Indonesierin muss ins Gefängnis, weil sie die Gebetsrufe zu laut fand

Mach dich mal locker, Gott

In Indonesien ist eine Frau zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Wegen Blasphemie. Weil sie die Gebetsruf-Lautsprecher der benachbarten Moschee zu laut fand. Einmal mehr darf man sich wundern: ob Gott wirklich so leicht eingeschnappt ist.

Gäbe es einen Gott, wie sollte man ihn beleidigen können? Hätte nicht er das komplette Universum geschaffen, wohingegen jeder von uns nur ein dümmlicher, verderblicher Fleischfleck ist, der eine kurze Zeit über einen minder bedeutenden Planeten kreucht? Müsste nicht ein solcher Gott schmunzeln über jeden Versuch des Fleischflecks, sich mit ihm zu messen? Wäre nicht jede Antwort darauf eine Herabwürdigung seiner selbst, eine Entgottung, so wie jede Beleidigung ja nur unter Menschen möglich ist, wohingegen Hunde, Molche, Steine, der Wind und eben die Unendlichkeit ja gar kein wirkliches Gegenüber darstellen für den menschlichen Geist in seiner beschränkten Originalität? Kann man nicht ausschließlich beleidigen, was einem im Alltag gegenübertritt?

Solche Fragen hat sich die chinesischstämmige Indonesierin Meiliana, die jetzt zu eineinhalb Jahren Haft wegen Blasphemie verurteilt wurde, möglicherweise gar nicht gestellt, und sie tat gut daran. Denn dass sie die Mehrheitsgottheit ihres Landes, den muslimischen Allah, beleidigt oder auch nur zu beleidigen versucht hat, kann man wirklich nicht behaupten. Ihre Freveltat war diese: Sie beschwerte sich beim Hausmeister der nächstgelegenen Moschee, dass deren Lautsprecher zu laut eingestellt seien. Und der Gebetsruf also lauter sei als vielleicht notwendig – ein Problem, das im Land nicht vollkommen unbekannt ist: Dort haben selbst muslimische Verbandsvertreter schon dazu aufgerufen, die Lautsprecher der Moscheen "weise" statt maximal einzusetzen. Aber das Lärmproblem ist hier ein immanentes: Wo ein als männlich gedachter Gott auf dem Wege des Gebetsrufs mehrmals täglich seine phallische Dominanz demonstriert, da ist es naheliegend und schlüssig, dass die Lautsprecher mit größtmöglicher Wucht eingesetzt werden, damit alle Gläubigen und Ungläubigen mitkriegen, wo der Hammer hängt. Ganz wie der vielerorts schlimme Lärm der Kirchenglocken ist auch der Gebetsruf eher eine Machtdemonstration der vorherrschenden Religion ohne ernsthafte Funktion: Es ist ja nicht so, als ob die Gläubigen nicht wüssten, dass nun wieder Zeit zum Beten ist, beziehungsweise für den Gottesdienstbesuch.

Nun hat allerdings, was uns in den Nachrichten als Religion begegnet, mit echtem, ernstzunehmendem Glauben an eine Gottheit zumeist wenig zu tun. Wo sie in den Schlagzeilen auftaucht, hat jemand sie gern als Machtinstrument zur Anwendung gebracht, egal welche – ob nun ein paar gewaltbereite Irre einen Islamischen Staat gründen, ob etablierte orthodoxe Regimes Frauen und Andersgläubige unterdrücken, ob der Präsident der Vereinigten Staaten von evangelikalen Christen gepusht wird, oder ob ein einflussreicher Arbeitgeber wie die Kirche sich vom deutschen Staat mit Sonderrechten und Geld ausstaffieren lässt.

