Kommentar

"Judensau"-Skulpturen an bayerischen Kirchen sollen erhalten bleiben?

Der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Herr Spaenle, hat mit einem "Runden Tisch" darüber nachgedacht, wie man in Bayern mit den diffamierenden antisemitischen Hetzskulpturen an Kirchen und öffentlichen Gebäuden umgehen möchte. Die Runde ist zu dem bemerkenswerten Beschluss gekommen, dass diese widerwärtigen Beleidigungen jüdischer Menschen in aller Öffentlichkeit erhalten werden sollen und damit ihre beleidigende Wirkung behalten.

Zur Begründung gibt der Antisemitismusbeauftragte kund: "Wenn die Skulpturen aus dem Kontext gerissen würden, wäre eine Erläuterung nur schwer möglich. Stattdessen sollen sich in Zukunft alle Beteiligten am Ort mit den Schmähfiguren auseinandersetzen. Für jedes Objekt müssten der geistes-, kultur- und kirchengeschichtliche Kontext erklärt und vertiefende Informationen etwa über einen QR-Code zur Verfügung gestellt werden." (dpa, 8. Dezember 2020)

Wird eine hasserfüllte Beleidigung dadurch aufgehoben, dass man sie "geistesgeschichtlich erklärt"? Hätten dementsprechend auch Hakenkreuze und antisemitische Ortsschilder in ihrem "Kontext" verbleiben müssen, damit das NS-System hätte erläutert werden können? Sind Juden, gegen die sich die Beleidigung richtet, im Sinne des bayerischen Antisemitismusbeauftragten ebenso wie die Eigentümer und Bewahrer dieser Hetzbilder "Beteiligte", die sich "am Ort mit den Schmähfiguren auseinandersetzen" sollen?

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Herr Klein, plädiert unmissverständlich und aus gutem Grund dafür, die Hassbilder im öffentlichen Raum zu entfernen. Die Auseinandersetzung und Bekämpfung des Antisemitismus ist dringend notwendig und sicher auch dann möglich, wenn diese Skulpturen aus dem öffentlichen Raum entfernt und – wenn unbedingt von staatlicher und kirchlicher Seite gewünscht – in den betreffenden Kirchen oder in Museen mit eindeutigen und distanzierenden Texten versehen werden. Es ist nicht bekannt, dass die Auseinandersetzung mit historischem und aktuellem Antisemitismus zum Beispiel in Kelheim, wo die "Judensau" 1945 abgenommen und zerstört wurde, deswegen nicht stattfinden könnte.

Die erst nach Aktionen von mir und Günter Wangerin 2005 in Cadolzburg, Regensburg und Nürnberg angebrachten Plexiglastafeln enthalten Texte mit irreführenden Phrasen ohne Schuldbekenntnis und Absichtserklärung. Eine Tafel mit unmissverständlich distanzierendem Text wurde in Regensburg nach kurzer Zeit von kirchlichen Beauftragten entfernt.

Uns sind acht (nicht "rund ein Dutzend solcher 'Judensau'-Darstellungen") bekannt. Es wäre dringend erforderlich, dass endlich – wie lange schon gefordert – eine gründliche wissenschaftliche Recherche und Forschung zu Entstehung und Verbreitung dieser antisemitischen Hetzbilder begonnen wird. Kommenden Donnerstag, 17. Dezember um 11 Uhr wird der bereits erwähnte, unmissverständlich distanzierende Text erneut der Öffentlichkeit am Regensburger Dom bekannt gemacht.

Negativbeispiel Regensburger Dom

An der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Schmähskulptur am Regensburger Dom befinden sich drei durch ihre Kopfbedeckung als Juden gekennzeichnete Personen. Einer hält die Sau am Ohr, die anderen beiden machen sich an den Zitzen zu schaffen. Seit 2005 ist unter der Plastik eine Tafel angebracht, dort ist zu lesen:

Informationstafel zur "Judensau" in Regensburg
Phrasenhafte Informationstafel zur "Judensau" in Regensburg (Foto: © Wolfram Kastner)

Für mich ist das ein Text, der nichts besagt und obendrein falsch ist: Wenn ich mir heute den Antisemitismus anschaue, der auch unter Christen stark verbreitet ist, dann hätte man etwas anderes schreiben müssen, zum Beispiel, dass man sich dazu verpflichtet, sich gegen jede Form von Antisemitismus zu wehren. Und was völlig fehlt: Die Kirchen haben im Mittelalter und in der frühen Neuzeit davon profitiert, dass man Juden ausgeraubt, vertrieben und ermordet hat, zum Teil haben die Kirchen die Pogrome mit angestiftet, und das sollte man dann auch klar und deutlich benennen und bekennen, statt nichtssagende Worthülsen zu verwenden.

So verwies der Regensburger Stadtrat im Jahr 1519 alle Juden der Stadt, das jüdische Viertel und die Synagoge wurden zerstört, der Friedhof geschändet, an der Stelle der Synagoge wurde eine Wallfahrtskapelle errichtet. Erst 150 Jahre später entstanden wieder erste Ansätze jüdischen Lebens in der Stadt.
Am 9. November 1938 wurde die Synagoge niedergebrannt, Juden wurden geschlagen und verhaftet, ihre Läden geplündert. Am nächsten Tag wurden Juden von Nazis in einem "Schandmarsch" durch die Stadt getrieben.

