(hpd) In dieser Interview-Serie geht es ab sofort jeden Mittwoch um den Einfluss der Europawahl auf Menschenrechte und selbstbestimmtes Leben und Sterben.
Sophie in´t Veld ist Europa-Abgeordnete der niederländischen linksliberalen D66 und Vorsitzende der Europäischen Plattform für Säkularismus in der Politik (EPPSP), die sich fraktionsübergreifend für ein selbstbestimmtes und säkulares Europa einsetzt.
Hier erläutert sie Europas Zuständigkeit in der Grundrechtspolitik und konservative Lobbyarbeit.
Hallo Sophie in ´t Veld,
die EPPSP setzt sich für ein aufgeklärtes Europa der Selbstbestimmung und Menschenrechte ein. Sie möchten den Interessen Säkularer, Atheisten, Humanisten, Freidenker, Agnostiker und liberaler religiöser Kräfte eine Stimme in der Europapolitik geben. Warum ist das nötig?
In ´t Veld: Es heißt von konservativer Seite immer, Europa sei nicht für Gesetze zu Sterbehilfe, Abtreibung und sexueller Diskriminierung zuständig. Gleichzeitig führen die Konservativen ganz massive Lobbyarbeit gegen jede Verbesserung der Menschenrechtssituation auf europäischer Ebene. Diesen Kräften sollte man die Arena auf keinen Fall überlassen! Europa hat doch längst eine ethische und humanistische Dimension, auch in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger.
Wofür wäre Europapolitik denn zuständig?
Die europäische Kommission versteckt sich hinter dem Vorrang nationaler Gesetzgebung und behauptet, für Menschenrechtsfragen nicht zuständig zu sein. Da Europa aber nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist, gibt es verbindliche Verträge zu Normen, Werten und Grundrechten.
Da langt es uns nicht, zum Beispiel auf die Verletzung der Religionsfreiheit in Ägypten hinzuweisen, aber bei einigen EU-Mitgliedern wegzuschauen, wenn deren Blasphemie-Gesetze zu Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Strafverfolgung führen.
Spannend ist diese Problematik auch bezüglich der immer engeren Zusammenarbeit von Polizei und Justiz: Müssten die Niederlande, deren Paragraf zur Gotteslästerung gerade abgeschafft wurde, einen wegen „Blasphemie“ Verurteilten an Spanien oder Irland ausliefen? Was ist mit aktiven Sterbehelfern?
Oder ein alltägliches Beispiel: Die Freizügigkeit und der Familienzuzug endet für viele homosexuell verheiratete oder verpartnerte Paare an der Grenze des nächsten EU-Landes, in dem sie weder sozialrechtlich noch bezüglich ihrer Rentenansprüche usw. gleichgestellt sind. Der Umgang mit diesen Fragen muss definiert und klare Regeln müssen geschaffen werden.
Das gilt auch für den Umgang mit Opfern sexueller Gewalt aus Kriegsgebieten. Die müssen sich auf einheitliche Hilfe inklusive einer Abtreibung verlassen können. Auch die Problematik von Asylanfragen verfolgter Homosexueller wird in den EU-Staaten nicht einheitlich gehandhabt. Wenn das erkennbar System hat, müssen die betroffenen Länder zu Änderungen gezwungen werden, dafür gibt es eindeutige Vereinbarungen.
Kann es auch europäische Gesetze zum Beispiel für selbstbestimmtes Sterben, gute Unterstützung reproduktiver Gesundheit und gegen sexuelle Diskriminierung geben?
Grundsätzlich geht es bei diesen Themen um nationale Gesetzgebungskompetenzen. Aus der Perspektive der garantierten, europaweit geltenden Grundrechte gehen die Themen Europa aber sehr wohl etwas an. So wurden zum Diskriminierungsverbot europäische Gesetze verabschiedet, auch wenn sie, gerade im kirchlichen Arbeitsrecht, unterschiedlich umgesetzt wurden.
Im Gesundheitsbereich gibt es auch jede Menge europäische Verordnungen und Verträge, zum Beispiel zur Aufklärung gegen Rauchen, Standards beim Krebs-Screening und zu Forschungsprojekten. Auch wird nach einheitlichem Zugang zu medizinischer Versorgung auf möglichst hohem Niveau gestrebt. Es gibt sogar einen EU Kommissar, der für Gesundheitspolitik zuständig ist.
Wir finden es aber nicht nur merkwürdig, sondern inakzeptabel, dass die EU sich aus Fragen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit völlig raushalten möchte. Warum?
Außerdem versuchen streng konservative Organisationen gerade sogar, ein europaweites Abtreibungsverbot durch zu kriegen. Die europaweite Bürgerinitiative Einer von uns hat inzwischen 2 Millionen Stimmen erhalten, also doppelt so viel wie nötig. Dadurch muss sich die Europäische Kommission jetzt mindestens rechtfertigen dafür, dass sie ein solches Gesetz nicht möchte.
Europäisches Parlament Straßburg © EvelinFrerk.
Wie sieht die Lobbyarbeit auf beiden Seiten aus, was läuft da konkret ab?
Also auf unserer Seite steht die Vernetzung der auf europäischer Ebene agierenden Organisationen leider noch am Anfang. Trotz teilweise recht großer Differenzen in Inhalten und im Selbstverständnis sehe ich dringenden Bedarf zu mehr Zusammenarbeit.
Die religiösen und konservativen Kräfte sind wesentlich besser gebündelt und treten entsprechend massiv auf. Sie beeinflussen Parlament und Kommission als externe Organisationen, aber auch innerhalb der Fraktionen gibt es ganz deutliche Interessenarbeit gegen freiheitlich-selbstbestimmte und säkulare Entwicklungen. Und zwar leider in so gut wie allen Fraktionen, wobei die Liberalen und Grünen noch am wenigsten empfänglich sind. Aber bei den Sozialisten fängt es dank der katholischen Verbundenheit einiger schon an. Christdemokratische Politiker werden aufgrund des Fraktionszugehörigkeit teilweise zu einem Abstimmungsverhalten auf Europa-Ebene gezwungen, wie sie es in ihren Heimatländern nicht mehr tun würden. Die stimmen dann zum Beispiel durch den Druck ihrer slowakischen oder spanischen Fraktionskollegen erzkonservativ ab und hoffen wohl, dass von zu Hause keiner genau hinschaut.
Warum ist es am 25. Mai wichtig, zur Europawahl zu gehen?
Wählerinnen und Wähler sollten sich darüber bewusst sein, dass sie auch über europäische Werte und Grundrechte abstimmen. Man sollte sich anschauen, ob die Kandidatinnen und Kandidaten diese Dimension sehen. Sie sollten es als ihre Aufgabe ansehen, sich im Europäischen Parlament dafür einzusetzen, dass Grundrechte mehr und mehr umgesetzt und garantiert werden und dass die Europäische Kommission nicht weiter wegschauen darf. Diese Entwicklung voranzutreiben könnte ein wichtiges Kriterium bei der Wahl sein.
Das Interview führte Corinna Gekeler