„Wir können nicht mehr still sein“

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Reason Rallly / Foto: ep_jhu / Flickr / CC NC-BY-SA

WASHINGTON. (hpd) Mehrere Zehntausend Menschen haben sich am vergangenen Sonnabend zur „Reason Rally“ in der US-Hauptstadt Washington versammelt. Atheisten, Humanisten und Skeptiker forderten eine stärkere Trennung von Staat und Kirchen, die stärkere Ablehnung von religiösem Aberglauben und mehr Öffentlichkeit für vernunftbasierte Ideen.

Im Vorfeld war die „Reason Rally“ als „Woodstock für Atheisten“ und größtes Treffen von säkularen Menschen beworben worden. Die Aufsichtsbehörde der National Mall zwischen Capitol und Washington Monument hatte bis zu 30.000 Besucher erwartet. Bei regnerischem und teils stürmischen Wetter trafen sich in Washington schließlich zwischen 15.000 und 20.000 Menschen, um gegenüber Politikern, den Wählern des Landes und sich selbst zu zeigen, dass sie heute eine relevante gesellschaftliche Gruppen darstellen. Richard Dawkins plädierte in seiner Rede unter anderem dafür, das US-amerikanische Verfassungsmodell weltweit als Vorbild zu nehmen.

Während der „Reason Rally“ gab es zahlreiche Reden prominenter Wissenschaftler, Schauspieler und Menschenrechtsaktivisten sowie Auftritte bekannter Musiker oder Autoren, die unter anderem mehr Menschen in den Vereinigten Staaten dazu ermutigen wollten, sich als Atheisten zu „outen“.
Im Vergleich zum ersten „Marsch der Gottlosen“ in Washington im Jahr 2002 hatte sich laut Beobachtungen der Huffington Post schon in diesem Jahr das Publikum verändert. Waren es damals noch mehrheitlich weiße Männer über 40, seien die Teilnehmer diesmal mehrheitlich unter 30 Jahren gewesen und waren fast zur Hälfte Frauen.

David Silverman, Vorsitzender der American Atheists, drückte unter anderem seine Hoffnung aus, dass von diesem Ereignis ein Impuls ausgehen würde, der das Land aus dem Klammergriff der politischen Macht der religiös-konservativen Rechten in den Vereinigten Staaten befreit. Er plädierte dafür, „null Toleranz“ gegenüber denen zu zeigen, die mit den Kernaussagen des Atheismus nicht übereinstimmen oder diese beleidigen. „Steh deinen Mann“, so Silverman.

Mark Hatcher, Gründer der Secular Students Alliance, stellte die Bedeutung der „Reason Rally“ für viele Studierende im Land heraus. „Der Grund dafür, warum Ereignisse wie diese helfen, liegt im Selbstvertrauen, das Leute gewinnen, wenn sie Gleichgesinnte treffen. Es ist wichtig, zu wissen, dass Du nicht allein bist.“

Die Secular Students Alliance sieht ihre Aufgabe darin, lokale Gruppen an den Hochschulen zu vernetzen und ihnen Unterstützung als Teil einer größeren Bewegung zu verschaffen. Das bestätigte auch die 15-jährige Jennifer Ahlquist, die durch ihren Widerstand gegen das Gebet an der Schule landesweit bekannt wurde, und zu den Rednerinnen des Events gehörte. „Diese Community ist dafür da, die Menschen zusammenzubringen und über eine säkulare Zukunft zu sprechen. Ich glaube, dass die Zukunft von den Schülern und Studenten gemacht wird.“

Klare Worte kamen auch von populären Personen älterer Jahrgänge, wie dem Sänger Tim Minchin. Er bedauerte, dass man 300 Jahre nach der Aufklärung immer noch für die Anerkennung des Offensichtlichen auf die Straße gehen müsse.

Die Nachrichtenagentur AFP zitierte die Journalistin Jamila Bey, der von ihrem christlichen Arbeitgeber gekündigt worden war, nachdem er von ihrer atheistischen Haltung erfahren hatte: „Dies hier sind Kämpfe, die Homosexuelle gewonnen haben, Farbige gewonnen und Frauen gewonnen haben. Wir können nicht mehr still sein.“

Politiker wie der republikanische US-Parlamentarier Pete Stark und bekannte Schauspieler wie Bill Maher und Penn Jillette meldeten sich zwischendurch bei den Gästen mit Videogrußworten, die auf einer Leinwand übertragen wurden.

Deutliche Stellungnahmen gab es auch gegen die Diskriminierung von homosexuellen Menschen, darunter dem Magier James Randi und Adam Savage von den „Mythbusters“: „Ich glaube, Menschen haben ein unveräußerliches Recht darüber, zu entscheiden, was sie mit ihrem eigenen Körper tun.“

Laute Kritik gab es auch von anderen an der Bigotterie US-amerikanischer Politiker, den Menschenrechtsverletzungen, wie sie weltweit unter anderem von der katholischen Kirche und durch islamische Autoritäten gefördert werden, oder die besonders auch in den USA weiter vorhandenen Versuche, die Evolution als unwahr oder unwissenschaftlich darzustellen.

Michael Shermer, prominenter Skeptiker und Wissenschaftsjournalist, betonte: „Dieses Land wurde nicht auf Religion und Gott gebaut, sondern auf Vernunft.“

„Die Fixierung auf Gott hilft unserer Nation nicht, denn nichts ist vergeblicher als ein Gebet“, sagte Annie Laurie Gaylor, Präsidentin der Freedom From Religion Foundation.

Die wohl am meisten beachtete Ansprache an die bis zu 20.000 Gäste der „Reason Rally“, die auch im Internet übertragen wurde, hielt vermutlich wieder einmal der Wissenschaftler und Autor Richard Dawkins. Rund fünf Stunden nach Beginn der Rally trat er unter tosendem Beifall auf die Bühne und erinnerte zunächst daran, dass er aus einem Land komme, in dem die Kirche schon der Verfassung des Staates nach tief im öffentlichen Leben des Landes verankert sei. Dagegen sei der erste Verfassungszusatz der US-Verfassung – der die strikte Trennung von Staat und Religion vorsieht – ein „Modell für säkulare Verfassungen“ für die ganze Welt und verdient, imitiert zu werden.

Dawkins fragte, warum tatsächlich jemand so gegen Vernunft eintreten könne, dass eine Kundgebung für die Vernunft erforderlich geworden ist. Er drückte erneut seine Hoffnung aus, dass es in 100 Jahren hoffentlich keiner „Kundgebung für die Vernunft“ mehr bedürfe.

Er hielt ein von lautem Jubel begleitetes Plädoyer dafür, die Schönheit der Wirklichkeit und natürlicher Prozesse zu erkennen und auch anderen Menschen zu zeigen. Es sei ein großartiges Phänomen, dass auf einem Felsen abseits einer kleinen Sonne im unermesslichen Universum ein Prozess wie die Evolution entstanden ist. Dawkins forderte unter anderem dazu auf, die religiösen Behauptungen der Mitmenschen nicht zu respektieren, und sich über ihre „lächerlichen“ Glaubensvorstellungen, wie die Transsubstantiation, lustig zu machen.

Arik Platzek