Für den Regensburger Dom hatte ich im Jahr 2005 selbst eine Tafel anfertigen lassen, auf der zu lesen war:

Tafelvorschlag von Wolfram Kastner
Tafelvorschlag von Wolfram Kastner am Regensburger Dom (Foto: © Wolfram Kastner)

Am 12. Mai 2005 brachte ich diese Tafel in einer Aktion am Regensburger Dom an, wenige Stunden später wurde sie entfernt.

Ähnlich verhält es sich mit der Stadtkirche Heilig Dreifaltigkeit in Bayreuth, an der eine kaum noch erkennbare Schmähskulptur hängt. 2004 wurde eine Gedenktafel angebracht, sie trägt die Inschrift: "Unkenntlich geworden ist das steinerne Zeugnis des Judenhasses an diesem Pfeiler. Für immer vergangen sei alle Feindseligkeit gegen das Judentum." Auch hier gilt: Wünschen hilft nicht weiter. Die Kirchen müssen etwas tun und Verantwortung übernehmen, denn vergangen ist der Antisemitismus heutzutage augenscheinlich nicht.

Nicht viel besser: die Nürnberger Sebalduskirche

Die Schmähskulptur an der Nürnberger Sebalduskirche, die sich dort seit 1380 befindet, zeigt neben Juden, die an den Zitzen des Schweins saugen, einen Juden, der der Sau eine Schüssel hinhält, und einen weiteren, der ihre Exkremente mit einem Topf auffängt. Bei der Skulptur befindet sich keine Tafel, das in der Kirche ausliegende Faltblatt über das Gebäude verweist zwar mit den Worten "Judensau-Plastik um 1380" darauf, erklärt wird dadurch nichts, man ist eher irritiert. Angeblich soll einem bei Nachfrage am Informationsschalter ein Flyer ausgehändigt werden. Der Schalter war bei unserem Besuch aber nicht besetzt. Komisch ist auch, dass zur Sebalduskirche verschiedenste Flyer ausliegen, nur der zur Schmähskulptur nicht.

"Judensau" an der Nürnberger Sebalduskirche
"Judensau" an der Sebalduskirche in Nürnberg: An den Zitzen saugen zwei Juden, ein dritter hält der Sau eine Fressschale vor und ein vierter fängt ihre Exkremente auf (im Bild nicht erkennbar). (Foto: Alexander Altenhof via Wikimedia Commons, CC BY 4.0)

Auf der Internetseite der Kirche jedoch wird auf die Plastik eingegangen und der Kirchenvorstand erklärt dazu: "Das 'Judensau'-Schmähbild aus dem Spätmittelalter drückt den Judenhass aus, der die Schoah vorbereitet hat. Im selben Ungeist sind jüdische Bürger Nürnbergs bis ins 20. Jahrhundert verachtet und verteufelt, vertrieben und vernichtet worden. Voller Scham verbeugen wir uns vor den Millionen Opfern des Judenhasses. Wir bitten sie und unseren gemeinsamen Gott um Vergebung."

Mir reicht diese Stellungnahme auf der Internetseite nicht. Es geht nicht nur darum, sich zu schämen, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen, ein Schuldbekenntnis abzulegen und sich zu verpflichten, sich gegen jegliche Form von Ausgrenzung und Antisemitismus zu wehren – und das in der Kirche und im öffentlichen Raum deutlich zu machen.

Im Jahr 1349 wurden in Nürnberg über 500 Juden, etwa ein Drittel der dortigen jüdischen Gemeinde, bei einem Pogrom ermordet, die Übrigen vertrieb man aus der Stadt und da, wo die Synagoge gestanden hatte, baute man die Frauenkirche.

In Bayern finden sich weitere antijüdische Schmähplastiken noch im Münster des Klosters Heilsbronn – dort befindet sich an einer Säule im "Mortuarium" (Grablege) eine "Judensau" aus dem 15. Jahrhundert, die als Sockel für eine Heiligenfigur dient – sowie an einem Wohnhaus (ehemaliges Domherrenstift) in der mittelfränkischen Stadt Spalt. Darüber hinaus gibt es noch circa 20 weitere in ganz Deutschland, zum Beispiel in Magdeburg, Köln, Erfurt und Goslar. Und auch an weltlichen Gebäuden findet man sie, in Bayern beispielsweise an der Cadolzburg.

Immer wieder in den letzten 20 Jahren habe ich Aktionen und Interventionen vor Kirchen in ganz Deutschland durchgeführt. 2002 zum Beispiel habe ich vor dem Kölner Dom ein Sandwich-Plakat getragen mit der Aufschrift "Judensau am Kölner Dom" und dazu Flyer verteilt. Wenig später erfolgte eine Aktion in Nürnberg, mit einem aufs Pflaster gesprühten Schriftzug "Judensau" und einem Pfeil zur Wand der Sebalduskirche wies ich auf die antijüdische Plastik hin.

Wer mehr zum Thema wissen will, findet die besten Informationen auf der zwar nicht mehr aktualisierten aber sehr informativen Internetseite "christliche-sauerei.de".


Hinweis der Redaktion: In der ursprünglichen Version des Textes hieß es, die Aktion am Regensburger Dom (fett gedruckt) habe bereits vergangenen Donnerstag stattgefunden. Dies haben wir korrigiert.

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