LEIPZIG. (hpd) Das gestrige Urteil des Bundesverwaltungsgericht wird vom IBKA und dem HVD und weiteren Stimmen aus der atheistischen, humanistischen Szene sehr unterschiedlich kommentiert. Kein Wunder, geht es doch bei Ethik- und Lebenskundeunterricht um ganz unterschiedliche Ansätze und juristische Fragen.
Formal zielte die Klage von Anna Ignatius auf die Einführung des Fachs Ethik an der Grundschule ab, und zwar als Pflichtfach für konfessionslose Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Genauso formal stellte das Leipziger Gericht (BVerwG 6 C 11.13) fest: Das Land Baden-Württemberg hat keine Pflicht, einen solchen Ethikunterricht einzuführen.
„Es stimmt, dass es keine bundesweiten Gesetze oder Bestimmungen gibt, aus denen eine solche Verpflichtung abzuleiten wäre,“ kommentiert hpd-Herausgeber Carsten Frerk das Urteil. „Das Gericht hat sich damit aber sehr formal verhalten und keinen Weg in Richtung Lebenskundeunterricht aufgezeigt. Dann hätte die Antwort nämlich ganz anders aussehen müssen: Ethik ist neutral, Lebenskundeunterricht weltanschaulich und somit dem Religionsuntericht verfassungsrechtlich gleichgestellt“, erklärt Frerk den Unterschied, der auch zu ganz unterschiedlichen Reaktionen zum Urteil führt.
IBKA begrüßt das Urteil
Während die Klägerin das Urteil als Gleichheitsverstoß kritisiert, da konfessionsgebundene Schüler ab der ersten Klasse am Religionsunterricht teilnehmen können und konfessionslosen eben nichts Adäquates zur Verfügung steht, setzt die Kritik vom IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) genau hier an. „Konfessionslose Schülerinnen und Schüler werden durch die Nichterteilung eines Ethik-Unterrichtes keineswegs benachteiligt. Am freiwilligen Religionsunterricht Teilnehmende erhalten gute Noten für das Nachbeten von Glaubensinhalten. Dieser augenscheinliche Vorteil ist durch einen Ersatzunterricht ‚Ethik‘ nicht auszugleichen. Schließlich liegen bei Ethik Fakten und keine Glaubenssätze zugrunde“, sagt Rainer Ponitka, Sprecher der AG Schule des IBKA.
Der hpd-Autor Siegfried Krebs sieht diesen Unterschied durch die Ausführungen des Gerichts bemerkenswert deutlich bestätigt: "Religionsunterricht ist Glaubensvermittlung, Ethikunterricht hingegen konfessionsübergreifende Wertevermittlung." Damit liege „ein gutes und dazu noch richterlich begründetes Argument für die Ablehnung des Religionsunterrichtes vor. Selbst gutwillige Menschen meinen ja, Religionsunterricht sei eben keine Glaubensunterweisung, sondern diene der allgemeinen Wertevermittlung“, ergänzt Krebs.
Ponitka sieht sogar weitreichende Nachteile durch Ethik an Schulen: „Der Ethikunterricht als Zwangsersatzfach erschwert für Lernende die Entscheidung, ob sie am Religionsunterricht teilnehmen wollen, oder eben nicht. Ebenfalls wertet er den Religionsunterricht auf, der einzig den Sinn hat, die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft als bestehende Wahrheit zu vermitteln. Die Installation des Ersatzfaches vermittelt den Eindruck, Konfessionslose müssten einen Makel kompensieren.“
Straffach für ´Heidenkinder´?
Genau hier setzt auch die humanistische Szene in Österreich bei ihrem Kampf gegen Ethik ab der 9. Schulstufe zum verpflichtenden Fach für alle Schülerinnen und Schüler an: „Wir sehen das als Versuch, ein Straffach für die ´Heidenkinder´ einzuführen und nebenbei vorzugaukeln, der konfessionelle Religionsunterricht habe irgendetwas mit Ethik zu tun. Die Befürchtung der gesamten humanistischen Szene in Österreich ist auch, dass ein solches Ersatzfach den konfessionellen Religionsunterricht einzementieren würde,“ schildert hpd-Österreich-Korrespondent Christoph Baumgarten die Intentionen im Nachbarland.
