Rezension

Demokratie und Scharia – passt dann doch nicht

Der Islamwissenschaftler Niklas Hünseler fragt in seiner Studie "Demokratie und Scharia. Vorstellungen politischer Herrschaft der Da'wa Salafiyya, Ägyptischen Muslimbruderschaft und Wasat-Partei" danach, inwieweit Demokratie und Islamismus anhand der im Untertitel genannten Untersuchungsobjekte zusammenpassen können. Dabei arbeitet er in systematischer Analyse mit einem Minimalverständnis, das auch Alternativmodelle zu westlichen Demokratievorstellungen berücksichtigt, und kommt zu dem Ergebnis, dass die meisten Grundlagen nicht akzeptiert werden, allenfalls mit Einschränkungen der prozedurale Wahlakt.

Welche Auffassungen bestehen über Demokratie im Politischen Islam? Über diese Frage wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Antworten hängen nicht nur mit der politischen Ausrichtung der Diskussionsteilnehmer, sondern auch mit dem jeweiligen Begriffsverständnis von Demokratie zusammen. Darüber hinaus gibt es bei den gemeinten Akteuren unterschiedliche Bekundungen, die von der Bejahung einer "islamischen Demokratie" bis hin zur Verdammung der Volkssouveränität reichen. Eine breiter und differenzierter angelegte Analyse ist von daher notwendig und der Islamwissenschaftler Niklas Hünseler legt eine solche Untersuchung vor. Seine Arbeit "Demokratie und Scharia. Vorstellungen politischer Herrschaft der Da'wa Salafiyya, Ägyptischen Muslimbruderschaft und Wasat-Partei" ging aus seiner Promotion hervor. Sie verbindet politikwissenschaftliche Analysefähigkeit mit islamwissenschaftlicher Kompetenz, was bereits aufgrund dieser Kombination für ihre Relevanz zum Thema spricht. Der Autor löst auch entsprechende Erwartungen ein.

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Dazu entwickelte er allgemeine Fragestellungen mit konkreten Untersuchungskriterien. Erstere lauten: "Wie begründen die Akteure die Befürwortung beziehungsweise Ablehnung von Demokratie?", "In welchem Rahmen bewegt sich Demokratie beziehungsweise welcher Art ist das Verhältnis von Demokratie und Scharia?" und "Wie ist die politische Ordnung, über die verschiedene Akteure der drei Gruppen Aussagen tätigen, im Hinblick auf ihre institutionellen Aspekte beschaffen?" (S. 40 f.). Mit den "drei Gruppen" sind die Organisationen aus dem Untertitel gemeint. Damit wird bereits eine Einschränkung deutlich, bezieht sich die Untersuchung doch nur auf diese. Da es sich hierbei aber um relevante politische Akteure auf dem Feld des Islamismus handelt, ist die Fixierung auf ein solches Untersuchungsfeld verständlich. Hünseler analysierte nicht nur öffentlich zugänglichen Publikationen, er führte auch mit hohen Funktionsträgern gesonderte Gespräche. Darüber hinaus benannte der Autor für die Definition von Demokratie auch Minimalbedingungen über Wahlen hinaus.

Dieser Ansatz ist aus unterschiedlichen Gründen bedeutsam, kann es doch alternative Demokratieformen zum westlichen Modell geben. Die minimalen Grundlagen dienen dann auch als Untersuchungskriterien: "Definition und Legitimation von Demokratie", "Machtübertragung, Machtrotation und Herrschaftsbegrenzung", "Entscheidungsfindung, Reichweite und Grenzen des Volkswillens", "Pluralismus, Streitkultur und Opposition" sowie "Rechte und Freiheiten". Diese Gesichtspunkte nutzt Hünseler zur detaillierten Untersuchung, wobei alle drei Organisationen zunächst gesondert und dann im systematischen Vergleich analysiert werden. Dies geschieht mit hohem Differenzierungsvermögen bei den Einschätzungen und Fragen zu spezifischen Kontexten. Dabei wird etwa deutlich, dass eine Bejahung von Demokratie häufig nur auf die prozeduralen Gesichtspunkte von Wahlen beschränkt ist. Auffassungen von gleichen Bürgerrechten, individuellen Freiheiten und vollumfänglicher Volkssouveränität werden meist nicht geteilt.

Die ausführliche und detaillierte Analyse ist von der islamwissenschaftlichen Kompetenz des Verfassers geprägt. Aus dem politikwissenschaftlichen Blickwinkel hätte man sich noch genauere Einschätzungen dazu gewünscht, wie die behandelten politischen Ordnungsvorstellungen genau eingeschätzt werden müssten. Indessen handelt es sich um eine islamwissenschaftliche und nicht um eine politikwissenschaftliche Untersuchung. Gerade anhand der Kombination beider Perspektiven wird ihre Relevanz deutlich.

Es gibt gelegentlich auch kurios wirkende Einschätzungen wie etwa: "Es lässt sich feststellen, dass sich besonders die Da'wa Salafiyya eines Schumpeterschen Demokratiebegriffs bedient, Demokratie also als ein von jeglichen Werten oder Zielvorstellungen befreites Verfahren beziehungsweise als eine Methode (…) betrachten möchte, um (trotz eigentlicher Ablehnung dieser) nur ein absolutes Minimum an 'Demokratie' akzeptieren zu müssen" (S. 552). Derartige Einsichten regen auch an, das Demokratieverständnis hinsichtlich seiner Konturen weiter zu entwickeln.

Niklas Hünseler, Demokratie und Scharia. Vorstellungen politischer Herrschaft der Da'wa Salafiyya, Ägyptischen Muslimbruderschaft und Wasat-Partei, Reihe: Kultur, Recht und Politik in muslimischen Gesellschaften, Band 43, Baden-Baden 2020, Ergon-Verlag, 596 Seiten, 112 Euro

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