POLEN. (hpd) Bemerkenswertes in Polen aus säkularer Sicht (April 2013). Ein bioethisches Dokument der Bischofskonferenz richtet sich an die Politik, die Priesterausbildung in Polen ist besonders beliebt, eine Gesetzesvorlage zur Schächtung sowie die skurrile Schelte des Ethikrates.
Bioethisches Dokument: katholische Kirche übt politische Einflussnahme
Anfang April erregte in Polen ein bioethisches Dokument der Bischofskonferenz Aufsehen. Es ist bekannt, dass die katholische Kirche an ihren Dogmen – zumindest rhetorisch – festhält und mit dem neuen Papst Franziskus keine Änderungen absehbar sind. Wiederum die offene politische Einflussnahme ist auch in Polen bemerkenswert.
Das bioethische Dokument beginnt mit der Feststellung, dass das „Recht zum Leben ein fundamentales Menschenrecht ist, aus dem alle anderen grundsätzlichen Rechte erwachsen.“ Hinzu kommen die mehr als bekannten Ausführungen, dass zum Beispiel Gott das Leben schenke und dass alle Zweifel in Bezug dazu zugunsten des Lebens entschieden werden sollen. Daher sei das Leben besonders schützenswert, was mitunter ein Grund ist, sich gegen Abtreibung, die In-Vitro-Fertilisation und Verhütungsmittel zu stellen. In den letzten Absätzen des Dokumentes geht es um die politische Diskussion und die Legitimation der politischen Einflussnahme, „es kann jedoch nicht die Rede sein von irgendeinem Kompromiss in Fragen des Glaubens oder der Moralität“. Die Bischöfe erinnern daran, dass es die Pflicht eines jeden Katholiken ist, treu zu den Lehren der Kirche zu stehen und Politikern sowie Parlamentariern besonders zu danken sei, die im Einklang mit einem „gut geformten Gewissen“ handeln.
Spannend in diesem Kontext ist mitunter, dass sich die Kirche nie entschieden gegen die Todesstrafe ausspricht, die in westlichen Ländern wie den USA von gläubigen Christen praktiziert wird. Diese wird vielmehr als eine Art Gegenwehr legitimiert. Auch hat Gott, nach christlicher Ideologie, dem Menschen einen „freien Willen geschenkt“ (wie auch immer der aussehen mag). Warum versuchen dann kirchliche Funktionäre, in diesem Fall Bischöfe, durch gesetzliche Einflussnahme den freien Willen, und somit Gottes Willen, zu beschneiden? Und, sollte es einen Plan Gottes oder einen Willen Gottes geben, warum sollten wir Menschen dann das Leben unter einen besonderen Schutz stellen? Denn Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen – das sollten vielmehr die Grundsätze christlichen Handelns sein. Denn wenn der Mensch das Leben im Kontext der Zeugung nicht kontrollieren darf, warum sollte er die Himmelfahrt kontrollieren, die als besonderes Geschenk betrachtet werden sollte. (Quelle 1), (Quelle 2) und (Quelle 3). (Alle Polnisch)
Wer möchte Priester werden?
In einem immer stärker säkularisierten Europa – trotz weiter bestehendem hohen Einfluss der Kirche – erscheint der Beruf des Priesters unbeliebter denn je. Die Vorteile wie Arbeitsplatzsicherheit, relativ leichter Zugang zur Ausbildung (allerdings nur für Männer in der katholischen Kirche), Autorität, stressfreier Arbeitsalltag und angemessenes Gehalt können anscheinend die Nachteile nicht aufwiegen. So ist die Privatsphäre eines Priesters stark reglementiert – nur hinter einer offiziellen Fassade kann ein katholischer Priester mit einer Frau oder einem Mann oder gar einer eigenen Familie zusammenleben.
Daher befanden sich 2010 zum Beispiel in Deutschland nur knapp 800 Männer in der Ausbildung zum Priesteramt und zudem ist in den letzten Jahren die Zahl der Priester erheblich gesunken. Oft betreut ein Priester mehrere Gemeinden oder Geistliche aus anderen Kontinenten werden deutschen Gemeinden vorangestellt.
Polen jedoch ist Spitze in der Priesterausbildung, das berichtet die klerikale Internetseite Gosc.pl. Rund 25 Prozent der Gesamtzahl der Priesteranwärter in der EU kommen demnach aus Polen; 2012 waren das mehr als 4.260 Männer. Und diese relativ hohe Zahl ist seit vielen Jahren konstant – so waren es 2007 zum Beispiel 4.257 Männer, die sich für das Priesteramt ausbilden ließen. Diese Position in der Priesterausbildung hält Polen, obwohl es mit ca. 38 Millionen Einwohnern nur das sechstgrößte Land der EU ist.
