Umstrittene aktuelle Freitod-Dienste – Teil 2

Humanes Sterben ohne Assistenz – schöne neue Welt?

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Philip Nitschke (hinten rechts im Bild) bei einer Demonstration in Arnheim, Juni 2024
Philip Nitschke

Der Australier Dr. Philip Nitschke ist auch in traditionellen Sterbehilfe-Kreisen hoch umstritten. Von ihm unterstützt, wird ausgerechnet in Ländern mit liberalsten Voraussetzungen versucht, neue Suizidmethoden unbürokratisch und nahezu kostenfrei anzubieten: So wie eine "Letzte-Wille-Pille" durch die Senioreninitiative CLW in den Niederlanden – nun allerdings gerichtlich gestoppt. Zeitgleich wurde im Juli eine zum Suizid nutzbare Kapsel namens "Sarco" vorgestellt – durch die Initiative The Last Resort in Zürich, eines neu gegründeten "alternativen" Freitoddienstes.

Die Aktivisten der niederländischen Kooperative CLW ("Letzter Wille") verkündeten, auf legalem Gesetzgebungsweg weiterzukämpfen, nachdem im Juli gegen führende Köpfe ihrer Bewegung Bewährungsstrafen verhängt worden waren. Ihre Forderung bleibt wie bisher: "Baas over eigen sterven" (Baas=Boss; Übersetzung etwa: Herr sein über das eigene Sterben), siehe den Slogan auf ihren Transparenten. Zu den Demonstranten in Arnheim gehörte der Vorsitzenden der weltweit agierenden Vereinigung Exit International, Philip Nitschke (rechts im Bild). Nitschke zufolge muss das Recht auf einen selbstbestimmten Zeitpunkt zum friedlichen Tod für jedermann leicht und ohne Mitgliedschaft in einem entsprechenden Verein umsetzbar sein. In diesem Sinne fordern die niederländischen CLW-Aktivisten, für Sterbewillige ab dem Alter von 75 Jahren sollte ohne bürokratische Hürden ein – nicht medizinisches – "Mittel X" (Natriumazit zum Preis von etwa 50 Euro) bereitgestellt werden. Dies wäre nicht ärztlich verschreibungspflichtig und würde einen zuverlässigen und humanen Freitod bewirken.

Anfang Juli hatte das Gericht geurteilt, die Mitgliedervereinigung CLW habe zwar illegalen Handel mit dem Suizidmittel Natriumazid ermöglicht, dabei aber als deutlich strafmindernd erkannt: Das Ideal der Autonomie ("ideal of keeping the end of life in your own control") sei vordergründig gewesen – sie seien keine "Händler des Todes". Aber: Jos van Wijk als Vorstand hätte mehr dafür sorgen können und müssen, der unkontrollierten informellen Verbreitung von Natriumazit (mit beigefügter Gebrauchsanweisung) Einhalt zu gebieten.

Die schöne neue Welt des futuristischen Sarco

Der auch als "Dr. Tod" bezeichnete, seit Jahrzehnten als Sterbehilfeaktivist agierende Arzt Philip Nitschke machte weiterhin spektakulär auf sich aufmerksam, indem er am 17. Juli in Zürich bei der Präsentation der Suizidkapsel "Sarco" auftauchte, deren technischer Mitgestalter und ideengebender Mentor er ist.

In dieser Kapsel kann der Nutzer oder die Nutzerin halb schräg liegend Platz nehmen – die großzügigen Dach- und Seitenfenster erlauben unmittelbar vor dem Tod einen Blick in die Natur oder eine sonstige gewünschte Umgebung. Innerhalb des geschlossenen Behälters setzt die darin befindliche Person per Knopfdruck selbst einen zugesicherten friedlichen Sterbevorgang mittels Stickstoffhypoxie in Gang. Im Sacro erhöht sich dann im natürlichen Luftgemisch sehr rasch der Anteil von Stickstoff, einem völlig ungefährlichen und nicht giftigen sogenannten inerten Gas (ähnlich wie Helium) – was keinerlei Erstickungssymptom auslöst. Man verliert nach wenigen Atemzügen (nicht nur ohne jegliche Beschwernis, sondern unmerklich oder gar leicht euphorisiert) das Bewusstsein. Der Tod tritt innerhalb kurzer Zeit aufgrund des mangelnden Sauerstoffgehaltes der Luft ein.

Als "zugelassene" Benutzer gelten ungetrübt urteilsfähige Sterbewillige (plädiert wird inzwischen für den humanen Freitod ab 50 Jahren auch unabhängig vom Gesundheitszustand). Sie haben laut Nitschke vorher drei Fragen zu beantworten: Wer sind Sie? Wo sind Sie? Wissen Sie, was passiert, wenn Sie den Knopf drücken?

