Landesregierung will Rechtsbruch nicht abhelfen

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Kiel bei Nacht (Ausschnitt)
Kiel bei Nacht (Ausschnitt)

BERLIN. (hpd) Nicht nur in Schleswig-Holstein sind die Kirchen von der Zahlung von Gerichtsgebühren befreit, selbst wenn sie in Prozessen (z.B. um Arbeitsverhältnisse) unterliegen. Jetzt hat der Wissenschaftliche Dienst des Landtags festgestellt, dass die Abschaffung der Gerichtsgebührenfreiheit möglich und mit den Kirchenverträgen vereinbar ist. Regierung und Kirche sehen allerdings keinen Handlungsbedarf.

Auf Antrag der Fraktion der Piratenpartei im schleswig-holsteinischen Landtag hat sich der Wissenschaftliche Dienst mit der Frage beschäftigt, ob die Abschaffung der Gerichtsgebührenfreiheit für die Kirchen rechtlich möglich ist. Er hat diese Frage grundsätzlich bejaht. Jedoch müssten im Fall von Meinungsverschiedenheiten etwaige Verhandlungen der Landesregierung und der Kirchenleitung vom Landtag berücksichtigt werden. Es käme vor diesem Hintergrund in Betracht, "ein mögliches Gesetzgebungsverfahren bis zum Abschluss solcher Verhandlungen aufzuschieben".

Hintergrund des Antrags war der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landesjustizverwaltungskostengesetzes und weiterer Gesetze. Die Neufassung des Gesetzes über die Gebührenfreiheit sowie die Stundung und den Erlass von Kosten im Bereich der Gerichtsbarkeiten soll weiterhin "die persönliche Gerichtsgebührenfreiheit der Kirchen, sonstigen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen in der Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts" beinhalten.

In dem Schreiben des Wissenschaftlichen Dienstes an die Vorsitzende des Innen- und Rechtausschusses, Barbara Ostermeier, heißt es: "Bei der Befreiung von Gerichtsgebühren handelt es sich um eine vermögenswerte, durch den Staat gewährte Rechtsposition. … Zweifelhaft ist jedoch ihr dauerhafter und wiederkehrender Charakter. So unterfallen nur solche Rechtspositionen dem Begriff der ”Staatsleistung", wenn sie "einen wesentlichen Teil derjenigen Unterstützung bildete[n], die der Staat der Kirche zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse gewährte, und dass er, wenn sie nicht bestanden hätte, statt ihrer entsprechende Leistungen an die Kirche hätte machen müssen."

Einen für die entsprechenden Regelungen interessanten Ansatz - nicht nur für das Land Schleswig-Holstein - zeigt der Wissenschaftliche Dienst ebenfalls auf: "Zudem ist die Befreiung von Gerichtsgebühren nicht säkularisationsbedingt. Art. 138 WRV knüpft jedoch an die Säkularisierung und Einziehung des Kirchenguts in der Reformationszeit sowie später durch §§ 35 ff. Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 an, die sowohl den Entzug der Kirchengüter als auch den finanziellen Ausgleich hierfür regelten." Denn tatsächlich steht die Befreiung von den Gerichtsgebühren in keiner Weise mit der Säkularisierung des Staatswesens im Zusammenhang. Es handelt sich mitnichten um eine "Ersatzmaßnahme" für den Verlust von Rechten. Sondern um eine eindeutige Privilegierung der Kirchen.

Der Wissenschaftliche Dienst fasst zusammen: "Sollte eine Abschaffung der Gerichtsgebührenfreiheit in Betracht gezogen werden, steht einem solchen Vorhaben nach Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes im Hinblick auf die Katholische Kirche Art. 17 KKV nicht entgegen, weil Gebührenbefreiungstatbestände zu Gunsten des Landes und der Gemeinden schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (2009) nicht mehr bestanden. Hinsichtlich des Kirchenvertrags mit der Evangelischen Kirche bildet Art. 17 EvKV ebenfalls kein Hindernis für ein solches Vorhaben, da nach Art. 17 EvKV ”auf Landesrecht beruhende“ Gebührenbefreiungen des Landes und der Gemeinden auch für die Evangelische Kirche in Norddeutschland gelten. In Bezug genommen ist mit dieser Klausel das jeweils aktuell geltende Landesrecht. Landesrechtliche Gerichtsgebührenbefreiungen zu Gunsten des Landes und der Gemeinden bestanden zwar zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (1957), sind jedoch zwischenzeitlich aufgehoben worden."

Piratenfraktion will Gesetzesentwurf vorbereiten

Patrick Breyer von der Fraktion der Piraten hat an die Landesregierung eine Kleine Anfrage gestellt, ob sie denn nun plane, mit den Kirchen in der Angelegenheit zu verhandeln. Das hat diese jedoch nicht vor. Der Antwort der Landesregierung lässt sich im Gegenteil entnehmen, dass sie derzeit "dazu auch kein Anlass" sieht, "da zunächst die Ergebnisse der darin angeregten Untersuchung auf Bundesebene zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat unter Berücksichtigung des Grundgesetzes wie auch die Evaluation des Mittels der Kirchenstaatsvertrages abzuwarten sind."

Damit allein ließ sich Breyer nicht abspeisen. Er fragte bei der Nordkirche nach, wie diese denn zu einer Abschaffung der Gerichtsgebührenfreiheit steht. Aus der Antwort der Nordkirche ergibt sich, dass "die Kirchen deswegen privilegiert werden sollen, weil sie … besonders für das Gemeinwohl tätig werden; dem Staat also Arbeit abnehmen, die er sonst leisten müsste." Das nennt man auch die Caritas-Legende.

Für die Kirche stellt nach eigener Aussage eine Streichung der Gerichtsgebührenfreiheit eine Verletzung des Staatskirchenvertrages dar.

Patrick Breyer teilte dem hpd mit: "Damit gibt es keine Verhandlungen, auf die der Landtag wegen der Freundschaftsklausel Rücksicht nehmen müsste. Wir als Piratenfraktion bereiten nun einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Gebührenbefreiung vor.

Denn Fakt ist, dass Städte und Kommunen wie auch Hochschulen heute allesamt Gerichtsgebühren zu entrichten haben; nur noch die Kirchen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen sind befreit.

Während Kommunen durch die Allgemeinheit finanziert werden, sollten Kirchen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen ihre Finanzierung primär über ihre Mitglieder sicherstellen. Sie sind auch nur diesen verantwortlich. Ein Bedarf für paternalistische Unterstützung der Kirchen ist daher nicht ersichtlich. Traurig, dass die Nordkirche eine Änderung trotz des klaren Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes nicht akzeptiert."