Das Inferno im Krefelder Zoo

In der Silvesternacht zum 1. Januar 2020 ereignete sich im Krefelder Zoo eine Brandkatastrophe verheerenden Ausmaßes, in deren Verlauf das sogenannte "Affentropenhaus", ein 2.000 Quadratmeter Innenfläche umfassendes Gebäude, komplett abbrannte. Mehr als dreißig Tiere – in manchen Berichten ist von mehr als fünfzig die Rede – fielen dem Inferno zum Opfer, darunter fünf Orang-Utans, zwei Gorillas, ein Schimpanse, drei Goldene Löwenäffchen, zwei Silberäffchen, sechs Zwergseidenäffchen sowie eine nicht genau bekanntgegebene Anzahl an Flughunden und Vögeln.

Vier Wochen nach der Katastrophe stellt sich der Ermittlungs- und Erkenntnisstand wie folgt dar: Ganz offenbar wurde das Dach des Affenhauses durch eine sogenannte "Himmelslaterne" in Brand gesetzt. Bei diesen Laternen handelt es sich um Papierballons, die, mittels einer daran befestigten Kerze oder eines Behälters mit Brennpaste (Ethanol/Siliciumdioxid oder Ähnliches) erhitzt, wie kleine Montgolfièren nach oben steigen.

Jemand hatte in der Silvesternacht – außerhalb des Zoogeländes, aber nahe des Affenhauses – mehrere solcher Ballons steigen lassen, von denen einer unglücklich auf dem Dach des Affenhauses landete und es in Brand setzte. Als die von Nachbarn des Zoos alarmierte Feuerwehr eintraf, stand das Gebäude bereits in Vollbrand. Da man vermutete, dass keines der darin eingesperrten Tiere das Inferno hätte überleben können, ließ man das Gebäude kontrolliert niederbrennen und beschränkte sich darauf, ein Übergreifen des Feuers auf benachbarte Gebäude zu verhindern.

Acht Stunden nach Entdecken des Brandes und Stunden, nachdem die letzten Brandnester gelöscht waren, hörten die Einsatzkräfte noch Tiergeräusche aus dem komplett abgebrannten Bau. Im Schimpansenbereich entdeckte man in den sogenannten "Schlafboxen" – winzige Käfigabteile hinter den Kulissen, in denen die Tiere nachtsüber eingesperrt werden – neben einem toten Schimpansen zwei überlebende Tiere mit nicht lebensbedrohenden Verbrennungen an Händen, Füßen und im Gesicht. Die Tiere wurden herausgeschafft und in einem anderen Tierhaus des Zoos untergebracht. Im Orang-Utan-Abteil entdeckte man neben drei bei lebendigem Leibe verbrannten und völlig verkohlten Tieren zwei noch lebende, denen aufgrund der Schwere ihrer Brandverletzungen keine Überlebenschancen eingeräumt wurden. Sie wurden von einer beigezogenen Tierärztin mit einer Überdosis eines Narkosemittels euthanasiert. Im Gorillaabteil lag verbrannt und verkohlt in ihrer Schlafbox Gorillafrau BOMA, daneben, mit schwersten und großflächigen Verbrennungen am ganzen Körper, Gorillasenior MASSA. Da die Tierärztin aus unerfindlichen Gründen nicht in der Lage war, ihm eine lethale Dosis an Narkosemittel zu verabfolgen – sie versuchte dies dem Vernehmen nach über zwei Stunden hinweg –, wurde er um 10:15 Uhr, also mehr als zehn Stunden nach Ausbruch des Brandes, von einem der anwesenden Polizisten mit mehreren Schüssen aus einer Maschinenpistole "erlöst". Vorsorglich hatte man ein Polizeiaufgebot um das Affenhaus herum postiert, um gegebenenfalls ausbrechende Affen sofort erschießen zu können. Veterinärmedizinisches Personal, das mit Betäubungsgewehren oder sonstigen Teleinjektionsgeräten umzugehen gewusst hätte, war über die offenbar unfähige Tierärztin hinaus nicht bereitgestellt worden. Diese war um 1:30 Uhr morgens erst vor Ort aufgetaucht. (Am 14. Januar 2020 wurde ein von B90/DIE GRÜNEN angeforderter Bericht an den Innenausschuss des NRW-Landtages veröffentlicht, aus dem Einzelheiten der Brandkatastrophe hervorgingen.)

