Die Denkfehler der Theologie

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KÖLN. (hpd) Eine Ergänzung zu dem in der der katholischen Tageszeitung „Die Tagespost“ abgedruckten Streitgespräch zwischen dem gläubigen Philosophen Jörg Splett und dem gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon. 

Von Bernd Vowinkel

Splett argumentierte mit folgenden Worten:

Der Naturalismus fragt nur nach dem Entstehen, dem Werden. Der Philosoph fragt: Was ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass so etwas entstehen kann. Das ist eine Stufe davor. Sie haben gesagt, die Evolution sei eine Hypothese. Das ist sie, weil es die prinzipielle Arbeitsweise der Naturwissenschaften ist, etwas nur solange als gültig zu behaupten, bis es widerlegt ist. Das darf man aber nicht auf alles Wissen anwenden. Für die Mathematik gilt es schon nicht mehr. Ich vermute nicht, dass der Satz des Pythagoras wahr ist. Das habe ich eingesehen. Und er galt gestern und gilt übermorgen: Es gibt Dinge, die wissen wir, ohne sie bloß zu vermuten…

…Aber es bleibt die Frage: Ist die Einsicht ein Ergebnis der Evolution? Nein! Sondern ein entsprechend evolviertes Gehirn sieht ein, dass das Quadrat über der Diagonale doppelt so groß ist wie das Quadrat, dessen Diagonale es ist. Das wird eingesehen, da wird sich nicht dran gewöhnt, mit Erstaunen, wenn es anders ist. Wie erklären Sie sich das? Was macht ein Naturalist mit Einsicht?

Es ist dies eine häufig vertretene Ansicht von Theologen. Ich möchte daher die Antworten von Schmidt-Salomon folgendermaßen ergänzen:

Wir reden zwar häufig im Naturalismus von Wahrheiten, aber im Grunde geht es dabei um Realitäten. Eine Aussage über die reale Existenz bestimmter Dinge oder Zusammenhänge ist wahr oder falsch oder mit einer gewissen, begrenzten Genauigkeit wahr. Die Wahrheiten der Mathematik sind anderer Art. Sie beziehen sich auf Aussagen innerhalb von Axiomensystemen, die alle von der Realität abstrahiert bzw. idealisiert sind. Aufgrund der Idealisierung gibt es in der Mathematik absolute Wahrheiten. Diese beziehen sich aber ausschließlich auf das jeweilige Axiomensystem. Einsichten in mathematische Wahrheiten müssen erlernt werden. Die Einsicht in Sätze der Geometrie erfordert ein räumliches Vorstellungsvermögen, dass im Kindesalter nur über die Erfahrung der „Außenwelt“ erworben werden kann. Eine „a priori“ Erkenntnis sämtlicher mathematischer Zusammenhänge, wie sie Kant vermutet hat, ist zweifelhaft.

Inwiefern Wahrheiten der Mathematik auf die Realität angewendet werden können, entscheiden die Naturwissenschaften. Dazu folgendes Beispiel: ein wahrer Satz der euklidischen Geometrie ist, dass die Winkelsumme im Dreieck exakt 180° ist. Diesen Satz kann man zunächst unmittelbar auf die Realität anwenden. Innerhalb der Messgenauigkeit werden wir unserer Alltagswelt ebenfalls 180° messen. Bei sehr großen Dreiecken (z.B. dargestellt durch die Position von drei Erdsatelliten) ergeben sich jedoch Abweichungen (Winkelsumme etwas größer als 180°) aufgrund des Einflusses der Schwerkraft der Erde, der mit der allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben wird. Dies ist kein Versagen der Mathematik, sondern es zeigt nur, dass diese Form der Mathematik hier nicht angewendet werden kann. Es gibt aber auch eine so genannte nichteuklidische Geometrie, die diese Effekte berücksichtigt und damit wieder zu exakten Aussagen führt. Welche Art von Geometrie hier die richtige ist, entscheidet also die Naturwissenschaft und zwar letztlich durch Messung bzw. Beobachtung. Man kann sich grundsätzlich die Realitäten der Außenwelt nicht nur einfach ausdenken, sondern man muss sie empirisch erfahren. Man kann sich Hypothesen bzw. Erklärungsmodelle ausdenken. Inwieweit sie zutreffen, entscheidet aber ausschließlich die Empirie. Hypothesen über die Realität die nicht überprüfbar sind (z.B. Gotteshypothesen), sind völlig wertlos, weil sie keine Aussagekraft haben. Ein nur gedachter Gott kann auf die Realitäten keinen unmittelbaren Einfluss nehmen. Die Natur bzw. die Realitäten der Außenwelt richten sich nicht nach unserer Vorstellungskraft und schon gar nicht nach unseren Wünschen. Eine so abstruse Theorie wie die Quantenmechanik hätte man sich unmöglich am grünen Tisch ausdenken können, ohne den Druck der Messergebnisse.

Die „Bedingung der Möglichkeit“ dass etwas entstehen kann, ist eher eine Frage der Physik und nicht der Theologie oder der Philosophie. Die Quantentheorie zeigt, dass zumindest Dinge aus dem Vakuum heraus bedingungslos entstehen können und dies ist auch experimentell nachweisbar (Casimir-Effekt).

Den Tiefpunkt erreicht Splett mit seinem Gottesbeweis: Ohne Gott gäbs kein Gutes. Nun gibt es aber das Gute, also gibt es Gott. Hier könnte man auf dem gleichen Niveau kontern: In seinem Buch „Jenseits von Gut und Böse“ hat Schmidt-Salomon ja gerade gezeigt, dass es weder das Gute noch das Böse gibt. Nach Spletts Logik wäre das dann der Beweis, dass es Gott eben nicht gibt.
Als Naturwissenschaftler bekommt man häufig von Theologen den Vorwurf, dass man beim Thema Gott über Dinge redet, von denen man nichts versteht. Ich schließe mich hier dem Argument von Richard Dawkins an: Man muss nicht unbedingt Mode in Mailand und Paris studiert haben, um intellektuell in der Lage zu sein, feststellen zu können, dass der Kaiser nackt ist.