Die nicht ganz so stillen Räume

Was haben eine Universität, ein Flughafen, ein Einkaufszentrum, ein Bahnhof, ein Krankenhaus, eine Regelschule und der Bundestag gemeinsam? Richtig! Sie sind Orte des spirituellen, esoterischen und multireligiösen Geschehens.

Die Rede ist von einem sogenannten "Raum der Stille" (manchmal auch Gebets- oder Andachtsraum, oder engl. "multifaith space" genannt). Als solcher ist er historisch gesehen ein noch recht junges Phänomen und ist im Zuge der zunehmenden Säkularisierung im globalen Westen entstanden. Es lassen sich grundlegend zwei Realisierungsformen unterscheiden: Extrainstitutionelle Räume und intrainstitutionelle Räume.

Extrainstitutionelle Räume sind meist eigene Gebäude, die sich als spirituelle Orte für alle verstehen (z.B. die "faith-neutral" church in Kopenhagen) oder überkonfessionelle Verbindungen pflegen (z.B. das "house of one" in Berlin).

Intrainstitutionelle Räume hingegen sind häufig in säkularen Einrichtungen, wie den eingangs erwähnten, vorzufinden. Letztere werden architektonisch und gestalterisch schlicht gehalten und nur mit dem Wesentlichsten ausgestattet. Untersagt sind in der Regel das Aufhängen und Aufstellen jeglicher religiöser oder spiritueller Symbole und Tätigkeiten, die andere stören könnten, wie die Nutzung von Räucherwerk, rituelle Waschungen, laute Gebete etc. Der beschriebene Nutzungszweck variiert je nach Website sehr. Manchmal ist er ein Raum der Besinnung, eine "Oase der Zuflucht", ein Ort der Entspannung, mal ein Ort des Gebets, der Meditation oder der Begegnung. Darüber hinaus soll er allen, weltlich wie religiös, offenstehen. Trotz der positiven Darstellung und der "mythischen Aura einer frühmittelalterlichen Krypta", wie es Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Bundestags, einmal in Bezug auf den Andachtsraum im Bundestag formulierte, sind solche Räume nicht ganz unproblematisch.

Ein theoretisches Problem?

Laut dem belgischen Rechtswissenschaftler Ryszard Bobrowicz lösen vor allem intrainstitutionelle Räume der Stille gemischte Gefühle aus. Auf der einen Seite befinden sich Befürworter, die vor allem die interreligiöse Ausrichtung, die Förderung der Toleranz und die Erleichterung der alltäglichen Religionsausübung lobpreisen. Auf der anderen Seite gibt es starke Gegenstimmen, die befürchten, dass dadurch "unsichtbare Moscheen" entstehen könnten, die sich so unbemerkt in den öffentlichen Raum "schleichen" würden.

Dass letzteres keine unbegründete Sorge ist, wurde spätestens durch die Recherchen von Constantin Schreiber zu seinem Buch "Inside Islam – Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird" im Jahre 2018 deutlich. Der Nachrichtensprecher und Autor stieß dabei immer wieder auf sogenannte "Hinterhofmoscheen", also nicht offiziell eingetragene Moscheen. Wie viele Moscheen es in Deutschland tatsächlich gibt, ist kaum überschaubar. Eine Auswertung von Statista aus dem Jahr 2020 kommt auf in etwa 2.800 Moscheen, wobei nur ein Zehntel städtebaulich (mit Minarett etc.) sichtbar ist. Diese Zahl stellt wahrscheinlich eine eher konservative Schätzung dar.

Wer beten möchte, kann in ein Gotteshaus oder sonst eine sakrale Einrichtung gehen. Physiker fordern schließlich auch nicht den Bau eines Teilchenbeschleunigers in einer Moschee, nur, weil sie während dem Beten plötzlich das Bedürfnis bekommen den Urknall zu untersuchen, sondern gehen in die dafür vorgesehenen Labore. 

