Notizen aus Polen

Weiße Rosen

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Grafitti in Krakau
Grafitti in Krakau

Die Regierungspartei PiS unter Führung von Jarosław Kaczyński testet seit Beginn ihrer Herrschaft (und jetzt vor den Parlamentswahlen im Herbst mit noch größerer Intensität), welche Themen ihre Wähler am meisten ansprechen werden. Alle getesteten Themen sind darauf angelegt, die Gesellschaft zu spalten, auf den "Fremden" hinzuweisen, der Polen bedroht.

Es gibt eine ganze Sammlung dieser "Fremden". Das sind seit Jahren, ja Jahrhunderten, Juden. Nach der politischen Wende 1989 wurden es die Postkommunisten. Während der laufenden Amtszeit von PiS sind LGBT-Personen das Ziel der Kampagne. Es sind all jene, die Johannes Paul II. "verleumden" und ihm angeblich zu Unrecht vorwerfen, nichts gegen Pädophilie in der polnischen Kirche getan zu haben. Die Europäische Union wird ausnahmslos als Feind Polens bezeichnet. Kaczyński hat auch entschieden, dass die Deutschen, die uns angeblich wieder bedrohen, perfekt für einen "Fremden", einen Feind Polens sind.

Auf der anderen Seite genießen rechtsextreme und offen faschistische Organisationen den schützenden Schirm der Machthaber und werden großzügig von verschiedenen staatlichen Institutionen finanziert. Wir mussten nicht lange auf die Wirkung warten; die rechtsnationalistische "Konfederacja" (ein Äquivalent zur AfD) steigt in Meinungsumfragen systematisch auf und ist bereits die dritte politische Kraft in Polen.

Die Aktivisten der Straßenopposition ObywateleRP ("Bürger der Republik") gehen seit Jahren aktiv gegen Neofaschisten vor und blockieren ihre Aufmärsche durch die Straßen. Als Symbol ihres Widerstands adoptierten die Aktivisten eine weiße Rosenblüte. Die Polizei räumte brutal die Blockaden und zertrampelte die weißen Rosen.

In diesem Jahr hat dieses Symbol eine besondere Bedeutung. Es ist der 80. Jahrestag der Hinrichtung von drei deutschen Studenten der studentischen Widerstandsgruppe "Weiße Rose". ObywateleRP initiierten in einigen Städten (in Łódź, Bydgoszcz, Toruń, Rzeszów, Wrocław, Danzig und Warschau) eine Kampagne, um einem würdigen Ort in diesen Städten den Namen der Geschwister Scholl zu geben. ObywateleRP riefen auch dazu auf, diese Petition zu unterzeichnen, die an die Räte der polnischen Städte gerichtet ist.

Anlässlich der umfangreichen Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Ausbruchs des Aufstands im Warschauer Ghetto kehrte auch das Thema des Verhaltens der Polen während des Holocaust zurück. Auch eine weltbekannte polnische Holocaust-Forscherin, Professorin Barbara Engelking, hat sich zu der Angelegenheit geäußert. Sie betonte den Heldenmut der relativ wenigen Polen, die Juden halfen, erinnerte aber auch an Anzeigen von Juden bei der Gestapo und die weit verbreitete Abneigung der Polen gegenüber Juden. Sie sprach über das Versagen der Polen gegenüber den Juden und über die Geschichtsfälschung, die darin besteht, die polnische Judenfeindschaft herunterzuspielen und heroische Haltungen als alltäglich darzustellen. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bewertete Engelkings Äußerungen als "skandalöse Worte, die nichts mit zuverlässiger historischer Erkenntnis zu tun haben". Und der Minister für Bildung und Wissenschaft, Przemysław Czarnek, kündigte eine Kürzung der Finanzmittel für das Institut an, an dem Engelking arbeitet.

ObywateleRP haben zu diesem Thema eine Erklärung abgegeben, in der sie unter anderem schreiben:

  1. Es ist die Pflicht des Historikers, historische Tatsachen zu studieren, nicht politische Befehle oder "Volkserwartungen" zu erfüllen.
  2. Es ist die Pflicht eines anständigen Menschen, die Wahrheit zu sagen. Auch diejenige, die der derzeitigen Regierung nicht willkommen ist.
  3. Es gibt Meinungs- und Forschungsfreiheit. In Ländern, die eine europäische Zivilisation anstreben, ist dies ein Standard.
  4. Äußerungen von Professor Engelking über die Einstellung der Polen zu den Juden während der Besetzung, übrigens sehr ausgewogen, sind keineswegs eine "Lüge", sondern eine historische Wahrheit.

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