Silberrücken MASSA

Massa, Foto/Grafik: GAP
Massa, Foto/Grafik: GAP

Gorilla MASSA, geboren 1971 in der afrikanischen Wildnis, war als Kleinkind seinen Eltern und seiner Heimat entrissen worden: seine Mutter hatte man vermutlich, wie das damals beim Einfangen von Gorillas so üblich war, vor seinen Augen erschossen, um des Babys habhaft zu werden. Als vierjähriges Kleinkind war er an den Zoo Krefeld verkauft und in das damals eben eröffnete und jetzt abgebrannte Affenhaus gesetzt worden. Seither lebte er unter beengtesten Verhältnissen auf nacktem Betonboden, ohne Zugang zu einem Freigehege, das es in Krefeld für die Menschenaffen nicht gab. MASSA verbrachte sein gesamtes Leben in einem fensterlosen Betonbunker, ohne je wieder einen Grashalm unter den Füßen oder einen Sonnenstrahl auf der Nase gespürt zu haben. Sein Tod war das grausame Ende eines grausamen Lebens, in dem er Tag für Tag, vierundvierzig Jahre lang, zur Belustigung und zum Ergötzen zahlender Zoobesucher herhalten musste.

Keinerlei ernstzunehmender Brandschutz

Auch wenn der direkte Auslöser der Brandkatastrophe wohl eine dieser – hierzulande verbotenen, aber im Netz frei erwerbbaren – Himmelslaternen war, die irgendjemand fahrlässigerweise nahe des Affenhauses aufsteigen ließ, liegt doch eine wesentliche Mitschuld an dem Inferno beim Zoo selbst. Und zwar nicht nur darin, wie Zoogegner argumentierten, dass es ein solches Tiergefängnis überhaupt gab, sondern darin, dass das Krefelder Affenhaus über keine beziehungsweise keine ausreichenden Brandschutzvorkehrungen verfügte: es gab weder Brandmelder mit Hitzesensoren, noch Rauchmelder, geschweige denn eine Sprinkler- oder sonstige Löschanlage. Nichts davon war in dem 1975 eröffneten Haus eingebaut worden – obwohl baurechtlich schon seinerzeit vorgeschrieben – und nichts davon war in den Jahrzehnten seines Bestehens nachgerüstet worden. Auch Flucht- oder Rettungswege für die eingesperrten Tiere gab es nicht.

Hinzu kommt, dass nach einem Hagelschlag im Jahre 2008 offenbar die Glasfüllungen des Dachgerüstes gegen billigeres Acrylglas (Plexiglas) ausgetauscht worden waren. Acrylglas aber gehört – wie Holz – zu den "normal entflammbaren Baustoffen" der Baustoffklasse B2, die keinesfalls bei einer Bedachung eingesetzt werden dürfen. Ausnahmen gelten allenfalls für Teilüberdachungen im privaten Bereich wie Geräteschuppen, Pegolen, Carport- oder Vordächer. Die beim Dach des Affenhauses verwendeten Acrylglasplatten dürften als eklatanter – und vermutlich strafrechtlich relevanter – Verstoß gegen geltendes Baurecht zu werten sein. Eine abschließende juristische Bewertung, auch mit Blick auf mögliche Verstöße gegen geltendes Tierschutzrecht und andere Rechtsvorgaben, liegt noch nicht vor.

Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei dem abgebrannten Affenhaus um ein öffentliches Gebäude handelte, für welches brandschutzrechtlich wesentlich höhere Auflagen zu erfüllen gewesen wären als bei einem Privatgebäude oder Lagerhaus. Darüber hinaus zählte das Affenhaus mit seiner Besucherkapazität von mehr als 200 Personen pro Tag bereits zum Zeitpunkt seiner Errichtung 1975 zu einer baurechtlich als solche definierten Versammlungsstätte, für die die höchsten Brandschutzvorschriften hätten eingehalten werden müssen. Keine dieser Vorschriften aber wurde erfüllt.

Zoos sind gefährliche Orte

Im Gros der Tierhäuser quer durch die Zoos hierzulande ist die Situation nicht viel anders: es gibt keine oder keine ausreichenden Brandschutzvorkehrungen; und viele Tierhäuser sind mit den gleichen oder ähnlichen Acryl-/Plexiglasbedachungen (Polymethylmethacrylat) versehen, wie sie bei dem abgebrannten Affenhaus in Krefeld verwendet worden waren. Es wird zu klären sein, ob diese illegalen Bedachungen nicht sofort abgerissen und durch brandsichere Materialien ersetzt werden müssen.

