Interview

Konfessionsfreie im Recht

Soeben erschienen ist der zweite Band in der von Horst Groschopp herausgegeben Reihe "Humanismusperspektiven". Der Sammelband von Thomas Heinrichs "Religion und Weltanschauung im Recht" enthält acht Aufsätze zu aktuellen Themen wie dem Religions- und Ethikunterricht an der Schule, der Integration des Islams und dem kirchlichen Arbeitsrecht. Der Autor benennt den dringenden Reformbedarf und macht hierfür Vorschläge auch unter Berücksichtigung der europarechtlichen Rahmenbedingungen. Martin Bauer hat mit ihm über einige seiner Einschätzungen und Forderungen gesprochen.

hpd: Herr Heinrichs, Ihr Buch wird als die erste Darstellung des Religions- und Weltanschauungsrechts angekündigt, das unter ausdrücklicher besonderer Berücksichtigung der Interessen Konfessionsfreier verfasst wurde. Unter diesem Blickpunkt werden die Problemfälle im Religions- und Weltanschauungsrecht gesehen. Gab es einen Anlass dazu?

Thomas Heinrichs: Derzeit wird viel über die Notwendigkeit von Reformen des Religions- und Weltanschauungsrechts geredet. Ohne Zweifel muss es solche Reformen im Religions- und Weltanschauungsrecht geben, um die faktisch immer noch bestehende Dominanz der Kirchen zu beenden. Zwar ordnet das Grundgesetz die Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen an, faktisch findet dies jedoch in vielen Bereichen nicht statt.

Was wäre da zu tun?

Man braucht vor allem gesetzliche Klarstellungen, sowohl zu der Grundfrage, wie das Verhältnis von Staat und Religionen generell ausgestaltet werden soll, als auch zu Einzelfragen wie z.B. beim Religions-/Lebenksunde- und Ethikunterricht, bei Fragen der Organisationsformen von Religionen/Weltanschauungen oder auch hinsichtlich der Rechte von Arbeitnehmern, die bei Einrichtungen von Religionen und Weltanschauungen angestellt sind.

… und woran hapert es?

Das Problem an den bisherigen Debatten ist, dass die Positionen der Konfessionsfreien und Humanisten darin kaum vorkommen. Geredet wird in Öffentlichkeit und Politik im Wesentlichen nur über den Reformbedarf im Hinblick auf den Islam und die Muslime. Mein Buch ist ein Beitrag dazu, dies zu verändern.

Nun gibt es in der säkularen Szene schon immer eine Kritik an den bestehenden Regelungen des Religions- und Weltanschauungsrechts und damit natürlich auch die Forderung nach Reformen in diesem Rechtsgebiet. Beziehen Sie in Ihrem Buch hier andere oder gar neue Positionen?

Was es in der säkularen Szene bislang gab, war im Wesentlichen eine grundlegende Kritik jeder Form von Kooperation der Religionen und Weltanschauungen mit dem Staat. Die entsprechende Publikation der Humanistischen Akademie über "Konfessionsfreie und Grundgesetz" von vor sieben Jahren hat hierzu keinen Durchbruch geschafft. Die bisherige Kritik aus der "Szene" heraus zielt im Grunde auf einen laizistischen Staat mit einer strikten Trennung von Staat und Religionen/Weltanschauungen ab. Diese Unterschiede wurden in dem Band von 2013 "Humanismus – Laizismus – Geschichtskultur" klar artikuliert.

Was es dagegen bislang nicht gab, war ein weltanschaulich geprägter Blick auf das Verhältnis des Staats zu den Religionen/Weltanschauungen, der auch die spezifischen Interessen des weltanschaulichen Humanismus berücksichtigt.

Das war doch bisher den Kirchen vorbehalten.

Cover

Ganz genau: Bei den Religionen ist ein solcher konfessionell geprägter Blick gang und gäbe. So teilt z.B. Christian Waldhoff, einer der derzeit wichtigen Religionsrechtler, in dem von ihm herausgegebenen Sammelband "Recht und Konfession. Konfessionalität im Recht?" bereits in der Einleitung die Autoren als erstes in Katholiken und Evangelen auf, weil klar ist, dass die Autoren je nach ihrer eigenen konfessionellen Position eine andere Sicht auf die Probleme und andere Antworten auf die offenen Fragen im Religions- und Weltanschauungsrecht haben.

Solche weltanschaulichen Positionierungen sind bislang in der Diskussion des Religions- und Weltanschauungsrechts in der säkularen Szene nicht vorgenommen worden. Ich halte das für einen Mangel. Ich vertrete in meinen Beiträgen eine humanistisch geprägte Position und komme von daher zu anderen Antworten als ein laizistischer Ansatz.

