Kulturkampf in Baden-Württemberg?

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Gudrun Pannier, Foto: privat

STUTTGART. (hpd) Seit Monaten gibt es in Baden-Württemberg erbitterte Auseinandersetzungen um den Bildungsplan 2015. Evangelikale und konservative Christen machen gemeinsam mit Rechtspopulisten Front gegen das Vorhaben der grün-roten Landesregierung, bereits im Schulunterricht gegen homophobe Vorurteile Aufklärung zu betreiben und die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe darzustellen.

 

Eine regelrechte Schmutzkampagne ist initiiert worden. Eine deutliche Distanzierung der katholischen und evangelischen Kirchen in Baden-Württemberg steht bis heute aus, stattdessen ist von den christlichen Großkirchen wohlwollende Zustimmung für die christlich-fundamentalistischen “Werte” signalisiert worden.

Der grüne Ministerpräsident Kretschmann, der allgemein als unkritischer Befürworter der christlichen Großkirchen gilt, hat “Gespräche” mit den fundamentalistischen Kritikern angekündigt. Es gilt nicht als völlig ausgeschlossen, dass er gegenüber diesen Kräften relevante Zugeständnisse machen könnte. Damit würde er sich allerdings gegen seine eigene Bundespartei stellen, die auf einem Bundesparteitag (Bundesdelegiertenkonferenz - BDK) Anfang Februar in Dresden sich mit einem mit überwältigender Mehrheit angenommenen Antrag eindeutig hinter die Bildungsplanung des Landes gestellt und die Kampagne der christlichen Fundamentalisten und Rechtspopulisten verurteilt hat. Der Antrag war von den Säkularen Grünen initiiert worden.

Gudrun Pannier (Berlin), Erstunterzeichnerin des Parteitagsantrags “Akzeptanz sexueller Vielfalt schon in der Schule fördern – Entschlossen gegen diskriminierende Vorurteile vorgehen!” und Sprecherin des Berliner Arbeitskreises Säkulare Grüne, äußert sich in einem Interview mit dem hpd zu den Vorgängen in Baden-Württemberg.

 

hpd: Frau Pannier, die Bundesdelegiertenkonferenz der GRÜNEN hat sich klar positioniert: keine Änderungen am Bildungsplan 2015, deutliche Zurückweisung der Kampagne aus evangelikaler und rechtspopulistischer Ecke. Ministerpräsident Kretschmann hat mittlerweile geäußert: “Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass da Kulturkämpfe entstehen” und will Gespräche mit den Pietisten aufnehmen. Was halten Sie davon?

Gudrun Pannier: Sicherlich hat Winfried Kretschmann als Ministerpräsident die Aufgabe, bedeutsame Gruppen seines Landes in die Diskussion um den Bildungsplan einzubeziehen und Gespräche zu führen. Was allerdings seine Warnung vor einem “Kulturkampf” angeht: er übersieht dabei, dass es diesen “Kulturkampf” bereits Jahrzehnten gibt. Es ist der Kampf gegen religiös begründete Rollenvorstellungen, die Betrachtung von Homosexualität als “Krankheit” und “Sünde”. Ohne eine religiöse Begründung solcher Vorurteile hätte der Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen, das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung, Straffreiheit der Homosexualität, Öffnung der Ehe und Lebenspartnerschaft und vieles weitere nicht so lange gedauert. Bis heute dienen diese Vorstellungen als Begründung der Ablehnung des Adoptionsrechtes für schwule und lesbische Paare durch die CDU/CSU. Diese Vorurteile und ihre rechtlichen Folgen waren die Ursache für vielfaches Leid in der Biografie von Menschen.

