Erst psychotische Kandidatin, dann rigorose Justiz

Schweiz: Festnahmen wegen Freitodhilfe mit der Sarco-Kapsel

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"Sarco" bei einer Ausstellung
"Sarco"

Ende Juli scheiterte ein in der Schweiz geplanter Einsatz der Todeskapsel Sarco an einer schweren Persönlichkeitsstörung der angereisten Kandidatin. Die Amerikanerin hatte gegen die Sarco-Betreiber, den Verein The last resort (TLR), schwerste Verleumdungen in die Welt gesetzt – die inzwischen als Lügen entlarvt sind. Doch eine nunmehr gelungene Suizid-Premiere bringt die Sarco-Aktivisten in wirklich ernste Probleme: Die Schweizer Justiz schlug unerwartet hart zu und nahm mehrere Personen fest.

Zunächst war im Sommer eine Inbetriebnahme erwartet, dann verschoben worden. Wie gestern bekannt wurde, ist am Montag, dem 23. September der "Sarco" nun von einer anderen Suizidwilligen (ebenfalls aus den USA) erstmalig im Kanton Schaffhausen zum tödlichen Einsatz gekommen. Die Betreiber schildern, ihr Sterben sei wie vorgesehen friedlich, schnell und würdig verlaufen. Allerdings endete dieser Fall in einem regelrechten juristischen Showdown – mit Verhaftung mehrerer Personen vor Ort.

Dabei schien, dass es schlimmer nicht mehr hätte kommen können als mit der ersten Kandidatin – die dann nicht im Sarco, sondern mit medikamentöser Hilfe eines traditionellen Sterbehilfevereins den Tod fand.

Wie vermochte die erste Sarco-Kandidatin alle so zu täuschen?

Auf der FAQ-Internetseite von The last resort (TLR), der dafür eigens in der Schweiz gegründeten und verantwortlichen Organisation, steht als allerletzte Frage: "Warum hat das Team von The Last Resort den Zugang für die Amerikanerin zurückgezogen?" Die Antwort lautet kurz und bündig: "TLR zog den Zugang wegen der Bedenken über die psychische Gesundheit der Frau zurück, die sich in den zwei Wochen vor ihrer geplanten Verwendung des Sarco merklich verschlechterte."

Gibt es "Abrechnungs-Suizide", denen ein "extrem hohes Maß an Selbstdarstellungs- und Manipulationsbedürfnis" zugrunde liegt? Eine solche Persönlichkeitsstruktur hatte Thomas Fischer im Spiegel beschrieben. Diese scheint genau auf die Patientin (Pseudonym: Jessica Campbell) zuzutreffen, welche eigentlich als erste in der Suizidkapsel namens "Sarco" hätte sterben sollen – wozu es dann aber eben nicht kam. Von ihrem äußerst freundlichen Wesen mit gespielter Dankbarkeit hatten sich Verantwortlichen von TLR blenden lassen.

Charaktere mit einer sogenannten dissozialen Psychose vermögen – bis zum Zusammenfall ihres Lügengespinnstes oder auch dramatischen Endes – Menschen in ihrem Umfeld jeweils individuell undurchschaubar zu täuschen und gegeneinander auszuspielen. Ihre ausgeprägte Rachsucht kann auch posthum sogar (oder gerade) jene treffen, die ihnen wohlwollend und hilfsbereit begegnet sind: Diese – ihre Opfer – hätten es in ihrer Dummheit und Gutgläubigkeit eben nicht anders verdient – sie sind völlig gleichgültig gegenüber Verletzungen, Gefühlen und Rechten anderer.

Man könnte kommentieren: Ein Fall wie aus dem Psychiatrielehrbuch – oder auch einem Märchen der Brüder Grimm, nämlich dem von einem Schneider, seiner liebgewonnenen Ziege und seinen drei Söhnen, die diese nacheinander zu hüten hatten. Wir erinnern uns an das wiederholte, überschwänglich zufriedene "Bin so satt, mag mehr kein Blatt" der Ziege auf der saftigen Weide und dann abends im Stall "Ich sprang nur über Gräbelein und fand kein einzig Blättelein", um die Söhne vor dem Vater schwer zu beschuldigen. Dieser bleibt am Ende tief verzweifelt zurück, als er schließlich seine Ungerechtigkeit aufgrund der Boshaftigkeit des Tieres erkennen muss und seine braven Söhne für immer verjagt hatte.