Gründe für die führende Position Polens in diesem Bereich nennt Gosc.pl nicht. Doch kann das in Polen noch immer beliebte traditionelle Familienbild als mögliche Begründung genannt werden. Auch haben Priester in Polen eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung und die Kirchen sind weit besser gefüllt als in anderen europäischen Ländern. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes kann jedoch nicht als Begründung herhalten, denn die war in den letzten Jahren wesentlich besser als der EU-Durchschnitt. (Quelle 1) (Deutsch) und (Quelle 2) (Polnisch).
Schächten im Einklang mit EU-Normen?
Das Schächten bleibt in Polen weiter im medialen Fokus – ein Gesetz soll demnächst ausgearbeitet werden, nach dem der rituelle Tiermord etwas gelindert werden soll; Details wurden von Premierminister Tusk auf einer Pressekonferenz im April verkündet. Demnach sollen spezielle drehbare Käfige eingeführt werden, in denen den Tieren der Hals aufgeschnitten werden soll. Dabei würden die Tiere auf dem Rücken liegen und ausbluten, während sie am eigenen Blut ersticken. Tusk hat bei der Pressekonferenz auch das Interesse Polens am Fleischexport hervorgehoben. Darüber hinaus sagte er, dass der rituelle Tiermord nicht wesentlich schmerzvoller sei, als die tägliche Praxis in polnischen Schlachthäusern.
Die rechtsliberale Gazeta Wyborcza fragt sich, ob ein mögliches polnisches Gesetz EU-Recht entsprechen würde. Zwar sei das Schächten in Ländern der EU erlaubt, aber nur für die Bedürfnisse von Glaubensgemeinschaften und nicht für Exportzwecke und die Förderung der Fleischindustrie. Problematisch sei des Weiteren, ob Polen Standards im Tierschutz absenken darf.
Zurzeit bleibt die rechtliche Lage aber weiter unklar und mindestens ein Fall ist bekannt, in dem die Staatsanwaltschaft Hinweisen auf rituelle Tötungen nicht nachgehen wollte. Sie verwies auf die Religionsfreiheit und kein klares Verbot dieser Methode. (Quelle 1), (Quelle 2) und (Quelle 3). (Alle Polnisch)
Skurrile Schelte des Ethikrates
Die Familie steht unter einem besonderen Schutz – das ist einer der Kernaspekte christlicher Ideologie, der bei nahezu jeder Gelegenheit in Gottesdiensten und bei anderen Veranstaltungen erneuert wird. Daher verwundert es niemanden, dass dieser Wert in Ländern, in denen die Kirche besonders viel Einfluss hat, auf die Spitze getrieben wird.
Wie Gazeta Wyborca Ende April meldete, hat der polnische Ethikrat für Werbung einen Werbespot der Waffelmarke Grzeski als „beleidigende“ und „Trivialisierung des Familienzusammenhalts“ bewertet. Worum geht es? Im Werbespot sitzt eine Frau auf dem Sofa, isst eine Grzeski Schokowaffel und blättert in einer Zeitschrift. Hinzu kommt ein Mann – zwei kleine Mädchen laufen ihm nach und fragen ihren Vater, ob er mit ihnen spielen möchte. Daraufhin sagt die Frau mit gleichgültiger Miene, nicht von der Zeitschrift aufschauend: „Das ist nicht euer Vater“. Alle sind verblüfft. Am Ende kommt noch ein Bild mit der Waffel und dem Schriftzug „Null Schwindel“.
Gegen den Werbespot gingen beim Ethikrat über 1.200 Beschwerden ein. Fast zwei Monate brauchte das Gremium jedoch für eine Entscheidung; die Werbekampagne war dann schon längst abgelaufen. Doch am Ende wurde bestimmt, dass die Werbung die guten Sitten verletze und die Werbekampagne ohne das Gefühl für die gesellschaftliche Verantwortung geführt wurde sowie ein Bild der Familie und der Beziehung von Eltern und Kindern zueinander zeige, das so nicht bestehen solle. Dieses Urteil fiel auf der Grundlage, dass die Werbung hauptsächlich an Kinder gerichtet sei, bei denen sie Verwunderung hervorrufe. Der Waffelproduzent bestritt die Vorwürfe – der Werbespot wurde demnach nur noch im Internet gezeigt, und zwar in Programmen für Erwachsene. (Quelle 1) und (Quelle 2). (Beide Polnisch)
Lukas Plewnia
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