Glosse zu den Taliban

Das Trauerspiel um Afghanistan erreicht einen weiteren Höhepunkt

Hiindukusch_Afghanistan.jpg

Der Hindukusch in Afghanistan birgt heißbegehrte Rohstoffe
Hindukusch

Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan geben sich die Taliban nach außen lammfromm. Sie wollen ja "nur" eine islamische Regierung einführen, die der Scharia unterliegt. Alles im Namen des Islam. Dabei ist Religion schon immer nur ein ideologischer Überbau gewesen. Was passiert also, wenn man das islamische Gedöns und Getöse wegnimmt?

Es ist ein verstörendes Bild: Taliban hüpfen kichernd auf einem Trampolin, schubsen sich gegenseitig, halten einander an den Händen. Taliban sitzen in Autoscootern und kreischen auf, wenn es bumst. Die Gotteskrieger haben den Vergnügungspark in Kabul entdeckt.

Bei ihrer ersten Pressekonferenz geben sie sich lammfromm: Sie wollen doch "nur" eine islamische Regierung einführen, die der Scharia unterliegt. Die Taliban möchten nicht Afghanistan unterjochen – sie führen einen Feldzug gegen Frauen, gegen Moderatorinnen, Ärztinnen, Studentinnen.

In der Großstadt Herat sind sie gleich nach ihrem Einfall von Haus zu Haus gegangen und haben unverheiratete Mädchen eingesammelt. Die Imame und Mullahs sollen alle Mädchen über 15 Jahre und Witwen unter 45 Jahre in ihren Gemeinden auflisten, lautet der erste Befehl der selbsterkorenen neuen Machthaber.

Die jungen Frauen verteilen sie unter ihresgleichen. Dass das eigentlich unislamisch ist, spielt keine Rolle. Wie sich die Frauen künftig kleiden sollen, werden sie noch verkünden, heißt es. Übrigens stehen Männer auch unter einem Styling-Diktat: Sie müssen Turban tragen und sollen sich nicht mehr rasieren. Alles im Namen des Islam. 

Dabei ist Religion schon immer nur ein ideologischer Überbau gewesen, dahinter verstecken sich handfeste Interessen. Was passiert also, wenn man das islamische Gedöns und Getöse der Taliban wegnimmt? Vor allem wenn man bedenkt, dass wir in einer globalisierten Welt leben.

Der feuchte Traum der globalen Incels

Sie einfach nur als eine Gruppe von Incels abzustempeln (also Männer, die unbeabsichtigt Singles sind und den Frauen dafür die Schuld geben), wäre zu kurz gegriffen – wobei das sicherlich für den einen oder anderen Talib zutrifft. Wer die Taliban als Individuen betrachtet, merkt ganz schnell: Das sind ganz arme Würstchen.

Viele sind Waisen, viele sind Söhne der Ärmsten der Armen aus den pakistanischen Flüchtlingslagern, die in Koranschulen geschleppt wurden. Von den lehrenden Geistlichen ist bekannt, dass sie die Jungen ganz selbstverständlich sexuell missbraucht haben. Jahrelang haben sie keine Frau gesehen, geschweige denn die liebevolle Umarmung einer Mutter genossen. Keine Familie zu haben, ist für "normale" Afghanen der größte Makel überhaupt.

Ohne Mutter, Schwestern oder Cousinen kann ein afghanischer Mann nach alter Tradition gar nicht um die Hand einer begehrten Frau anhalten. Eigentlich sind Verlobung und Heirat in Afghanistan in ein kompliziertes Ritual eingebettet – die Islamisten nehmen sich die Frauen einfach.

Welche "echten" Interessen vertreten die Taliban?

Die Taliban sind gefühlt die Nachfolger der Mudschahedin, sie sind aber anders. Sie sind international, bieten Radikalen aus aller Welt Unterschlupf. Wie die Mudschahedin wurden sie von Anfang an finanziert, trainiert und aufgebaut von den USA und von Pakistan.

Die gesamte Führung der Taliban lebt mit ihren Frauen und Kindern in Pakistan. Ihr Shura-Rat sitzt im pakistanischen Quetta. In Doha in Katar haben die Talibs ihr politisches Büro einrichten dürfen. Als die Taliban das erste Mal an der Macht waren, wurden sie nur von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt. Die Pakistani und die Saudis haben damals schon eigene Interessen verfolgt: Die Pakistani sind besessen davon, den Indern keinen Einfluss in Afghanistan zu geben und nehmen dabei alles in Kauf. 