Neue Züricher Zeitung zur Richtigstellung genötigt

Auch alle, die mit der ersten Kandidatin im Zusammenhang mit dem (nicht statt gefundenen) Sarco-Suizid zu tun hatten, erlitten durch ihre Lügen und Manipulationen teils schwere Beschädigungen: Mit innerer Erschütterung, Scham oder Wut über den eigenen Reinfall, Schuldzuweisungen an andere, Vertrauensverlust, angeschlagene Glaubwürdigkeit, Nötigung zur Rechtfertigung und Richtigstellung. Letzteres trifft vor allem auf die als renommiert geltende Neue Züricher Zeitung (NZZ) zu. Diese sah sich am 3. September zu einem bisher wohl einmalig ausführlichen "Korrigendum" genötigt, welches ihre Story über "Passagierin Nr. 1" betraf, die sie am 31. Juli verbreitet hatte. Darin war es um schwerste Vorwürfe der dort als Jessica Campbell bezeichneten Frau gegangen, die von einer geplanten Durchführung ihres Sarco-Suizids entweder selbst zurückgetreten oder durch die Betreiber kurzfristig ausgeschlossen worden ist. (Einzelheiten dazu liegen bis heute nicht vor.)

Zu Hintergrund und Vorgeschichte

Es begann mitten im Sommer am 17. Juli in Zürich mit einer medial begleiteten und öffentlichkeitswirksamen Vorstellung des nagelneuen "Sacro"-Modells, präsentiert von Fiona Stewart und Florian Willet, den Leiter*innen bzw. Führungspersonen von TLR. Diese versteht sich als Menschenrechtsorganisation für alternative Suizide ohne Medikamenten und ärztliche Assistenz (was von den etablierten Sterbehilfevereinen nicht unbedingt gern gesehen wird).

Schon bald nach dieser Präsentation kursierte vor allem in Schweizer, aber auch in deutschen und angelsächsischen Medien die Meldung von Schwierigkeiten, die das Vorhaben mit der bereits in der Schweiz eingetroffenen Kandidatin verzögern würden. Die Rede war von aufgetretenen rechtlichen Problemen mit einigen Kanton-Staatsanwaltschaften. Am letzten Tag im Juli, dem 31.7., veröffentlichte die NZZ dann die sensationelle Geschichte der besagten Jessica Campbell (Hinweis: Name geändert). Diese sei – sozusagen in höchster Not – am Ende völlig mittellos, von TDL ausgebeutet und tief enttäuscht mit Unterstützung einer anderen Organisation aus dem Leben geschieden. Dabei habe sie dort einen Brief mit schweren Beschuldigungen gegen die Leute von TLR und speziell gegen ihre Betreuerinnen hinterlassen. Später stellte sich heraus: es waren alles Lügen, Erfindungen und äußerst fragwürdige Darstellungen.

Die heftigen Vorwürfe der Suizidkandidatin

Die NZZ bleibt dabei, dass ihr ein Brief von dieser Frau vorliege. Ihre sich aus diesem ergebenen Aussagen wurden zum Beispiel so skizziert: Man habe gegen ihren Willen auf ihre Kosten ein Luxushotel für 1.000 Franken gebucht und sie sei auch sonst von The Last Resort finanziell ausgebeutet worden – dies sei begleitet gewesen mit der Äußerung "Du brauchst dein Geld sowieso nicht mehr"; sie wäre von Beginn zwecks Marketing-Förderung zu Öffentlichkeitsarbeit gedrängt und gegen ihren Willen von einem Kameramann begleitet worden – der habe von ihr als einer nicht gerade ansehnlichen (übergewichtigen und behinderten) Frau trotz Abwehr Nahaufnahmen gemacht hätte; bei einem Aufenthalt in Zermatt sei ihr nicht einmal zugestanden worden, trotz blutigem Husten einen Arzt oder eine Apotheke aufzusuchen.

Etliche Medien haben die im Brief geäußerten falschen Beschuldigungen dann aus dieser NZZ-Quelle übernommen.

