Solvente Seelen zuerst: Die katholische Kirche analysiert ihren Mitgliederschwund - und trauert ums Geld

Hü, totes Kamel, hü!

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Überlegene Lebensform: Das Kamel denkt, was es will, und kein anderes Kamel sagt ihm, woran es zu glauben habe

Ihr Mitgliederschwund ist atemberaubend – für die Kirchen ist das schlimm. Aus Angst um die armen, verlorenen Seelen? Unfug. Es geht ums Geld. Mit verblüffender Offenheit spricht eine neue Studie der katholischen Kirche über die Verluste – und eruiert Gegenmaßnahmen: Vor allem Gutverdiener sollen gehalten werden.

Den Kirchen laufen die Mitglieder weg. Hunderttausende jedes Jahr, allein in Deutschland. Und die Kirchen können nicht begreifen, warum das geschieht. Ihre Vertreter stehen um ihre Religion herum wie um ein totes Kamel in der Wüste, und sie überlegen, wie sie es wieder zum Laufen bringen. Vielleicht sollte man ihm die Hufe polieren? Neue Frisur verpassen? Ihm gut zureden? Einen Kamelpsychologen befragen? Gott, warum riecht das hier so komisch? Lasst uns das Kamel zunächst mal parfümieren.

Das Bistum Essen hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, aus der Untersuchung ist ein Buch geworden, und schon im Titel wird spürbar, wie sehr das Denken sich um das Unsagbare herumbiegen muss, wenn man im Jahr 2018 weiterhin für einen antiken Aberglauben kämpfen will. "Kirchenaustritt – oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss" (Herder). All dem Räsonnement liegt die Annahme zugrunde, das Kamel mache nur gerade ein Nickerchen. Gut, dass immerhin noch Geld da ist, um eine Studie in Auftrag zu geben. Geld ist ja immer da, der Staat schafft es herbei in der Kirchenrepublik Deutschland, und wohltuend ist es, hier mal die klare Ansage zu finden, was den Kirchen am Massenxodus derart Angst macht: Geht es um die armen Seelen, die jetzt nicht in den Himmel kommen? Schnickschnack. Ungeachtet ihres weihrauchvernebelten Außenauftritts haben die Kirchen ja längst die Zeichen der Zeit erkannt. Selbstverständlich geht es: um Geld. Da wird erst mal ein bisschen rumgemaunzt, dass "die Frage der Mitgliedschaft so eng an die Frage der Finanzierung geknüpft ist" – eine Geld-Flatrate vom Staat wäre wohl schöner. Da kann jeder mitfühlen. Money for nothing, und die Oblaten for free, das wäre ja das reinste Paradies. Am Ende stünde dann eine Kirche mit nur noch einer Handvoll Popanzen, die ein bisschen in ihren leeren Kathedralen vor sich hin singen und den Rest der Zeit mit Vermögensverwaltung beschäftigt sind.

So aber muss man sich leider immer noch mit den Kunden der Kirche, den so genannt Gläubigen befassen, denn die Kirchenmitgliedschaft hat ja auch, wie es im Buch heißt, eine "finanzielle Dimension". Daher gibt es im Bistum Essen eine "Initiative für den Verbleib in der Kirche", diese aber habe "einen ungewöhnlichen, eher Ökonomie-logischen Ansatz", aber es gebe ja auch eine "starke Abhängigkeit des Bistums Essen von der Kirchensteuer als zentraler Einnahmequelle". Also wird hier, fernab der Himmelschöre, einmal vorgerechnet, was eine zahlende Mitgliedschaft für das Bistum bedeutet. Pro abgeflatterter Seele ist es, vorsichtig gerechnet, jährlich ein "Betrag von mindestens 500 Euro, der dem Bistum nachhaltig fehlt." Und da die Lust am Zahlenspiel erst mal geweckt ist, die Angstlust am Untergang natürlich auch, so lässt man in einem Beispiel einen 30-Jährigen austreten, addiert dann und verzinst über Jahrzehnte "bis zu dessen Ruhestand", so "entsteht gar ein Verlust von mindestens 27.500 Euro pro Austritt". Allein die 4.304 Austritte des Jahres 2016 im Bistum Essen werden, nach einiger gottgefälliger Rumrechnerei, bis zum Jahr 2026 einen Verlust von mehr als 26 Millionen Euro bedeuten. Für solch ein treuloses Volk hat sich der Heiland nun also ans Kreuz schlagen lassen!

