Warum ist Europa wichtig? (4)

BERLIN. (hpd) In dieser Interview-Serie geht es jeden Mittwoch um den Einfluss der Europawahl auf Menschenrechte und selbstbestimmtes Leben und Sterben.

Die katholische Feministin Elfriede Harth befasst sich seit vielen Jahren mit sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung. Zusammen mit anderen Katholikinnen setzt sie sich weltweit gegen religiösen Einfluss auf die Rechte Homosexueller und auf weibliche Selbstbestimmung ein. Sie argumentiert gegen die Legitimation kirchlicher "Würdenträger" und somit auch gegen Europa-Gremien, die diese hofieren.

 

hpd: Hallo Elfriede Harth,
als gut vernetzte Aktivistin engagieren Sie sich für das weltweite Recht auf legale und medizinisch gute Voraussetzungen für Abtreibung. Sie waren lange die Vertreterin von
Catholics for Choice in Europa und setzen sich heute als Mitglied der spanischen katholischen Feministinnengruppe Catolicas por el Derecho a Decidir ein. Im Mittelpunkt Ihrer Aktivitäten steht der Wandel kultureller und religiöser Muster, die sich Frauenrechten und insbesondere der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung entgegensetzen.
Wo setzen Sie da an in der Europapolitik?

Elfriede Harth: Europa ist ein Projekt, das sich mit der Schaffung des Europarats das Ziel "Nie wieder Krieg und Faschismus" und die Schaffung einer Kultur der Menschenrechte auf seine Fahnen schrieb. Die Europäische Union entstand dann etwas später formal als "ökonomisches Projekt", aber auch hier war das Ziel, Frieden und Wohlstand für alle zu sichern.

Da wir uns als Menschenrechtsorganisation verstehen, sind politische Institutionen, die dieses Thema auf ihrer Agenda haben, für uns sehr wichtig. Und als Bürgerinnen fühlen wir uns in die Verantwortung genommen, an der Verwirklichung dieser politischen Agenda und dieser Kultur mitzuwirken. Die Gendergerechtigkeit und die volle Staatsbürgerschaft von Frauen in der Gesellschaft wie in den Kirchen zu verwirklichen, liegt uns dabei besonders am Herzen.

 

Um welche europäischen Gesetze und politischen Initiativen oder Vernetzungen geht es dabei?

Wir sehen alle Dokumente wie die Europäische Menschenrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der EU als wichtige Grundlagen für eine Arbeit an der institutionellen Verwirklichung und Festigung von Gendergerechtigkeit und von Frauenrechten. Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen, aber auch mit einzelnen politischen Entscheidungsträgern innerhalb der europäischen Institutionen, die unsere Themen auf ihrer Prioritätenliste haben, ist für uns ein wichtiges strategisches Mittel.

 

Wie funktioniert Ihre weltweite Netzwerkarbeit und die in Europa?

Unsere wichtigste "Heimat" ist das Lateinamerikanische Netzwerk von Katholikinnen für das Recht auf Selbstbestimmung (Red Latinoamericana de Catolicas por el Derecho a Decidir), das in der Hälfte aller lateinamerikanischen Länder präsent ist. Dort arbeitet man wie bei uns aus katholischer Perspektive für Frauenrechte, besonders auf dem Gebiet Sexualität und Reproduktion.

Wir verstehen uns in der Tradition der Befreiungstheologie, wenn man darunter versteht, dass Religion die Aufgabe hat, Menschen von allen Formen der Unterdrückung zu befreien, damit sie sich zu ihrer vollen Menschheit entwickeln können. Diese Befreiung schließt selbstverständlich die Befreiung vom patriarchalen und frauenfeindlichen institutionellen Diskurs symbolischer Unterwerfung von Frauen, der unsere kirchlichen "Würdenträger" und "Oberhäupter" prägt, ein.

Dieser wirkt sich so unselig und sehr oft auch geradezu zerstörerisch auf das konkrete Leben von unzähligen Frauen (aber nicht nur von Frauen!) aus.
Wir sind ebenfalls international mit anderen Organisationen von Frauen vernetzt, die sich aus ihrer religiösen (nicht-christlichen) Identität heraus für ähnliche Belange einsetzen. Hier will ich nur die malaiischen Sisters in Islam erwähnen.

In Europa betrachten wir Organisationen wie die Europäische Frauenlobby als unsere "natürlichen Bündnispartner". Aber auch Organisationen, die sich für die Rechte der sogenannten "sexuellen Minderheiten" einsetzen (z.B. ILGA-EU) oder für die Rechte auf sexuelle und reproduktive Gesundheit (wie IPPF-EU und viele andere). Ganz wichtig sind auch Organisationen, die sich für eine Trennung von Staat und Kirche einsetzen, wie beispielsweise das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch von progressiven Katholikinnen und Katholiken oder diverse humanistische, atheistische und agnostische Organisationen.

Mit all diesen Organisationen setzen wir uns dafür ein, dass die volle Staatsbürgerschaft von Frauen anerkannt wird. Dass Frauen und Mädchen die gleichen Rechte haben über ihr Leben wie Männer und Jungen und über ihre Sexualität und ihre körperliche Integrität selbst bestimmen können. Dass Frauen das Recht auf ein Leben ohne Gewalt haben und niemand, weder der Staat noch die Kirchen, noch ihre Familien oder Ehemänner oder sonst wer außer sie selbst, über ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären, verfügen darf.

 

Europäisches Parlament Straßburg © EvelinFrerk.

 

Und auf der Gegenseite – agieren hauptsächlich Konservative und Kirchen dagegen?

Gegen uns agieren alle jene Kräfte, die Frauen das Recht nicht zugestehen können oder wollen, über die in ihren Körper eingeschriebene Fähigkeit, Kinder zu gebären, selbstbestimmt (was durchaus nicht gleichbedeutend ist mit verantwortungslos) verfügen und entscheiden zu können.

Es sind die Kräfte, deren Weltanschauung (ob sie sich Religion nennt oder Philosophie oder sonst wie) darauf fußt, dass Frauen von ihrer Bestimmung her Mittel zum Zweck sind und kein eigenständiges Existenzrecht haben. Dass ihre Sexualität nur dafür da ist, die sexuellen Bedürfnisse der Männer zu befriedigen. Dass ihre Reproduktionsfähigkeit dazu dient, die Männer, ihre Familie, ethnische Gruppe, den Staat, ihre Religionsgemeinschaft usw. mit Nachkommen zu versorgen. Dass ihre Arbeitskraft hauptsächlich die Bestimmung hat, kostenlos oder für "Gotteslohn" oder höchstens schlecht bezahlt für andere zu sorgen, denn nur "Männerarbeit" hat einen "Wert", der materialisiert werden sollte.