet sich durch Toleranz und gegenseitige Achtung aus."

Für Kastner ist das ein Text, der nichts besagt und obendrein falsch ist: "Wenn ich mir heute den Antisemitismus anschaue, der auch unter Christen stark verbreitet ist, dann hätte man etwas anderes schreiben müssen, zum Beispiel, dass man sich dazu verpflichtet, sich gegen jede Form von Antisemitismus zu wehren. Und was völlig fehlt: Die Kirchen haben im Mittelalter und in der frühen Neuzeit davon profitiert, dass man Juden ausgeraubt, vertrieben und ermordet hat, zum Teil haben die Kirchen die Pogrome mit angestiftet, und das sollte man dann auch klar und deutlich benennen und bekennen, statt nichtssagende Worthülsen zu verwenden."

So verwies der Regensburger Stadtrat im Jahr 1519 alle Juden der Stadt, das jüdische Viertel und die Synagoge wurden zerstört, der Friedhof geschändet, an der Stelle der Synagoge wurde eine Wallfahrtskapelle errichtet. Erst 150 Jahre später entstanden wieder erste Ansätze jüdischen Lebens in der Stadt.

Am 9. November 1938 wurde die Synagoge niedergebrannt, Juden wurden geschlagen und verhaftet, ihre Läden geplündert. Am nächsten Tag wurden Juden von Nazis in einem "Schandmarsch" durch die Stadt getrieben.

Für den Regensburger Dom hatte der Aktionskünstler im Jahr 2005 selbst eine Tafel anfertigen lassen, auf der zu lesen war:

"Hier am Regensburger Dom wurde im 14. Jahrhundert eine Hohnskulptur, eine sog. 'Judensau' angebracht. Dargestellt wird ein Schwein, an dessen Zitzen Juden saugen. Damit wurden Juden von Christen auf obszöne Weise herabgewürdigt und mit als unrein geltenden Tieren gleichgesetzt. Der im Christentum Jahrhunderte lang verbreitete und geschürte Hass gegen Juden führte zu Vertreibungen, Raub, Pogromen und schließlich zum Mord an den europäischen Juden durch die Nazis. Diese Schuld ist unauslöschlich. Wir werden stets darauf achten, dass die Würde und die Rechte aller Menschen gewahrt werden. Wir werden uns allen Anfängen von Ausgrenzung, Entwürdigung oder Antisemitismus in diesem Land entgegenstellen."

Am 12. Mai 2005 brachte Kastner diese Tafel in einer Aktion am Regensburger Dom an, wenige Stunden später wurde sie entfernt. Von wem, ist nicht bekannt.

Ähnlich verhält es sich mit der Stadtkirche Heilig Dreifaltigkeit in Bayreuth, an der eine kaum noch erkennbare Schmähskulptur hängt. 2004 wurde eine Gedenktafel angebracht, sie trägt die Inschrift: "Unkenntlich geworden ist das steinerne Zeugnis des Judenhasses an diesem Pfeiler. Für immer vergangen sei alle Feindseligkeit gegen das Judentum." Auch hier gilt für Kastner: "Wünschen hilft nicht weiter. Die Kirchen müssen etwas tun und Verantwortung übernehmen, denn vergangen ist der Antisemitismus heutzutage augenscheinlich nicht."

Nicht viel besser: die Nürnberger Sebalduskirche

Die Schmähskulptur an der Nürnberger Sebalduskirche, die sich dort seit 1380 befindet, zeigt neben Juden, die an den Zitzen des Schweins saugen, einen Juden, der der Sau eine Schüssel hinhält, und einen weiteren, der ihre Exkremente mit einem Topf auffängt. Bei der Skulptur befindet sich keine Tafel, das in der Kirche ausliegende Faltblatt über das Gebäude verweist zwar mit den Worten "Judensau – Plastik um 1380" darauf, erklärt wird dadurch nichts, man ist eher irritiert. Angeblich soll einem bei Nachfrage am Informationsschalter ein Flyer ausgehändigt werden. Der Schalter war bei unserem Besuch aber nicht besetzt. Komisch ist auch, dass zur Sebalduskirche verschiedenste Flyer ausliegen, nur der zur Schmähskulptur nicht.

Auf der Internetseite der Kirche jedoch wird auf die Plastik eingegangen und der Kirchenvorstand erklärt dazu: "Das 'Judensau'-Schmähbild aus dem Spätmittelalter drückt den Judenhass aus, der die Schoah vorbereitet hat. Im selben Ungeist sind jüdische Bürger Nürnbergs bis ins 20. Jahrhundert verachtet und verteufelt, vertrieben und vernichtet worden. Voller Scham verbeugen wir uns vor den Millionen Opfern des Judenhasses. Wir bitten sie und unseren gemeinsamen Gott um Vergebung." Kastner reicht diese Stellungnahme auf der Internetseite nicht: "Es geht nicht nur darum, sich zu schämen, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen, ein Schuldbekenntnis abzulegen und sich zu verpflichten, sich gegen jegliche Form von Ausgrenzung und Antisemitismus zu wehren - und das in der Kirche und im öffentlichen Raum deutlich zu machen."

Im Jahr 1349 wurden in Nürnberg über 500 Juden, etwa ein Drittel der dortigen jüdischen Gemeinde, bei einem Pogrom ermordet, die Übrigen vertrieb man aus der Stadt und da, wo die Synagoge gestanden hatte, baute man die Frauenkirche.

In Bayern finden sich weitere antijüdische Schmähplastiken noch im Münster des Klosters Heilsbronn – dort befindet sich an einer Säule im "Mortuarium" (Grablege) eine "Judensau" aus dem 15. Jahrhundert, die als Sockel für eine Heiligenfigur dient – sowie an einem Wohnhaus (ehemaliges Domherrenstift) in der mittelfränkischen Stadt Spalt. Darüber hinaus gibt es noch circa 20 weitere in ganz Deutschland, zum Beispiel in Magdeburg, Köln, Erfurt und Goslar. Und auch an weltlichen Gebäuden findet man sie, in Bayern zum Beispiel an der Cadolzburg.

Immer wieder in den letzten 20 Jahren hat Kastner Aktionen und Interventionen vor Kirchen in ganz Deutschland durchgeführt. 2002 hat Kastner zum Beispiel vor dem Kölner Dom ein Sandwich-Plakat getragen mit der Aufschrift "Judensau am Kölner Dom" und dazu Flyer verteilt, wenig später erfolgte eine Aktion in Nürnberg. Mit einem aufs Pflaster gesprühten Schriftzug "Judensau" und einem Pfeil zur Wand der Sebalduskirche wies er auf die antijüdische Plastik hin. Gerne würde der Aktionskünstler "zusammen mit Leuten vor Ort eine solche Schmähskulptur entfernen und in einen Kirchenraum tragen."

Wer mehr zum Thema wissen will, der findet die besten Informationen auf der zwar nicht aktualisierten aber sehr informativen Internetseite www.christliche-sauerei.de.

Siehe dazu auch: Entfernung der "Judensau"-Skulpturen an bayerischen Kirchen gefordert

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