In der Regel gab und gibt es in den Zoos hierzulande keine beziehungsweise keine ausreichenden Nachtwachen: im Krefelder Zoo war in der Silvesternacht (!) gerade einmal ein Security-Mitarbeiter zugange, der das 14 Hektar große Gelände samt Tierhäusern und Wirtschaftsgebäuden zu überwachen hatte. In anderen Worten: es hätte die Katastrophe von Krefeld in jedem anderen Zoo auch passieren können.

Und Vergleichbares ist ja auch schon mehrfach passiert: Im November 2010 brach im Karlsruher Zoo ein Großfeuer aus: 26 Tiere verbrannten bei lebendigem Leib. Das Feuer griff auch auf das Elefanten- und Flusspferdhaus des Zoos über und fügte den dort untergebrachten Tieren teils schwerste Brandverletzungen zu. 2012 brannte es im Schimpansenhaus des Straubinger Zoos, wenig später im Zoo von Köln.

Spenden für den Wiederaufbau

Schon am Morgen nach dem Brandinferno begann Zoodirektor Wolfgang Dreßen mit dem Akquirieren von Spendengeldern für einen Neubau des zerstörten Affenhauses. Mit massiver Unterstützung nicht nur der lokalen Medien wurde die Spendenbereitschaft von Zoofreunden angekurbelt. Über Tage hinweg wurden allenthalben Bilder gezeigt eines Meeres an Blumengirlanden, Grableuchten, Plüschtieren und von Kindern gefertigten Abschiedszeichnungen für MASSA & Co., die sich vor dem Zooeingang anhäuften.

Blumen und Grablaternen vor dem Zoo, Foto: GAP

Blumen und Grablaternen vor dem Zoo, Foto: GAP

Letztlich gab es bundes- und vermutlich weltweit kaum ein Medium – von Bild, FAZ und Focus hin zu New York Times oder South China Morning Post – das nicht in tendenziös-affirmativer Manier über den Krefelder Zoo als bedauerns- und insofern unterstützenswertes Opfer des fahrlässigen Handelns jener drei Frauen berichtet hätte, die sich als verantwortlich für das Steigenlassen der Himmelslaternen geoutet hatten. Selbst unterschwellige Anwürfe wurden laut, das Feuer sei möglicherweise von Tierrechtlern gelegt worden, um dem Zoo zu schaden (zoos.media).

Besserwisserei ohne Kenntnis von Fakten?

Auch in den sozialen Netzwerken wurde das Inferno breit diskutiert, allerdings weit weniger zooaffirmativ als in den Leitmedien. Der Krefelder Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD) beklagte sich insofern über massive "Entgleisungen im Internet", sprich: über "geschmacklose Witze, Besserwisserei ohne Kenntnis von Fakten, wüste Beschimpfungen gegen Einsatzkräfte und Tierpfleger, falsche Spendensammler, ungeprüfte Behauptungen über den vermeintlichen Verlauf des Unglücks, ja sogar die Androhung von Lynchjustiz gegen die Verdächtigen, die sich selbst bei der Polizei gestellt hatten". In der Tat mag es all das gegeben haben. Es gab allerdings auch fundierte und seriös vorgetragene Kritik, etwa am mangelnden Brandschutz des Affenhauses oder am rechtswidrigen Einbau eines entflammbaren Acrylglasdaches, die Meyer konsequent ignorierte. Und dies vermutlich deshalb, weil der Stadt Krefeld als Mehrheitseignerin des Zoos (74,9 Prozent) und damit ihm selbst deren oberstem Repräsentanten womöglich Mitverantwortung für die Katastrophe zugewiesen werden könnte. Auch zu dem Umstand, dass Zoodirektor Dreßen als direkter Untergebener Meyers die Öffentlichkeit eine Woche lang vorsätzlich belogen hatte mit seiner Behauptung, es hätten bei oder nach dem Brand keine Tiere "erlöst" werden müssen – dass Gorilla MASSA tatsächlich schwerstverletzt überlebt hatte und letztlich erschossen wurde, hatte er insofern verheimlicht – wusste der Krefelder Oberbürgermeister nichts zu sagen.

Stattdessen plädierte er schon am Tag nach dem Brand und noch vor der Aufnahme staatsanwaltlicher Ermittlungen für die Fortsetzung der Menschenaffenhaltung in seinem Zoo, sprich: Für den Neubau eines Affenhauses. Drei Wochen nach dem Brand fasste der Aufsichtsrat des Zoos, dem die Krefelder Stadtspitze qua Amt zugehört, einen formellen Beschluss, zügig mit der Planung eines neuen Affenhauses zu beginnen.