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Es gilt also, den Money Drain zu stoppen, und zu diesem Zweck ist die vorliegende Studie geschrieben worden. Aufgabenstellung: Wie kann man Austritte verhindern und ausgetretene Schäfchen zurückholen, solvente Kunden bitte zuerst? Zunächst gibt es eine Meta-Studie über die bislang übersichtliche Forschung zum Thema. Warum die Leute auszutreten wagen, hat wohl bislang nicht wirklich interessiert. Ähnlich wie die Banken sich immer auf den Staat mit seinem prallen Steuersäckel verlassen können, so haben sich wohl die Kirchen stets auf Hilfe von oben vertraut. Mit Gott an seiner Seite kann man ja praktisch nicht verlieren. Die Metastudie über die bisherigen Erhebungen ächzt sich durch verschiedene kirchenrelevante Themenfelder hindurch und fördert dabei wenig Überraschendes zu Tage, inhaltlich schon mal kaum: "Je enger die Kirchenbindung, desto wahrscheinlicher ist die Teilnahme am Gottesdienst". Aber auch sprachlich gerät man immer wieder in diesen bekannten Nebel aus theologischer Wolkigkeit, welche eine Ahnung vom Himmelreich aufkommen lässt: So werden zu Abschluss des Kapitels "schemenhafte Schlaglichter" geworfen auf sechzehn Bereiche, in denen die Kirche an sich arbeiten sollte. Das liest sich dann in seiner Mischung aus pastoralem Geblubber, pseudoakkuratem Wissenschaftsdeutsch und modernem Marketingsprech oft ziemlich komisch: "Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine gemeinschaftliche, familienorientierte und doch individuelle Kirche", "Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine Mutter Teresa", "Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine biographie- und milieuorientierte Dienstleisterin".

Eine "Kunstturnerin" ist diese Kirche übrigens auch: "Sie muss den Spagat schaffen zwischen Biographieorientierung und Tradition, Multioptionalismus und Konservatismus, gesellschaftszentrierter Immanenz und theozentrischer Transzendenz. Solche aporetischen Paradoxien müssen wahrgenommen und produktiv in ein kirchliches pluralitätsfähiges Selbstverständnis integriert werden." Sie sprechen, mal wieder, in Zungen. Whatever. Noch was? Ach ja, "Marketing-Champion": "Das gegenwartsbezogene Image der Kirche ist durch Skandale und lehramtliche Stellungnahmen zu Sexualität etc. negativ belastet. Retrospektiv lastet die Gewaltgeschichte des Christentums auf ihren Schultern. Für eine Stärkung bzw. Ermöglichung einer emotionalen Kirchenbindung bedarf es daher einer strategischen Positionierung. Selbst eine hohe Mitgliederzufriedenheit kommt ohne ein entsprechendes Gesamtimage nicht aus. 'Katholisch' muss sich verkaufen können. Sehr hübsch zu lesen ist auch der Unterpunkt 13, in dem die Kirche "eine Meisterin moderner Glaubenskommunikation ist". Das dort dann Ausgeführte legt den Verdacht nahe, dass "Glaubenskommunikation" eben in erster Linie darauf angelegt ist, die Leute in Ohnmacht zu schwurbeln. Zitat: "Eine lebensweltbezogene und pluralitätsfähige Glaubenskommunikation in den kirchlichen Binnenraum hinein und darüber hinaus in die Gesamtgesellschaft gibt der religiösen Diversität aber einen Sitz im Leben der Kirche. Die kirchlichen Grundvollzüge sind davon durchwirkt."

"Sexualität etc.", "durchwirkt", "theozentrische Transzendenz" – solche Dinge stehen in einem Buch, das sich darum bemüht, dem toten Kamel des Götterglaubens irgendwie Anschluss ans Heute zu verschaffen. Hat der ganze Qualm sich gesenkt und hat man beim Lesen zu Ende gekichert, so bleibt doch die entscheidende Frage im Raum: Katholisch muss sich verkaufen können – aber wie? Um hier einer Antwort näher zu kommen, hat das Bistum Essen eine neue, eigene Studie in Auftrag gegeben. Mit Hilfe persönlicher Auskünfte war der Frage nachzugehen: Warum treten die Leute eigentlich aus? Und wie können wir sie also daran hindern?

Top-Nennung ist dabei die Kirchensteuer, kein Wunder bei den Summen, die da fließen. Aber da die ja ein chronisches, doch nie akutes Ärgernis ist, sind die Auslöser für den Kirchenaustritt oft andere Dinge. Etwa wird ausgetreten, weil "die katholische Kirche den Anschluss an die moderne Welt verpasst hat", bzw. "weltanschaulich 2000 Jahre zurück geblieben ist", weil "sie zum Teil mittelalterliche Positionen vertritt: Frauen, Homosexualität uvam.", weil "ich nicht an Gott glaube und die politische Agenda des Vatikans missbillige", weil "ich die von patriarchalischen Narzissten dominierte römische Kurie ablehne", weil "ich zu der Auffassung gekommen bin, dass der Hauptzweck der Kirche ein Selbstzweck ist, nämlich Reichtum und Prunk". Die freiwillige Teilnahme an der Umfrage löst hier und dort nachhaltig die Zunge: "Ihr seid milliardenschwer, hockt auf goldenen Bischofsstühlen und schließt Kindergärten. Ihr seid Sozialschmarotzer! Fett und unbeweglich... Von den ganzen Pädophilen wollen wir gar nicht reden."