Den Iran in den Würgegriff nehmen

Die Saudis, die von Anfang an wichtige Financiers waren, möchten den schiitischen Iran in die Zange nehmen, wie die iranische Regierung zu Recht vermutet. Mit einer Taliban-Regierung in Afghanistan wäre der Iran eingekesselt zwischen zwei radikal-sunnitischen Staaten.

Schon wieder wird Afghanistan der Austragungsort von Kämpfen fremder Mächte. Dass der Westen sich zurückgezogen hat, ruft andere auf den Plan. Russland, Iran, China, Indien und Pakistan, aber auch die Golfstaaten und die Türkei stürzen sich seit dieser Woche auf Afghanistan – in erster Linie wegen geopolitischer Interessen.

Chinas Heißhunger nach afghanischen Rohstoffen

Die Regierung in Peking offenbart knallhart ihre Wirtschaftsinteressen. Der Hindukusch birgt Rohstoffe, die den chinesischen Heißhunger befriedigen könnten. Für die Provinz Logar haben sich die Chinesen bereits die Schürfrechte gesichert – für 30 Jahre. Bisher hat China in Afghanistan Kupfer gefördert. Aber auch Öl und Gas fließen durch die Adern des Hindukusch.

Das Volumen der Bodenschätze in Afghanistan ist nicht zu beziffern, denn das Land war nie kolonialisiert, ist jungfräulich, wurde nie ausgebeutet. Die US-Behörde Geological Survey (USGS) hat schon 2010 den Wert der Schätze Afghanistans auf etwa 900 Milliarden Dollar geschätzt. Andere Schätzungen gehen von mindestens einer Billion aus. Neben Edelsteinen, wie dem blauen Lapislazuli, oder Gold birgt der Hindukusch vulkanische Erze, Quarzsand und Graphit.

Afghanistan – das "Saudi-Arabien des Lithiums"

Aber viel wichtiger für den Hunger des Kapitalismus: Lithium. Als "Saudi-Arabien des Lithiums" bezeichneten die Forscher in dem USGS-Bericht das Land. Die Chinesen sind scharf auf den Stoff, aus dem E-Auto-Batterien gebaut werden. Und außerdem ist da noch das Mega-Projekt Neue Seidenstraße.

Bisher wurden die Bodenschätze nicht im gigantischen Ausmaß ausgebeutet. Krieg, fehlende Verwaltungsstrukturen und der harte Wille der Afghanen unabhängig zu sein, haben das bislang verhindern können. Die Taliban könnten ein Umfeld schaffen, wo Investoren so richtig zuschlagen können.

Die Taliban interessiert nur eins: Heroin

Ein Rohstoff ist für die Taliban heilig: Opium. Ohne Drogenhandel wären die bärtigen Zausel nie so weit gekommen. Die UN schätzen, dass die Taliban 2018 und 2019 über 400 Millionen Dollar mit dem Drogenhandel verdient haben. 80 Prozent des gesamten Heroins auf der Welt stammen vom Hindukusch. Selbstverständlich werden die Talibs weiter mit Heroin und Opium ihr Geld verdienen. Sie haben weder die Maschinen noch das Know-How, die Edelsteine und Seltenen Erden auszubeuten. Das überlassen sie den Chinesen.

Der chinesischen Regierung ist es egal, was zivilgesellschaftlich in Afghanistan passiert. Staatliche Medien in China sollen in den vergangenen Wochen in mehreren Berichten betont haben, dass Afghanistan schon immer "the graveyard of empires" war, der Friedhof der Imperien. Tatsächlich ist es bisher keiner Großmacht gelungen, das Land einzunehmen. Die Briten haben es dreimal versucht und sind spektakulär gescheitert, einmal überlebte nur der Militärarzt, einmal nur der Truppenhund. Alexander der Große, der halb Eurasien unterjocht hatte, scheiterte an Afghanistan. Viel später läutete das Scheitern der Sowjets in Afghanistan das Ende des Ostblocks ein.

Taliban kein "Teil der afghanischen Bevölkerung"

Die Chinesen halten sich dann lieber raus. Als "Teil des afghanischen Volkes" bezeichnet das chinesische Staatsfernsehen die Bärtigen. Afghanen wissen, dass es nicht so ist. Für die Menschen in Afghanistan und die Afghanen im Exil sind die Taliban einfach nur Marionetten der Pakistani und der Saudis, also Ausländer. Ausländer, die Macht ausüben wollen über Afghanen – es gibt nichts, worauf Afghanen allergischer reagieren. Die Chinesen haben Recht, Afghanistan ist der "Friedhof der Imperien" – das werden die neuen Eindringlinge hoffentlich auch zu spüren bekommen.

Unterstützen Sie uns bei Steady!