Historisch waren “Kulturkämpfe” immer notwendige Auseinandersetzungen zwischen dem sich säkularer verstehenden Staat und den Kirchen, beispielsweise bei der Einführung der Zivilehe und des Scheidungsrechts. Sie müssen geführt werden, um die Rolle und den Einfluss von Religionsgemeinschaften im öffentlichen Leben klarzustellen. Immer wenn sich ein weiterer Schritt in der Gleichberechtigung und der Modernisierung des Familienbildes abzeichnet, wird klar was “christliche Werte” hier bedeuten: Festhalten am Immer-schon-Dagewesenen.

 

Ist es Sache des Staates, sich auf der Ebene des Schulunterrichts in diese Auseinander­setzung einzumischen?

Eindeutig Ja. Dem Staat kommt die letzte Verantwortung für die ethische Erziehung der nachwachsenden Generationen zu. Schon durch das Grundgesetz ist er zur Wahrung und Verteidigung der Menschenrechte verpflichtet.

Dazu gehört, Aufklärung über unterschiedliche Lebensgestaltungen zu betreiben und das so früh wie möglich, schon im Schüleralter. Nur dadurch bilden sich Persönlichkeiten heraus, die mittels eigener Wertebildung gegen Vorurteile immun sind.

Besonders das Auftauchen bestimmter Hassparolen auf den Plakaten, in den Artikeln und Äußerungen der Bildungsplan-Gegner verpflichten den Staat gerade zum Handeln, denn sie beweisen, dass bei der Generation der Eltern diese Wertebildung offensichtlich aus Quellen erfolgt ist, denen nicht an Akzeptanz gelegen ist.

Winfried Kretschmann hat angekündigt, “dass Formulierungen in dem Papier überarbeitet würden, um ’missverständliche Interpretationen’ zu verhindern und Ängsten entgegenzutreten. In dem Papier gebe es ”offensichtlich Schlüsselwörter, die mit bestimmten Theorien verbunden würden."

 

Können Sie dies näher erläutern?

Hier geht es offensichtlich um die von den Kirchen und zahlreichen konservativen HetzerInnen angegriffene “Genderpolitik” und um “Gender-Mainstreaming”. Sie unterstellen diesem Ansatz Unwissenschaftlichkeit und Ideologisierung und wollen damit verbundene Begriffe aus dem Bildungsplan entfernen. Gender-Mainstreaming bedeutet die umfassende Gleichstellung, Gleichwertigkeit und daraus folgende Gleichbehandlung von Männern, Frauen und Menschen mit Transidentitäten.

Sprache ist Macht, das lehrte uns nicht zuletzt Klemperer. Sprache ist auch Deutungshoheit und die muss hier bei dem der Neutralität verpflichteten Staat bleiben. Daher ist sehr genau darauf zu achten, dass die unscharf angekündigten “Korrekturen” die Zielrichtung nicht verwässern.

 

Es gibt Befürchtungen, Winfried Kretschmann werde, schon um seine kirchenfreundliche Politik zu bestätigen, den Kritikern entgegenkommen und Änderungen in deren Sinne am Bildungsplan vornehmen.

Ich warne davor, diesen Kritikern nachzugeben. Es steht dabei mehr auf dem Spiel, als die Erziehung zur Akzeptanz sexueller Vielfalt. Hier ist eine Bewegung am Werke, die versucht, die Uhr auf Zeiten vor dem Beginn der Gleichberechtigungskampfes zurückzudrehen.

Seit 1997/1997 ist Gender-Mainstreaming ein erklärtes Ziel der Europäischen Union und schon länger Beschlusslage der UN. Es ist eine Form, umfassende Bürger- und Menschenrechte umzusetzen. Ein auf Gender-Mainstreaming beruhender Lehrplan ist somit ganz im Sinne Europas und wichtiges Vorbild für die Weiterentwicklung in anderen Mitgliedsstaaten, also nicht nur innerhalb Deutschlands von Bedeutung.

Deshalb ist es auch besonders wichtig und hervorzuheben, dass unser säkularer Antrag zur Förderung sexueller Akzeptanz in der Schule genau auf der Europa-BDK von B90/G mit so großer Mehrheit angenommen wurde.