Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft

Ist Religion in ihrer emotionalen Funktion ersetzbar?

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Das Podium: Prof. Dr. Bernd Schmidt, Helmut Fink, Prof. Dr. Eckart Voland (v. l. n. r.)
Das Podium: Prof. Dr. Bernd Schmidt, Helmut Fink, Prof. Dr. Eckart Voland (v. l. n. r.)

Religionen vermitteln Sinn-, Gemeinschafts- und Trostgefühle, die für Einzelne nachweisbar nützlich sind. Ist Religion deswegen unverzichtbar? Zwei unterschiedliche Standpunkte zu dieser Frage trafen bei einer Veranstaltung der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Ende Oktober zusammen.

Im jährlich stattfindenden Tagesseminar der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg, zu der der Verein am Samstag, den 27.10. ins Nachbarschaftshaus Gostenhof geladen hatte, ging es in fünf Vorträgen um die Vertiefung des Wissens über den einflussreichen Religionskritiker des 19. Jahrhunderts, sowie um die Relevanz seiner Erkenntnisse für heutige Debatten.

Letzteres wurde vor allem Thema in der vom Vereinsvorsitzenden Helmut Fink moderierten Podiumsdiskussion zur Zukunft der Religionskritik. In ihr trafen am späten Nachmittag zwei Referenten aufeinander, die zur Frage der emotionalen Bedürfnisse des Menschen und ihrer Befriedigung durch Religion gegensätzliche Positionen entwickelt haben.

Eckart Voland, Foto: © Helmut Fink
Eckart Voland, Foto: © Helmut Fink

Zum Start ging es jedoch erstmal um die Frage, welche heutigen evolutionsbiologischen Erkenntnisse zur Religion durch Feuerbach vorweggenommen wurden. Der Gießener Biologieprofessor Eckart Voland gab dafür in seinem Vortrag einen Überblick über die inzwischen bekannten evolutionären Vorteile religiösen Verhaltens – etwa in den Bereichen soziale Bindung und Identitätsbildung. Anders als Feuerbach damals schrieb, gehöre zum Wesen von Religion auch, teure Signale zu fordern. Funktionell erlaube das die Lösung von Schwarzfahrer-Problemen in Gruppen. Feuerbachs berühmtester Satz "Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde" sei heute jedoch noch so aktuell wie damals, schloss Voland.

Claudia Dalla Rosa Soares, Foto: © Helmut Fink
Claudia Dalla Rosa Soares, Foto: © Helmut Fink

Die Berliner Lebenskunde-Lehrerin Dr. Claudia Dalla Rosa Soares sprach anschließend über die Ergebnisse ihrer Dissertation zur Rolle der Ästhetik in Feuerbachs Philosophie. Zwar habe Feuerbach keine Kunstphilosophie vorgelegt, erklärte sie, doch habe er über ästhetische Wahrnehmung im Zusammenhang mit dem geschrieben, was wir heute religiöse Projektion nennen. Das, was früher als göttlich verehrt wurde, sollte als menschlich erkannt werden, fand Feuerbach. Und die Kunst diente ihm dabei als Beispiel. Denn ein Werk, das nur für Christen schön sei, könne keine besondere Kunst sein. Umgekehrt lenke der künstlerische Wert eines Heiligenbildes die Aufmerksamkeit vom Heiligen weg auf die Schönheit der Kunst selbst.

Die pensionierte Lehrerin und Schriftführerin der Feuerbach-Gesellschaft Ulrike Ackermann-Hajek stellte in ihrem Vortrag als nächstes ein heute wenig bekanntes Frühwerk von Feuerbach vor, das er selbst später als einen wichtigen Schritt ansah auf seinem Weg zu einem "mit den Sinnen versöhnten Denker". Auch wenn "Abälard und Heloise" heute vielleicht wie eine der vielen Aphorismen-Sammlungen dieser Zeit wirkt, sei das Werk mit seinen humorvollen Betrachtungen zum Verhältnis zwischen Geist und sinnlichem Leben für Feuerbach als Teil seiner Selbstfindung als Autor bedeutsam gewesen.

Im nächsten Vortrag von Dr. Frank Schulze, dem zweiten Vorsitzenden der Feuerbach-Gesellschaft, der unter anderem auch als weltlicher Trauer- und Feierredner tätig ist, ging es um Georg Herwegh und seinen Einfluss auf Feuerbach. Der erfolgreiche Dichter des Vormärzes wurde ein enger Freund Feuerbachs und war stark durch dessen Welt- und Menschenbild geprägt. Schulze erzählte aus Herweghs bewegtem, unangepassten Leben und über die belebende Wirkung, die er auf Feuerbachs Schaffen hatte. Die freche Respektlosigkeit des Freiheitsdichters Herwegh begeisterte und motivierte Feuerbach.

