Ungarn: Fehlender Beistrich verhindert homophobe Strafe

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Symbolbild

Neben anderen Gesetzen und Verordnungen führte das Orbán-Regime in Ungarn im Jahr 2021 auch eine Bestimmung über den Verkauf von Büchern und Presseerzeugnissen ein, die Homosexualität oder eine "Abweichung vom Geburtsgeschlecht" darstellen oder "propagieren". Mit Bezug auf diese Verordnung wurde ein Buchladen im Sommer 2023 bestraft. Ein Gericht kam nun zu dem Ergebnis, dass die Verordnung wegen eines fehlenden Beistrichs nicht anwendbar war, der Buchladen ist – vorerst – aus dem Schneider.

Im Schatten der Begnadigungs-Affäre in Ungarn, die zum gleichzeitigen Rücktritt der Staatspräsidentin und der Justizministerin geführt hat, kam ein Gerichtsprozess mit weniger Aufmerksamkeit zu einem skurril anmutenden, aber erfreulichen Ergebnis.

Anfang der 2020er-Jahre wurde das für die populistische Politik jahrelang ausgeschlachtete Migrationsthema weniger interessant, also musste ein neuer Sündenbock für moralische Entrüstung her. Diesen hat die Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán – wohl nicht ganz unabhängig von den christlichen Rechten in den USA und den Rechtspopulisten in Westeuropa – in Homosexualität und der Akzeptanz von Transmenschen gefunden. Das Bild der "verdorbenen EU" mit ihrer "Zwangspropaganda für Homosexualität und Transgender-Wahnsinn" wurde schnell aufgebaut.

Eine Reihe von Gesetzesänderungen und Verordnungen wurde seit 2021 eingeführt, unter Protest der EU. In den von Fidesz beherrschten ungarischen Massenmedien ist das natürlich genau das, was passieren soll: Ungarn beschließt "demokratisch" eigene Gesetze gegen "schädliche" Dinge, die angeblich aus dem "liberalen" Westen kommen, und die böse EU reagiert darauf ablehnend.

Eine der geänderten Vorschriften ist Paragraph 20/A der "Regierungsverordnung über die Bedingungen der Ausübung des Handelsgewerbes". Diese im Jahr 2021 eingeführte Bestimmung regelt – im Kontext von "sexuellen Produkten" – den Verkauf von Waren, die ein "Selbstbild, das vom Geburtsgeschlecht abweicht", die Änderung des Geschlechts, Sexualität als Selbstzweck oder Homosexualität darstellen oder (wörtlich übersetzt) "beliebter machen" (propagieren/popularisieren) und an Kinder gerichtet sind. Diese Produkte (z.B. Bücher) dürfen nicht in der Auslage liegen oder sonst öffentlich beworben werden.

In Punkt (3) der Bestimmung findet sich folgender Passus, wörtlich übersetzt: "… an Kinder gerichtetes Produkt [ist] von anderen Produkten getrennt nur in geschlossener Verpackung zu vertreiben."

Die Intention war im Kontext der anderen Gesetze und Verordnungen klar: Die beanstandeten Produkte müssen separat und in geschlossener Verpackung (z.B. foliert) im Geschäft liegen.

Bei einer Razzia im Juli 2023 wurde in einem Buchladen der Handelskette "Líra" das Buch "Heartstopper" von Alice Oseman (auch auf Deutsch erhältlich) beanstandet. Das "Regierungsamt der Hauptstadt" verhängte daraufhin eine mit dem Konsumentenschutz (!) begründete Strafe von 12 Millionen Forint (ca. 31.000 Euro zum aktuellen Kurs). Líra ging dagegen vor Gericht, mit der Begründung, dass die Verordnung auf die dort vorgefundene Situation nicht anwendbar gewesen sei.

So wie die zitierte Formulierung der Verordnung im Deutschen wirkt, so kann sie auch im Ungarischen verstanden werden: Wenn die Produkte von anderen getrennt sind, dann müssen sie in geschlossener Verpackung im Geschäft liegen. Mit einem Komma (… von anderen Produkten getrennt, nur in geschlossener Verpackung …) wäre in beiden Sprachen klar, dass eine Aufzählung der Bestimmungen vorliegt. Ohne Komma ist die Wenn-Dann-Interpretation die plausiblere, wenn der homophobe Kontext, in dem die Bestimmung entstand, nicht berücksichtigt wird.

Líra obsiegte am 8. Februar mit dieser Interpretation vor Gericht. Die Prüfung, ob homosexuelle Inhalte enthalten sind, war gar nicht notwendig, weil die Voraussetzung, das separate Ausstellen, für das beanstandete Fehlen der geschlossenen Verpackung nicht gegeben war.

Die Regierung war bei der Erstellung der Verordnung wohl etwas schlampig und erlitt damit jetzt eine peinliche Niederlage. Voraussichtlich wird dieser Zustand nicht lang anhalten, mit der Zweidrittelmehrheit im Parlament kann Viktor Orbán mit seiner Fidesz schalten und walten, wie es ihm beliebt. Aber vorerst hat sich die übereilte, ungenaue Erstellung der populistischen Änderungen an den Bestimmungen gerächt.

Noch gilt die Verordnung ohne Beistrich, und es gibt jetzt ein Gerichtsurteil über ihre Auslegung. Das erspart Líra die hohe Strafe und ermöglicht für eine Weile bis zur Verschlimmbesserung der Verordnung den Verkauf von Büchern, die an Kinder und Jugendliche gerichtet sind und Menschen in all ihren Facetten zeigen.

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