BVerfG-Beschluss: Anlass zu Optimismus

Gibt es doch Aussicht auf eine liberale Sterbehilferegelung?

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Bundesverfassungsgericht Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht Karlsruhe

BERLIN. (hpd) Knapp zwei Monate nach der Verabschiedung des neuen § 217 StGB durch eine deutliche Bundestagsmehrheit liegen jetzt erste Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Strafbarkeit eines assistierten Suizids vor. Bekanntermaßen ohne hinreichende Gründe, rein ideologisch motiviert, hatte im November die Mehrheit der Abgeordneten gegen ein liberales Sterbehilferecht votiert. Daten und Fakten waren nicht gefragt, stattdessen waren Spekulationen und Angstmache an der Tagesordnung. Die Freude der Parlamentsmehrheit und bei den Kirchenvertretern über die Strafbarstellung der Suizidbeihilfe in ihrem Sinne war aber möglicherweise etwas voreilig. Jetzt zeigt sich eine Entwicklung, die daraufhin deutet, dass die Sache nicht ausgestanden sein und eine liberale Regelung am Ende doch noch durchgesetzt werden könnte. Zumindest vorsichtiger Optimismus ist angesagt.

Mit einem Beschluss des BVerfG vom 21.12.2015 liegt eine erste Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtes zum § 217 StGB vor. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde zwar abgelehnt, in der Sache selbst jedoch noch nichts entschieden. Diese Entscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Aber den Gerichtsaussagen im Dezember-Beschluss lassen sich einige wichtige Aspekte für die Überlegungen des BVerfG entnehmen.

Zum einen wird es (künftig) maßgeblich um die Faktenbasis und die daraus zu ziehen Schlussfolgerungen gehen, auf die sich die Bundestagsmehrheit berufen hatte, zum anderen um “Sorgfaltskriterien”, die im Falle eines assistieren Suizids berücksichtigt werden müssen.

Faktenüberprüfung notwendig

Gita Neumann hat in ihrem Kommentar am 11. Januar im hpd bereits deutlich gemacht, dass es für (dieses oder andere) Hauptsacheverfahren darauf ankomme, “Fakten und Zahlen” zur Entwicklung des assistierten Suizids vorzutragen. Das BVerfG hat in seinem Beschluss ausgeführt, “dass der Gesetzgeber bei Beschluss des § 217 StGB davon ausgegangen ist, dass eine Entwicklung hin zu einer zunehmenden Verbreitung des assistierten Suizids nicht nur künftig zu befürchten, sondern bereits eingetreten ist.” Hiermit sehe der Gesetzgeber die Gefahr verbunden, dass im Ergebnis “Menschen zur Selbsttötung verleitet werden könnten, die dies ohne ein Angebot eines assistierten Suizids aus eigenem Antrieb nicht täten”.

Weiter verweist das BVerfG darauf, dass “weder der Vortrag der Beschwerdeführer noch sonstige Anhaltspunkte” darauf schließen ließen, “dass die tatsächlichen Feststellungen, von denen der Gesetzgeber ausgegangen ist, offensichtlich fehlerhaft sein könnten und die von diesem prognostizierte weitere Entwicklung einer rationalen Grundlage entbehren könnte.” Was im Eilverfahren hierzu konkret vorgetragen worden, ist nicht veröffentlicht und kann deshalb auch nicht beurteilt werden. Viel war es offenbar nicht.

Allerdings: Gerade solche tatsächlichen Feststellungen und faktenbasierte Prognosen konnten in der Sterbehilfedebatte seitens der Sterbehilfegegner gerade nicht präsentiert werden, eben deshalb, weil es solches Datenmaterial nicht gibt, weil ihre Behauptungen mit der Realität in Deutschland und anderen Ländern nicht übereinstimmen. Hierauf ist immer wieder seitens der Befürworter einer liberalen Regelung hingewiesen worden. Dies gilt es zu vertiefen.