Eine Woche später wurde dieser Beschluss auf einer groß angekündigten "Gedenk- und Solidaritätsveranstaltung für den Zoo" vor dem Krefelder Rathaus offiziell verkündet. Mehr als 1,4 Millionen Euro seien bereits an Spenden zum Bau eines neuen Affenhauses eingegangen. Man werde "schöner, besser, größer und moderner" bauen, so Meyer, als man sich das je habe vorstellen können. In der Tat hätte dem Zoo – auch wenn in dieser Weise sicher nicht herbeigewünscht – überhaupt nichts Besseres hätte passieren können als der Brand in der Silvesternacht: Der marode Kasten ist weg, an dem man mit beschränkten Geldmitteln und auf beschränktem Platz allenfalls ein wenig herumsanieren und ein seit langer Zeit geplantes Schimpansenaußengehege irgendwie hätte anflicken können. Stattdessen ist jetzt plötzlich genug Geld da – Spenden, Versicherungsleistungen, kommunale Steuergelder – um aus dem Vollen schöpfen und auf dem freigewordenen Platz "eine der modernsten Menschenaffenanlagen der Welt", gar ein "Menschenaffenschutzzentrum" bauen können. Die Kosten eines Neubaus werden mit einer zweistelligen Millionensumme veranschlagt (zum Vergleich: Das 2013 eröffnete Stuttgarter Menschenaffenhaus verschlang 24 Millionen Euro).

Sekundärer Unglücksgewinn

Im Übrigen hätte auch mit Blick auf die "Entsorgung" der beiden Gorillasenioren MASSA und BOMA dem Zoo gar nichts besseres passieren können als der Brand in der Silvesternacht: Aus Altersgründen waren sie nicht mehr zur "Zucht" zu gebrauchen und standen insofern seit Jahren "im Wege". Das gleiche gilt für die drei Schimpansen, die in einer geplanten neuen Zuchtgruppe keinen Platz mehr gehabt hätten: tatsächlich werden die beiden überlebenden Tiere schnellstmöglich an einen anderen Zoo, dem Vernehmen nach an den von Karlsruhe, abgeschoben. Und selbst die fünf zu Tode gekommenen Orang-Utans galten als Dauerbelastung: Für sie war in den Umbauplänen des Zoos keine Verbesserung vorgesehen, aus Platz- und Geldmangel hätten sie weiterhin kein Außengehege bekommen, was den Zoo in eklatantem Widerspruch zu den Anforderungen an moderne Menschenaffenhaltung gehalten und damit fortdauernde Kritik auf sich gezogen hätte. Nun sind die alten oder sonstwie unbrauchbaren Tiere weg, und man kann mit neuzuerwerbenden "Zuchttieren" – angeboten haben sich bereits die Zoos Karlsruhe und/oder Rostock – völlig neue "Zuchtlinien" aufbauen.

Letzter Gruß, Foto: GAP

Letzter Gruß, Foto: GAP

Allerdings steht die Krefelder Bevölkerung, die die finanzielle Hauptlast für einen Neubau zu tragen haben würde, keineswegs so einhellig hinter den Beschlüssen von Stadtverwaltung und Zoo, wie diese die Öffentlichkeit glauben machen wollen. Zu besagter "Gedenk- und Solidaritätsveranstaltung für den Zoo" am 24. Januar 20120, zu der – tagelang groß angekündigt und beworben – Stadtspitze, Zoodirektion und Zoofreundeskreis auf den Platz vor dem Krefelder Rathaus geladen hatten, tauchten nach Polizeiangaben gerade einmal 250 Personen auf (tatsächlich waren es noch weniger). Und das, obgleich man mit Theo Pagel sogar den Präsidenten des Weltzooverbandes (WAZA) als Redner aufgeboten hatte.

Tatsächlich gibt es zunehmend hörbaren Protest gegen die Pläne von Stadt und Zoo für eine Fortsetzung der Menschenaffenhaltung in Krefeld. Die gesammelten Spendengelder, so der Tenor, sollten eingesetzt werden für eine Sanierung der bestehenden Tierhäuser und Anlagen, die sich in teils desolatem und alles andere als tiergerechtem Zustand befindenden. Zumindest sollte dafür gesorgt werden, dass die Tierhäuser mit ordentlichen Brandschutzvorkehrungen und brandsicheren Dächern ausgestattet werden.

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