(hpd) In dieser Interview-Serie geht es um den Einfluss der Europawahl auf Menschenrechte und auf selbstbestimmtes Leben und Sterben.
Werner Hager, einer der Sprecher der Säkularen Grünen NRW, befasst sich insbesondere mit Europapolitik und brachte die Sicht der Säkularen Grünen ins Europawahlprogramm der Grünen ein. Hier geht er auf Hindernisse europäischer Religionspolitik und den Weg zu einem säkularen Europa ein.
Hallo Werner Hager,
als Mitglied der Säkularen Grünen treten Sie für ein säkulares europäisches Projekt ein. Welche Rolle spielt die europäische Politik denn bezüglich der Themen der Säkularen Grünen?
Werner Hager: Die Säkularen Grünen gibt es nun seit knapp über einem Jahr. Unser bisheriger Schwerpunkt bewegte sich mehr auf Bundesebene. Themen wie das kirchliche Arbeitsrecht, Antidiskriminierung und die Stärkung der Grundrechte verfügen aber jeweils über eine europäische Dimension.
Grundlegender geht es darum, ob Europa Säkularität als Errungenschaft begreift und sich auf dieser Basis weiterentwickelt. Hierbei ist Europa mehr als die Europäische Union und umfasst auch noch die intergouvernmentale Ebene, also den Europarat mit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Um welche europäischen Gesetze und politischen Initiativen oder Vernetzungen geht es Ihnen?
Die Europäische Union, für deren Parlament wir gerade kandidieren, ist in Fragen der Religionspolitik unzuständig. Damit ist gemeint, dass die EU nicht nur "nicht zuständig" ist, sondern sich hiermit laut ihren Ordnungen nicht beschäftigen darf. Dadurch darf sie bestehende Verhältnisse nicht anrühren, auch wenn sie den Zielen der EU zuwiderlaufen.
Dreh- und Angelpunkt ist dabei Artikel 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union:
Artikel 17
(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen
oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften
genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.
(2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche
Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen.
(3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung
ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten
und regelmäßigen Dialog.
Eine Vertiefung der Europäischen Union hin zu einem Gesellschaftsvertrag ist mit dieser Klausel nicht möglich, denn religionspolitische Grundlagen können so nicht geklärt werden. Auch die Garantie der Grundrechte wird hier unter einen Vorbehalt gestellt.
Ich fordere die Abschaffung des Artikel 17, aber unmittelbar zumindest zweierlei:
- Individuelle Grundrechte müssen Vorrang vor allen übrigen Rechtsgütern haben, also auch vor Artikel 17.
- Und wenn die EU schon einen gemeinsamen Markt anstrebt, dann sollen ihre Ordnungspolitik und Transparenzforderungen nicht durchlöchert sein.
Lobbyarbeit ist ein weiteres großes Thema. Mit Absatz 3 des Artikel 17 erhalten die religiösen Lobbygruppen nämlich einen privilegierten Zugang zur europäischen Politik.
Was und wer hat auf europäischer Ebene positiven Einfluss auf Ihre Arbeit?
Sehr gut finde ich die Secular Europe Campaign. Zwar teile ich ihre Forderung nach Säkularismus nicht, denn Säkularität ist eine zivilisatorische Errungenschaft, kein Selbstzweck. Aber ansonsten formuliert diese Kampagne eine unterstützenswerte Agenda.
Das große europäische Projekt ist für mich die Entwicklung eines gemeinsamen säkularen Rechts. Das gesamte Themenfeld der Religionspolitik in Europa ist bisher aber auch wenig bearbeitet. Ich kann nicht sagen, welche anderen grünen Gremien sich hierzu geäußert haben.
Europäisches Parlament Straßburg © EvelinFrerk.
Wer steht Ihren Forderungen entgegen, wen müssen Sie noch überzeugen?
Nach meiner Wahrnehmung gibt es konservative Forderungen nach einem christlichen Europa, die allerdings nicht nur wir Säkulare, sondern alle Grünen ablehnen und die auch bei modernen Teilen christlicher Volksparteien keine Zustimmung mehr erhalten. Bei Kirchen sollten wir strikt Institutionen und Gläubige unterscheiden. Die wenigsten Christ*innen tragen die bestehende Religionsverfassung bewusst mit.
Sorgen macht mir die Idee einer Übertragung ausgerechnet deutscher religionspolitischer Konzepte auf die Europäische Union. Deutschland ist ja eh maßgeblich an der Durchlöcherung der europäischen Verträge beteiligt gewesen.
Gegen jede Infragestellung des Status quo agieren Konservative und Interessensvertretungen der aktuell privilegierten Religionsgemeinschaften. Unter dem Eindruck einer Unabänderlichkeit der bestehenden Verhältnisse gibt es zudem eine „realistische“ Position, die Bündnisse mit den Kirchen anstrebt.
Diese „Realist*innen“ müssen wir überzeugen, dass einerseits gesellschaftliches Potenzial für Änderungen existiert und die Zusammenarbeit mit den Kirchen eben auf Interessensübereinstimmung und nicht auf persönlicher Sympathie beruht. Wer das Verhalten der Kirchen verstehen will, kommt um Machiavelli nicht herum. Dazu gehört, Machtpolitik tatsächlich zu beherrschen und skeptisch zu werden, wenn der Verhandlungspartner behauptet, alleine aus Tugend bzw. Werten zu handeln. Ein Realismus, der dies ausgerechnet in der Religionspolitik ausblendet, ist keiner.