Das ist so ungefähr die Richtung, in die es bei dieser Studie geht: Weltfremd und unglaubwürdig sei die Kirche, einen Gott gebe es nicht, und wenn, dann finde man ihn sicher besser anderswo als im offiziellen Katholizismus. So tönt der Chor der Ausgetretenen, natürlich ein wenig verzerrt: Die Teilnahme an der Umfrage war freiwillig und dürfte eher diejenigen angezogen haben, die eine Wut und Enttäuschung in sich spüren. Dass das nur ein paar Hundert von jährlich Tausenden waren, die meist einfach so, schweigend, achselzuckend, dem Essener Bistum den Rücken kehren, wie man ein totes Kamel eben liegenlässt in der Wüste, da es wichtigere Dinge zu tun gibt, sei nur am Rande bemerkt. Wirklich bemerkenswert ist, mit welcher Offenheit das Bistum seine Schlüsse zieht. Macht man sich Sorgen um die vielen Seelen, die nun nicht im Himmel ankommen? Wird der Ruhrpott bei den Vollversammlungen der Engel peinlich unterrepräsentiert sein? Rücken die letzten Tage heran?

Aber nicht doch. Darin dann doch ganz modern, folgt man hier ja ökonomischer Logik. Vor der Kirche und ihrer Kasse sind eben nicht alle gleich, und noch viel weniger ist der verlorene Sohn ein besonders erwünschter Gast: "Angesichts des Aufwands, den es bedeutet, Ausgetretene wieder für die Kirche zu gewinnen, liegt es nahe, sich auf die Menschen zu konzentrieren, die noch in der Kirche sind." Dieses Konzept scheint mit der Führungsetage im Himmel abgesprochen zu sein scheint, denn weiter heißt es: "Unbeschadet des Heilsangebots Gottes an alle Menschen scheint es aus ökonomischer Perspektive günstiger, Menschen in der Kirche zu halten als Menschen wieder für diese zu gewinnen."

Aus dieser Erkenntnis ergeben sich verschiedene Handlungsoptionen, die die Heilsangebots-Anbieter nun durchspielen. Ran an die Moneten, ehe sie türmen! Zur optimierten Kundenbindung wird die Einrichtung einer Beschwerdestelle empfohlen, eine "neue Beachtung" von Kasualien oder Festtagsgottesdiensten: "Solche punktuellen, in der Regel affektiv wirksamen Erfahrungen mit Kirche können ein ausschlaggebender Punkt im Kosten-Nutzen-Kalkül der Menschen sein, also dazu führen, in der Kirche zu verbleiben." Weitere Mittel wären dann "niedrigschwellige spirituelle Angebote (z.B. Nacht der Lichter, Orgelmeditation zu bestimmter Tageszeit)", zudem sollen die Vertreter der Kirchen gezielt an bestimmten Lebenspunkten auf die Leute zugehen – "Umzug in eine neue Stadt, die Betreuung des Kindes, die Einschulung des Kindes, etc.". An solchen biografischen Punkten sei "die Wahrscheinlichkeit groß", dass die "Betroffenen" offen seien für "echtes Interesse": "Ganz praktisch könnte dies bedeuten, dass katholische Neubürgerinnen und Neubürger ein Begrüßungspaket zum Einzug bekommen mit relevanten Informationen und Gutscheinen vom Bistum." Was zu den relevanten Informationen zählt, wird nicht ausgeführt, aber ein paar Seiten später stellt das Buch auf jeden Fall klar, dass etwa die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität "theologisch relevant" und "nicht beliebig verhandelbar" sei.

So weit, so innovativ. Gutscheine vom Bistum. Nacht der Lichter. Ein Umdenken hat begonnen! "Berührende Momente" zu schaffen ist für den Glauben nicht minder wichtig als für die RTL-Telenovela, um die Kunden zu halten: "Deshalb sind Maßnahmen zu entwickeln, die […] eine gute Service-Qualität garantieren, um die 'Performance' pastoralen Handelns an Lebenswenden zu erhöhen." Wobei manche Menschen hier bessere Chancen auf Zuwendung haben als andere: Aus "ökonomischer Logik" heraus ist nämlich "eine Konzentration auf gut gebildete und gut verdienende Frauen und Männer im Alter von 20-35 Jahren anzuraten." Das ist dann Kirche 2018, die neue, verstanden habende: Eher kommt ein gut verdienender, junger Mensch ins Himmelreich als irgendwer sonst. Allerdings sollte er nicht gleichzeitig so gut gebildet sein, dass er den ganzen Kirchenkrams für leicht durchschaubaren Humbug hält.