Eine weitere Perspektive, die Bobrowicz beschreibt, ist dahingehend interessant, dass es auch Stimmen gibt, die den Raum der Stille als eine Art der "modernen Diskriminierung" von Religionen interpretiert. So sei es eine moderne Idee, dass der persönliche, individuelle Glaube wichtiger sei als der institutionelle religiöse Glaube. Da der Raum der Stille auf jegliche religiöse Symbole (Kreuz, Kanzel, Gebetsteppiche etc.) verzichtet, benachteilige er Personen, die auf eine bestimmte religiöse Umgebung angewiesen seien und unterstütze lediglich diejenigen, die ihren Glauben unabhängig für sich still und im Privaten praktizieren. Das heißt also, wenn beispielsweise eine Universität, deren Aufgabe Forschung und Lehre ist, einen Raum für spirituelle Personen einrichtet, sodass diese ihren privaten Bedürfnissen nachgehen können, diskriminiert sie diejenigen, die andere Einrichtungsvorstellungen haben? Dass dieses Argument sich selbst ad absurdum führt, bedarf keiner weiteren Ausführung.

Wenn stille Räume laut poltern

So viel zur intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Thema. Wie sieht es nun in der Praxis aus? Das ist keine leicht zu beantwortende Frage, denn es gibt kaum gute Evaluationen oder empirische Untersuchungen, die Hinweise zum Nutzen oder zur Gefahr der Räumlichkeiten geben. Allerdings finden sich einige Kontroversen im Zusammenhang mit Universitäten.

Die Uni Hamburg und die Uni Hannover berichten von Schwierigkeiten mit muslimischen Studierenden, da diese Vorhänge eingezogen hätten, um beim Gebet Männer von Frauen zu trennen. Im Falle der Uni Hamburg entbrannte die Diskussion um den Raum der Stille dermaßen, dass eine Kommission eingesetzt werden musste, die einen konkreten Verhaltenskodex entwickelte, um den Raum vor der Schließung zu bewahren. Laut einer AStA-Sprecherin der Uni habe sogar die Erdoğan-nahe islamistische Bewegung Millî Görüş hinter den Kulissen mitgemischt. An der Universität Frankfurt wurde sogar ein eigenes "Haus der Stille" eingerichtet, welches im gegenseitigen Einverständnis die Trennung von Mann und Frau beim muslimischen Gebet baulich ermöglicht. Dies sei allerdings "freiwillig", meint Studierendenpfarrer Eugen Eckert. An der Uni Bochum wurde der Raum von Salafisten besetzt, unter ihnen der mutmaßliche ehemalige Leibwächter von Osama bin Laden. Die TU Dortmund und die TU Berlin haben ihre Räume bereits geschlossen. Bei ersterer wurden ebenfalls Vorhänge und muslimische Gebetsteppiche ausgerollt. Bei zweiterer habe man sich für einen säkularen Weg entschieden, nämlich die Universität von der Religion zu trennen.

Lediglich an der Universität Paderborn und der Universität Köln habe man gute Erfahrungen gemacht, hier würden die Regeln eingehalten. An der Uni Stuttgart bemüht sich seit 2016 die Muslimische Studierenden Union und die Muslimische Studierenden Gruppe um die Etablierung eines Raums der Stille unter Verweis auf die "Charta der Vielfalt", die von der Universität unterschrieben wurde. Auch an der Uni Konstanz bemüht sich die Muslimische Hochschulgruppe (MHG) seit Jahren um solch einen Raum. In einem Interview des Studi-Magazin Campuls der Uni Konstanz mit zwei Vorstandsmitgliedern der MHG wird deutlich, dass auch hier Männer und Frauen getrennt beten. Außerdem berichtet Mahira von der MHG, dass es generell im Islam zwei Ansichten zum Kopftuch gebe: Entweder man bedecke nur die Haare (Hijāb) oder auch das Gesicht (Niqab). Letzteren trägt die Vertreterin auf dem Foto zum Artikel.