Andere sehen darin sicher eine Abkehr von der Forderung nach unbedingter Neutralität. Können Sie uns dafür ein Beispiel geben, wofür Ihr Neuansatz gut ist?

Am Religionsunterricht als ordentliches Schulfach wird dies besonders deutlich. Er ist bislang in der säkularen Szene zumeist als ein Privileg der Religionen angesehen worden. Dass damit die Trennung von Staat und Kirche durchbrochen wird, wird kritisiert. Wenn man sich aber einmal ansieht, wie der Religionsunterricht in der Schule in die Weimarer Reichsverfassung gekommen ist, dann sieht man, dass er damals alles andere als ein Privileg war. Vielmehr hat der Staat die Kirchen damit in die Pflicht genommen, die damals von der ganz überwiegenden Mehrheit für erforderlich gehaltene, christlich-moralische Erziehung der Kinder zu leisten, weil man davon ausging, dass die Kirchen das am besten konnten. – Natürlich haben sich die Kirchen auch gerne in die Pflicht nehmen lassen.

Was heißt das praktisch für eine neue Weltanschauungspolitik?

Aus dieser Perspektive stellt sich die heutige Debatte um Ethik, Lebenskunde und Religion anders dar, als bisher wahrscheinlich mehrheitlich und abgesehen vom HVD in der Szene gesehen. Man muss sich nun fragen, ob Staat – heute in einer völlig anderen sozialen Situation als 1919 – die moralische Erziehung den Religionen und Weltanschauungen weiter überlassen kann, ob er selber diese ja ohne Zweifel weiter nötige Erziehung leisten muss und inwieweit er dies überhaupt kann. Aus den Antworten auf diese Fragen ergibt sich dann, ob und wenn ja wie Religions-, Lebenskunde- und Ethikunterricht in der Schule stattfinden sollte.

Eine solche inhaltliche Debatte darum, was Religions-/Weltanschauungsunterricht und was Ethikunterricht leisten können und was sie nicht leisten können, wird aber erst dann möglich, wenn man nicht immer alles von vornherein nur unter dem Blickwinkel einer strikten Trennung von Schule und Religion/Weltanschauung betrachtet.

Also weiter Religionsunterricht?

Ja. Ich bin der Meinung, dass der Religions- und Weltanschauungsunterricht als freiwilliges Fach an die Schule gehört, da der Staat ein moralisches Weltbild nicht selber entwickeln kann, dass aber ab einer gewissen Jahrgangsstufe ein für alle verpflichtender Ethikunterricht angeboten werden muss, damit die Schüler unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen nicht nur übereinander, sondern auch miteinander reden. Dies habe ich in einem der Aufsätze meines Buches detailliert ausgeführt.

Welche weiteren Themen behandeln Sie in Ihrem Buch?

Behandelt werden Privilegien der Kirche im Arbeitsrecht. Hier versucht das Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung seit Ende der 1970er Jahre die Säkularisierung rückgängig zu machen und hat den Kirchen im Bereich des Arbeitsrechts einen quasi staatsrechtsfreien Raum eingeräumt. Wenn man die dazu vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze ernst nimmt und beispielsweise auf den Islam anwenden würde, stünden wir in Deutschland kurz vor der Einführung der Scharia. Es ist sehr zu hoffen, dass der EUGH, der vom Bundesarbeitsgericht nun endlich einmal in einem solchen Fall angerufen worden ist, diesem Spuk ein Ende bereitet.

Ist der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts noch zeitgemäß?

Die Frage nach dem Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts, den einige Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben und der immer noch eine der tragenden Säulen ist, auf denen die Privilegierung der Kirchen beruht, ist problematisch geworden. Ich stelle meine Sicht auf die Rechtslage dar.

Aber auch Probleme, die sich bei den Versuchen ergeben, den Islam, eine völlig anders organisierte Religion wie das Christentum, in das bestehende System zu integrieren, behandle ich im Buch.

Sind das spezielle deutsche Fragen?

Nein, nicht mehr. Ein Aufsatz befasst sich mit der rechtlichen Lage in der EU und den praktischen Maßnahmen, die in anderen Ländern Europas gegen religiös/weltanschauliche Diskriminierung unternommen werden.

Und in einigen Aufsätzen habe ich versucht, einen Überblick über die rechtliche Lage der Weltanschauungen im Religions- und Weltanschauungsrecht zu geben und Vorschläge zu machen, welche Regelungen sinnvoll sind und welche geändert bzw. abgeschafft werden sollten.

Wie man das rechtlich sieht, das hängt doch alles auch davon ab, was Religionen und Weltanschauungen sind.

Deshalb habe ich versucht, den Weltanschauungsbegriff, der ja bislang in den juristischen Werken zum Religions- und Weltanschauungsunterricht eher stiefmütterlich behandelt worden ist, weil eben die Religionen immer im Zentrum standen, eine philosophisch begründete und juristisch handhabbare Fassung zu geben.