Dr. Frank Schulze, Foto: © Helmut Fink
Dr. Frank Schulze, Foto: © Helmut Fink

Der emeritierte Nürnberger Informatik-Professor Bernd Schmidt, der heute als regelmäßiger Referent im Caritas-Pirckheimer-Haus, einem Bildungszentrum der katholischen Stadtmission, tätig ist, erläuterte im Anschluss seine Kritik der Religionskritik. Er zeigte sich überzeugt, dass Feuerbach heute nicht Atheist, sondern liberaler Christ wäre. Denn so sehr fundamentalistische Religion abzulehnen sei, so sehr sei doch Religion in ihrer liberalen Ausprägung zu begrüßen, findet Schmidt.

Er leugne nicht, dass Verbrechen im Namen der Religion geschähen, aber man müsse auch sehen, dass Gutes, Barmherziges und Mitmenschliches im Namen der Religion getan werde. Obwohl er selbst nicht an Gott glaubt, wie er auf Nachfrage einräumte, lehnt Schmidt eine Fundamentalkritik der Religion daher ab.

Bernd Schmidt, Foto: © Helmut Fink
Bernd Schmidt, Foto: © Helmut Fink

In der folgenden Podiumsdiskussion debattierte Schmidt mit dem ersten Referenten des Tages, Eckart Voland zum Thema "Zukunft der Religionskritik – Religionskritik der Zukunft". Dabei ging es vor allem um die Frage, wie eine Religionskritik zu bewerten ist, die darauf abzielt die Religion völlig zurückzudrängen. Obwohl beide nicht-gläubige Professoren aus den Naturwissenschaften sind, die sich als kritische Rationalisten verstehen, waren sie sich nicht einig über die Auswirkungen des Fehlens von Religion auf die Menschen.

Während Voland ein großes Problem im hegemonialen Anspruch von Religion sieht und daher die emanzipatorische, befreiende Wirkung betonte, die ein Wegfallen von Religion hat, ist für Schmidt ein Religionsverlust gleichbedeutend mit dem Verlust von Sinn und Trost für den Einzelnen. Die säkulare Weltanschauung mit einem trostlosen Universum sei kein Ersatz und erfülle die menschlichen Bedürfnisse nicht. Die Vorstellung des Lebens nach dem Tod aufzugeben sei der Mehrheit der Menschen nicht zuzumuten, meint Schmidt: "Das ist inhuman."

Nicht nur auf dem Podium, sondern auch bei den säkular eingestellten Zuhörerinnen und Zuhörern stießen die Vorstellungen Schmidts erwartungsgemäß auf Widerstand. Die Referentin und Feuerbach-Kennerin Dalla Rosa Soares widersprach leidenschaftlich Schmidts Ansicht, Feuerbach wäre heute liberaler Christ. Und in emotionsgeladenen Kommentaren aus dem Publikum wurde deutlich, dass eine Fundamentalkritik an Religion auch weiterhin als notwendig angesehen wird – nicht zuletzt aufgrund des anhaltenden Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche.

Ulrike Ackermann-Hajek, Foto: © Helmut Fink
Ulrike Ackermann-Hajek, Foto: © Helmut Fink

Aufgrund der hochschießenden Emotionen blieb aber die durchaus relevante Frage letztlich offen, wie säkulare Humanisten mit den emotionalen Bedürfnissen umgehen können und sollen, die bei Gläubigen durch die Religion befriedigt werden. Denn wie auch Voland in seinem Vortrag erklärt hatte, gibt es ja tatsächlich ernstzunehmende empirische Evidenz dafür, dass Gläubige mit Ausnahme-Situationen des Lebens, die von Angst, Stress und Schmerz geprägt sind, im statistischen Mittel besser fertig werden.

Folgt man Feuerbach, der in seinem Werk dafür warb, Menschen nicht nur als Vernunftwesen, sondern auch als Wesen mit emotionalen Bedürfnissen zu verstehen, müssen Schmidts Schlussfolgerungen also nicht nur provozieren, sondern können auch zum Anlass genommen werden, um zu fragen: Gibt es wirklich keinen Ersatz für Religion in dieser emotionalen Funktion? Und wenn doch: Was wirkt außer Religion noch emotional stabilisierend in möglichen Krisen? Und: Habe ich persönlich genug dieser haltgebenden Faktoren in meinem Leben?

Ausführliche Informationen über Aktivitäten und Veröffentlichungen der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft (LFG) e. V. Nürnberg finden sich auf der Website des Vereins. Wer über die Arbeit der LFG informiert bleiben möchte und sie unterstützen möchte, findet dort auch den Antrag, um Mitglied zu werden.