Nach den Erlebnissen der anderen Universitäten kann man sich bereits denken, in welche Richtung es gehen könnte. Die Hochschulgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung Bodensee hat sich bereits mit einer Stellungnahme an das Rektorat der Uni Konstanz und den AStA gewandt, mit der Intention den Raum zu blockieren. "Eine säkular-staatliche Einrichtung wie eine Universität muss sich strikt weltanschaulich neutral positionieren, da sie sonst Gefahr läuft Komplize ideologischer Doktrin zu werden, wie es bei der Uni Hamburg geschehen ist", so ein Sprecher der Gruppe.     

Einordnung in einen weltanschaulich neutralen Staat

Die Weimarer Verfassung schuf einen Regelungskomplex, der auf Religionsfreiheit, weltanschaulicher Neutralität des Staates und Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften beruht. Das Neutralitätsgebot definiert sich in einem säkularen Rechtsstaat durch eine Trennung von Staat und Religion, wobei der Staat der Religion wohlwollend gegenübertritt. Der Staat ist hier repräsentiert durch die Universitäten. Nach Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) herrscht Weltanschauungsfreiheit, was jedem garantiert, glauben oder nicht glauben zu können, was er oder sie möchte und dies auch ausüben zu dürfen.

Zynisch ist, dass die Notwendigkeit der Gründung der Räume häufig mit demokratischen Werten wie "Diversität", "Religionsfreiheit", "Pluralität", "Toleranz" und "Kultursensibilität" begründet wird, wenngleich in deren Schatten das Gegenteil praktiziert wird.

Hier gibt es jedoch eine Verwechslungsgefahr: Artikel 4 Absatz 1 und 2 (GG) und "wohlwollende Einstellung" gegenüber Religionen bedeutet mitnichten eine aktive Förderung, es bedeutet, sich aus weltanschaulichen Angelegenheiten (positiv wie negativ) herauszuhalten; das gilt für Christen, Muslime, Juden, Hindus, Buddhisten, Humanisten, Pastafari usw. Kurzum: Wer beten möchte, kann in ein Gotteshaus oder sonst eine sakrale Einrichtung gehen. Physiker fordern schließlich auch nicht den Bau eines Teilchenbeschleunigers in einer Moschee, nur, weil sie während dem Beten plötzlich das Bedürfnis bekommen den Urknall zu untersuchen, sondern gehen in die dafür vorgesehenen Labore. 

Fazit

Am Beispiel der Universitäten wurde verdeutlicht, dass wir bei den sogenannten Räumen der Stille genau hinsehen müssen, welche Akteure diese aus welchen Gründen etablieren möchten. Leider scheint es so, als ob vor allem Muslime – nein, konservative und reaktionäre Muslime ein Interesse an diesen Orten haben und weniger die "Allgemeinheit" oder liberale Muslime, wie es immer wieder betont wird. Zynisch ist, dass die Notwendigkeit der Gründung der Räume häufig mit demokratischen Werten wie "Diversität", "Religionsfreiheit", "Pluralität", "Toleranz" und "Kultursensibilität" begründet wird, wenngleich in deren Schatten das Gegenteil praktiziert wird. Das erinnert stark an das Toleranz-Paradoxon des Philosophen Karl Popper (1902 – 1994): Uneingeschränkte Toleranz ist gegenüber Intoleranz wehrlos und werde zum Verschwinden der Toleranz führen. Wenn in Räumen mit Vorhängen nach Geschlecht getrennt wird und "der Islam" nur Hijāb oder Niqab kennt, dann ist das frauenfeindlich. Wenn Millî Görüş und Salafisten einen universitären Raum kapern und für die Verbreitung ihrer religiös-politischen Ideologie nutzen, dann ist das ein Angriff auf die offene und freie Gesellschaft in der wir leben.


Anmerkung des Autors: Ich möchte zum Abschluss betonen, dass sich dieser Artikel aufgrund des Mangels an vernünftigen Quellen auf Räume der Stille an Universitäten konzentriert hat. Daher können die Inhalte nicht notwendigerweise auf andere Orte übertragen werden.

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