Ethische Standards für Suizidbeihilfe entwickeln

Der Gerichtsentscheidung ist jedoch ein weiterer wichtiger Hinweis für weitere Verfahren zu entnehmen. In dem BVerfG-Beschluss heißt es, dass nicht davon ausgegangen werden könne, “dass jeder geschäftsmäßige Anbieter einer Suizidassistenz seine Leistungen von der Erfüllung ethischer Standards abhängig macht, die den ‘Ethischen Grundsätzen’ entsprechen, die der Verein Sterbehilfe Deutschland e.V. gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 seiner Satzung für verbindlich erklärt hat.” Im Klartext: In dem Fall, dass durch eine Gerichtsentscheidung § 217 StGB sofort außer Kraft gesetzt würde, könnte – jedenfalls nach Auffassung des BVerfG – jeder geschäftsmäßige Anbieter von Sterbehilfe auch ohne “ethische Standards” umgehend Tätigkeiten anbieten. Ergo: dem Gericht sind “ethische Standards” (Wartefristen, umfassende Beratung, Dokumentationspflichten usw.) sehr wichtig.

Das BVerfG hat zutreffender Weise das menschliche Leben als ein grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschütztes “Rechtsgut von höchstem Rang” bezeichnet, dessen Schutz mit der Schaffung von § 217 StGB beabsichtigt gewesen sei; aber ebenso sei mit der neuen Strafrechtsnorm der “Schutz des autonomen Umgangs des Einzelnen mit diesem Rechtsgut” beabsichtigt. Das BVerfG lässt somit bereits in der Eilentscheidung die Orientierung auf eine “autonome Entscheidung” des Individuums und damit auf dessen Selbstbestimmungsrecht nicht aus dem Blick. Damit wird gleichzeitig eine wichtige Aussage dazu getroffen, welchen Rahmen das BVerfG bei seiner bevorstehenden inhaltlichen Prüfung berücksichtigen wird.

An diesen Überlegungen wird künftig anzuknüpfen sein: auch und gerade eine Debatte über “ethische Standards” ist angesagt. Nach den bisherigen Äußerungen des BVerfG ist keineswegs ausgemacht, dass bei Festlegung solcher Standards weiterhin der pauschale Ausschluss geschäftsmäßiger Sterbehilfe, wie in § 217 StGB geregelt, Bestand haben könnte. Denn in der Argumentation für diesen Paragrafen wurde die notwendige (faktenbasierte) grundrechtsberücksichtigende Abwägung zwischen einem starken generellen Tötungsverbot und dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen sterbewilligen Menschen (und unter welchen Umständen der Sterbewillige sich auch fremder Hilfe bedienen darf) gerade nicht vorgenommen.

Renate Künast, Petra Sitte u.a., haben mit ihrem Antrag im Bundestag genau auf solche “ethische Standards”, die dem BVerfG offensichtlich wichtig sind, zu orientieren versucht. Sie konnten sich damit nicht durchsetzen, weil die Parlamentsmehrheit kein Interesse an einer sachgerechten Diskussion hatte, sondern “durchmarschieren” wollte. Auch wenn manche Überlegungen von Künast, Sitte u.a. weiterer Diskussionen bedürfen, haben sie doch als einzige aufgezeigt, um welche Gesichtspunkte es bei einer Entscheidung über assistieren Suizid gehen müsste (Aufklärung, Selbstbestimmung, aber auch Schutz vor übereiltem Handeln).

Die Mehrheit des Bundestages hat sich hiermit nicht (ernsthaft) beschäftigen wollen, das BVerfG will jedoch – wie dem Gerichtsbeschluss zu entnehmen ist – ethische Standards berücksichtigt wissen.

Die Orientierung des BVerfG auf Fakten und ethische Standards lässt hoffen, dass im Ergebnis eine differenzierte Regelung des assistierten Suizids erreicht werden kann. Aber es gibt noch viel von humanistischer Seite zu tun. Vielleicht fängt die eigentlich wichtige Tätigkeit erst jetzt an.

Noch eines: das BVerfG hat eindeutig klargestellt, dass der betroffene Sterbewillige unter keinen Umständen kriminalisiert werden dürfe. Soviel steht immerhin fest. Das ist nicht die schlechteste Meldung aus Karlsruhe.