Noch einmal zu einem Kernpunkt zurück: Habe ich das vorhin richtig verstanden, das Bundesverfassungsgericht will in Deutschland die Scharia einführen?

Klingt lustig. Nein, das Bundesverfassungsgericht will das natürlich nicht, aber es hat mit seiner Rechtsprechung die Grenzen, die der Staat durch seine gesetzlichen Regelungen den Autonomiewünschen von Religionen und Weltanschauungen ziehen kann, extrem weit zurückgenommen.

Die Verfassung sieht vor, dass für die Religionen und Weltanschauungen die allgemeinen Gesetze gelten. Allgemeine Gesetze sind solche, die für alle und nicht nur speziell für Religionen und Weltanschauungen gelten. Das wurde und wird in der Rechtswissenschaft schon immer so gesehen.

Nur: Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders. Es hat ausgeführt, dass ein allgemeines Gesetz ein solches sei, welches die Kirchen nicht härter treffe als andere. Wenn die Kirchen also sagen "Aua! das Gesetz tut mir besonders weh!" – dann gilt es nach dem, was das Bundesverfassungsgericht meint, nicht für sie. Wenn man diesen Grundsatz jetzt einmal auf bestimmte radikale Formen des Islams anwendet, dann werden die Konsequenzen deutlich. Denen tut das deutsche Straf- und Familienrecht sicher besonders weh...

Das klingt jetzt so absurd, dass man es kaum glauben kann.

Da haben Sie – leider – völlig Recht. Es gibt aber im Religions- und Weltanschauungsrecht und insbesondere in der Rechtsprechung hierzu, Entscheidungen, die kein normaler Mensch mehr nachvollziehen kann. Das ist aber den meisten überhaupt nicht bekannt und gerade die zunehmende Zahl der Konfessionsfreien interessiert sich dafür auch nicht. Politisch halte ich das für einen Fehler, denn ohne öffentlichen Druck wird sich nichts ändern.

Eigentlich denkt man bei dem Titel "Religionen und Weltanschauungen im Recht" eher an ein Buch für Juristen, aber das, was Sie jetzt erzählt haben, hört sich alles nicht so fachjuristisch an.

Das Buch ist für alle interessant, die sich etwas umfassender über derzeit aktuelle Themen zu Religionen und Weltanschauungen informieren möchte. Ich habe die Themen immer auch historisch und philosophisch aufgearbeitet und mich bemüht, allgemeinverständlich zu schreiben – ich hoffe mit Erfolg. Einige Leute, denen ich vorab Teile zu lesen gegeben haben, meinten, dass die Texte in diese Richtung gehen. Also: Wenn man die historischen Entwicklungen nachverfolgt, ist die Rechtsgeschichte wirklich spannend und reicht in Alltägliches hinein. Schule ist so ein Alltag, nicht nur für die Kinder. Natürlich ist das auch ein Buch für Juristen. Es geht schließlich um rechtlich dominierte Fragen, aber es sind Fragen, die uns alle angehen, besonders die "säkulare Szene".

Als ich den Aufsatz zur Lage in der EU las, fand ich, dass man aus dem, was in anderen Ländern auf diesem Gebiet gemacht wird, auch für Deutschland eine Menge lernen könnte.

Ja, das Buch ist auch für solche Praktiker gedacht. Heike Weinbach, die den erwähnten Aufsatz mit mir zusammen verfasst hat, und ich haben hier einmal zusammengestellt, was sich in der EU außerhalb Deutschlands rechtlich und praktisch so tut. Das wird bislang in Deutschland immer noch zu wenig wahrgenommen. So gibt es in anderen Ländern der EU bereits Handbücher und Informationsbroschüren für Arbeitgeber, Schulen und Hochschulen, die sich speziell damit befassen, wie religiös/weltanschauliche Diskriminierung vermieden werden kann.

Horst Groschopp hat ein Vorwort zu Ihrem Buch geschrieben. Kann man das als Einleitung in das Thema empfehlen?

Dieses Vorwort, das eigentlich schon ein eigener Aufsatz ist, kann man sehr als Einleitung empfehlen. Groschopp beschreibt die historischen Entwicklungen und die aktuellen Problemkonstellationen. Das ist für jemanden, der in dem Thema nicht so wirklich drin ist, ein guter Einstieg und vor allem: Es ordnet den Band ein in das Reihenthema "Humanismusperspektiven".

Thomas Heinrichs: Religion und Weltanschauung im Recht. Problemfälle am Ende der Kirchendominanz. Hrsg.: Horst Groschopp. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2017, 269 Seiten, kartoniert, Euro 22.-, ISBN 978-3-86569-271-9 (Reihe Humanismusperspektiven, Band 2)