Medienumgang von TLR mit den Beschuldigungen

Wie die NZZ am 3. September in ihrem Korrigendum (das heißt: offizielle Richtigstellung) ausführt, habe sie vor der Veröffentlichung der Vorwürfe – wie ja presserechtlich geboten – Willet und Stewart damit konfrontiert. Willet hätte zwar alles als bloße "Unterstellungen" abgewiesen und mitgeteilt, es gäbe Dokumente, welche "eine freundliche Interaktion zwischen unserer Interessentin und uns" belegen würden. Diese der NZZ vorzulegen, sei aber "selbstverständlich" nicht möglich. Erst nach der Publikation des Artikels wäre dann ein Umschwenken erfolgt und TLR habe zum Beispiel Zahlungsbelege einsichtig gemacht, welche etliche Aussagen der Suizidkandidatin als eindeutig falsch entlarven und sie als Person in Frage stellen.

Aber selbst nach ihrem unerklärlich plötzlichen Verschwinden wollten sich die beiden TLR-Vertrer*innen zunächst wohl immer noch nicht eingestehen, mit ihrem hinterlassenen Schreiben so hinterhältig und böswillig heimgesucht worden zu sein.

Dies zeigt ihr Interview mit der Zeitung Blick knapp zwei Wochen nach der NZZ-Veröffentlichung:

Willet: Ich kann die Person in diesem Brief nicht wiedererkennen. Wir waren uns so nahegekommen. … Sie hat mir ihre ganze Lebensgeschichte erzählt. Wir saßen am Zürichsee und hatten Tränen in den Augen. Ich mochte diese Frau sehr. Ich habe das Gefühl, dass diese Anschuldigungen von einer ganz anderen Person stammen als die, die ich kennengelernt habe.

Blick: Gab es Streit, als die Frau in der Schweiz war?
Stewart: Wir hatten ein ausgezeichnetes Verhältnis zu ihr. Bis sie verschwand und durch die Türen einer anderen Klinik ging Schweizer Slangausdruck für Sterbehilfeverein, G.N..

Blick: Wussten Sie damals davon?
Willet: Nein. Im Nachhinein wollen wir kein schlechtes Bild von dieser Frau zeichnen. Die Person, die wir kennengelernt haben, war ein sehr sympathischer, ein sehr freundlicher Mensch.

Nach Warnung mehrere Festnahmen – darunter von Willet

Folgende Meldung ereilte gestern den hpd nach Redaktionsschluss. Die Schweizer Nau media AG titelt am 25. September: "Sarco-Verantwortliche sitzen in Schaffhausen noch in Haft" und berichtet: Nach dem Einsatz der Todeskapsel Sarco in Merishausen (Kanton SH) wurden mehrere Personen festgenommen. "Verhaftet wurden am Montag unter anderem der Co-Präsident der Sterbehilfeorganisation The Last Resort, Florian Willet …" Die "Sarco-Verantwortlichen" befinden sich laut dem Schaffhauser Staatsanwalt Peter Sticher auch am Mittwoch noch nicht auf freiem Fuss. Dies habe er "auf Anfrage" mitgeteilt.

Der Stern stellt fest: Zuvor hatte besagte Staatsanwaltschaft bereits gewarnt, "dass jedem Betreiber der Kapsel, sollte er sie einsetzen, ein Strafverfahren drohen würde." Die Schweizer Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider habe erklärt: "Die Suizidkapsel Sarco ist nicht rechtskonform." Sie erfülle die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts nicht. "Sie darf daher nicht in Verkehr gebracht werden." Zudem sei die Verwendung von Stickstoff in der Kapsel nicht mit dem Chemikaliengesetz vereinbar. Werde Stickstoff nicht entsprechend den Vorschriften verwendet, seien die Kantone zuständig, so laut Tagesanzeiger Baume-Schneider weiter.

Laut Kleine Zeitung aus Österreich würden nun Strafverfahren wegen "Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord" eingeleitet, erklärte der zuständige Staatsanwalt. Sie berichtet: "Im Falle einer Verurteilung können Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Die Staatsanwaltschaft war von einem Anwalt informiert worden, dass die Kabine bei Merishausen eingesetzt worden war." Einsatzkräfte hätten daraufhin die Kapsel sichergestellt und die verstorbene Person wurde zur Obduktion ins Institut für Rechtsmedizin nach Zürich gebracht.

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