Letztlich geht es dabei nicht wirklich um den jeweiligen lieben Gott, welcher ja inmitten menschlichen Machtgeschachers, wäre er real, zwingend zu einer skurrilen Figur verkäme: Wenn er allmächtig ist und außerhalb unserer Vorstellungskraft, warum müssen wir dann Blasphemie bestrafen? Ein Gott, den man beleidigen kann, muss ein kleinlicher, narzisstischer, alberner Gott sein. Hätte er Größe, würde er doch lachen über die Männlein, die seine Existenz oder seine Autorität in Frage stellen. Er würde sich in seinem Sonntagssessel zurücklehnen, grinsen und murmeln: Na warte, Freundchen, see you in Fegefeuer. Überhaupt, da Gott bekanntlich seine eigene Gerichtsbarkeit unterhält in Form von Himmel und Hölle, von Strafen und Belohnungen: Ist es da nicht viel lästerlicher, an seiner Stelle Richter zu spielen und jemanden zu einer gänzlich weltlichen Strafe verurteilen zu wollen, so wie eben jene Meiliana, die sich beim Hausmeister beschwerte, die Lautsprecher seien doof eingestellt?

Gott wirkt durchaus auf die Welt ein. Zwar sorgt er nirgends für Wunder und nimmt auch sonst keinen willentlichen Einfluss auf den Verlauf der Weltgeschichte, etwa zum Besseren hin. Dennoch ist "Gott" dort, wo sein Einsatz sich anbietet, oft ein effektiver machtpolitischer Faktor. Die Vorstellung eines Gottes und heiliger Regeln, die man zu befolgen habe, enthemmt Menschen, sie trägt dazu bei, ihnen ihre eingeborene Moral zu nehmen: Man hat das am Beispiel des grauenvollen IS-Regimes zuletzt leider studieren dürfen, auch die bluttriefende Geschichte der Kirche hat immer wieder gezeigt, wie Religion dazu eingesetzt wird, Menschen zu entmenschen und zu unerhörten Grausamkeiten zu befähigen.

Stets steht ein Machtinteresse dahinter, das sich die Gutgläubigkeit und Verführbarkeit der Menschen zunutze macht. Religion hilft mit, ethnische Gruppen gegeneinander aufzubringen, und besondere Gefahr droht, wenn zur ethnischen Spaltung sich auch noch eine vermeintliche wirtschaftliche gesellt, so wie es in Indonesien der Fall war. Meiliana nämlich gehört zur Minderheit der chinesischen Indonesier, die seit langer Zeit ein fester Bestandteil der Bevölkerung sind. Von der niederländischen Kolonialmacht wurden sie lange protegiert, ihnen eilt ein Klischee von Reichtum, Tüchtigkeit und Gier voraus, womit der Neid vieler Menschen ihnen sicher ist. Eine solche Brenzligkeit wird durch Religion noch verschärft: Vor zwanzig Jahren kam es in Indonesien zu Massakern von Mehrheitsmuslimen gegen die chinesischen Indonesier, viele Menschen kamen zu Tode, viele verließen das Land. Das ist unvergessen. Nachdem Meiliana sich über die Lautstärke beschwerte, kam es zu den schlimmsten Ausschreitungen seit den Ereignissen von 1998.

Zunächst wurde auf sozialen Kanälen Stimmung gegen die Frau gemacht, Gerüchte wurden multipliziert, sie habe die Moschee mit Steinen beworfen. Als nächstes rottete sich ein Mob vor ihrem Haus zusammen, um es in Brand zu setzen, was Nachbarn noch verhindern konnten. Dann brach die Aggression sich Bahn: Die Meute, hauptsächlich aus jungen Männern bestehend, tobte durch die Stadt Tanjung Balai, verwüstete und verbrannte ungefähr zwei Dutzend buddhistische Gebetsstätten.

Hat Gott das gewollt? Sieht er sich angemessen repräsentiert von einem Mob brüllender, wütender Jungmänner? Wieso hat er zugelassen, dass viele Menschen an ganz andere Götter glauben, warum ließ er die Chinesen und die Holländer ins Land? Dieser Gott, wenn es ihn gäbe und man versuchte, seine Handlungen und seine Unterlassungen zu verstehen, handelte wirr, lieblos und gefährlich. Es ist eigentlich die wesentlich beruhigendere Annahme, dass es ihn eben nicht gibt – so beruhigend wie das Wissen, dass wir hier derzeit in einer Kultur leben, die, gegen alle Religion, über die Jahrhunderte große Freiheitsrechte erkämpft hat und in der man, so oft man will, öffentlich sagen kann:

Eure Kirchenglocken jeden Sonntag nerven echt hart.