Zum neutralen Lernort Schule heißt es in der Pressemitteilung des IBKA: „Schule ist der Ort in der Gesellschaft, an dem Kinder und Jugendliche gemeinsam und unter Anleitung vielseitige Information vermittelt bekommen, um ihre Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben zu entwickeln. Dazu gehört auch unvoreingenommene und sachliche Information über Religionen und Weltanschauung. Der Staat darf allerdings keiner bestimmten Religion den Vorzug geben oder gar vermitteln, dass ein Mensch ohne Religion unvollkommen sei.“
Ponitka weiter: „Der IBKA fordert die konsequente Anwendung des Grundsatzes der Trennung von Staat und Kirche im gesamten Schulwesen. Werte des modernen und demokratischen Zusammenlebens auf Basis der Menschenrechte und anderer geltender Gesetze können in der Grundschule vom gesamten Lehrkörper vermittelt werden, auch in einem für alle Schülerinnen und Schüler verbindlichen Sachkundeunterricht. Da das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates steht, kann der Religionsunterricht als freiwilliges Fach – aber in Finanzierung durch die Religionsgemeinschaften – bestehen bleiben. Doch der Status des ordentlichen Lehrfaches muss ihm von der Politik endlich aberkannt werden.“
HVD fordert „ethisch-moralisch bildendes Schulfach“
Laut HVD ist das Urteil „zutiefst ungerecht gegenüber den konfessionsfreien und nichtreligiösen Menschen in Deutschland“ und mache sie zu Bürgern zweiter Klasse. Schließlich sei die Klägerin durch das Fehlen eines wertebildenden Alternativangebotes an den Schulen wie alle anderen konfessionsfreien Eltern und Heranwachsenden in Baden-Württemberg unrechtmäßig benachteiligt.
Frieder Otto Wolf, Präsident des HVD, zeigt den politischen Weg zu weltanschaulichem Unterricht jenseits des Urteils auf: „Unabhängig von der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes, laut der konfessionsfreie Eltern und Schüler im Gegensatz zu den konfessionell gebundenen Menschen keinen Anspruch auf einen ethisch und moralisch bildenden Unterricht aus dem Grundgesetz herleiten können sollen, kann die Politik selbständig die fast flächendeckenden Benachteiligungen in diesem Bereich abbauen. Sie ist durch das Urteil des Gerichts nicht gehindert, die Gleichbehandlung konfessionsfreier und konfessionell gebundener Schülerinnen und Schüler zu verwirklichen.“
Wolf betont, dass konfessionsfreie Eltern ihren Anspruch auf einen zum Religionsunterricht gleichberechtigtes ethisch-moralisch bildendes Schulfach in der Grundschulstufe konsequent einfordern sollten: „Sie stehen als Steuerzahler genauso wie konfessionell gebundene Menschen in der Pflicht. Also muss ihnen auch das Recht auf die gleiche Qualität bei der schulischen Wertebildung zukommen. Die durch das heutige Urteil bekräftigte Benachteiligung macht sie zu Bürgern zweiter Klasse.“
Der HVD berichtet von seinen guten Erfahrungen mit „dem Aufbau eines eigenen humanistischen Unterrichtsfaches für all diejenigen, die auf dem Boden eines weltlichen, aufklärerischen Humanismus stehen“ in anderen Bundesländern. Solange die gültige Rechtslage politisch in Baden-Württemberg unverändert bleibe, gebe es „diesen anderen Weg für eine nichtreligiöse Wertevermittlung ab der ersten Klassenstufe.“
Als eine Art Zwischenlösung sieht das der IBKA wohl ähnlich: „Solange allerdings der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach gelte, müssten aus einer emanzipatorischen Sichtweise heraus auch andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften das unbestrittene Recht haben, ihre Glaubenssätze in der staatlichen Schule unterrichten zu dürfen.“
Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichtes
IBKA–Kampagne Reli-Adieu