Extreme Entwicklungskosten für unentgeltliche Nutzung zum Freitod

Konzipiert und gestartet wurde das Projekt bereits 2012. Seither soll es umgerechnet über 600.000 Franken verschlungen haben – offenbar wohltätig finanziert durch sehr potente Geldgeber und in der Sache hochengagierte Mäzene. Für die Herstellung des Prototyps kam das 3D-Verfahren zum Einsatz, was auch die Nachfolgeproduktion erleichtern würde. Eigennützige Kostenerwägungen kann man Nitschke nicht unterstellen. Für die oben genannten "zugelassenen" Benutzer soll der Suizid im Sarco kostenfrei sein. Doch will der Sterbehilfeaktivist in seiner Mission, einen humanen und friedlichen Freitod für alle zu ermöglichen, offensichtlich noch weiter gehen. Der Stern berichtete: "Er träumt davon, ein System wie Sarco so weiterzuentwickeln, dass es mit einem 3D-Drucker hergestellt werden kann. Er hatte für das gleiche Verfahren bereits einen Suizid-Beutel entwickelt. Hier wurde der Stickstoff in eine Plastiktüte eingeleitet."

Die Verantwortung für die neue Freitodmethode soll der "Suiziddienst" The Last Resort haben, der eigens dafür in der Schweiz gegründet wurde. Die Organisation wäre für den Einsatz des Sarco zuständig – in seiner "Heimat", aber auch außerhalb des Landes. Bei dieser selbsternannten "jüngsten Schweizer Menschenrechtsorganisation" mit dem Ziel der Diversifizierung des humanen Sterbens soll Nitschke lediglich eine beratende Rolle spielen. Das Führungsteam von The Last Resort besteht aus seiner Lebenspartnerin Fiona Stewart (wie Nitschke aus Australien stammend) als Vorsitzende und dem Deutsch-Schweizer Florian Willet (47) als Vize. Willet war ehemals Pressesprecher der Sterbehilfeorganisation Dignitas – Menschenwürdig leben Menschenwürdig sterben, deren Prinzipien er in einem hpd-Beitrag noch in dieser Funktion zugrunde gelegt hatte. Nun ist auf der poppig aufgemachten Internetseite der von ihm als Co-Vorsitzendem vertretenen Initiative selbstbewusst zu lesen:

"Als Heimat der 3D-gedruckten Sarco-Kapsel bietet The Last Resort ein drogenfreies Mittel für einen elektiven, friedlichen und würdevollen Tod. Die Nutzung des Sarco ist für zugelassene Benutzer kostenlos. Ein guter Tod ist ein grundlegendes Menschenrecht. … Der Sarco markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Todes und des Sterbens. …"

Die Finanzierung soll durch Spenden, Vermächtnisse, Förderbeiträge erfolgen. Doch der Tod in der avantgardistischen Kapsel erhitzt auch in der diesbezüglich liberalen Schweiz die Gemüter und ruft Verbotsandrohungen auf den Plan.

Fragen zu rechtlicher Genehmigung und bleibende Bedenken

Trotz der Behauptung der Betreiber, gar keine Genehmigung zu benötigen, bleiben viele Fragen offen – zu rechtlichen Hindernissen, ethischen und medizinischen Bedenken. Dabei gehört in der Schweiz Suizid durch Freitodhilfe zur gesellschaftlichen Normalität (im Gegensatz zu Deutschland, wo sie jedoch ebenfalls erlaubt ist). Sterbehilfeorganisationen, wie etwa der mitgliederstärkste Verein EXIT in der Schweiz lehnen technologische Alternativen ab, die auf verschreibungspflichtige Medikamente wie Natrium-Pentobarbital verzichten beziehungsweise auf Infusionen mit dem Narkosemittel Thiopental.

Entgegen der Ankündigung konnte der Sacro in der Schweiz bisher nicht zum Einsatz kommen. Mitte Juli hätte eigentlich der erste Mensch mithilfe der Suizidkapsel medial begleitet aus dem Leben scheiden sollen. Doch platzte die Premiere aufgrund von Kritik am "Game Over" per Knopfdruck und staatsanwaltschaftlicher sowie behördlicher Gegenwehr in Kantonen wie Schaffhausen und Wallis. Zudem erhob die für die erste Anwendung des Sarco vorgesehene Dialysepatientin, eine US-Bürgerin namens Jessica Campell (55), Vorwürfe gegen die Betreiber – auch gegen ihre persönlichen Betreuer Fiona Stewart und Florian Willet.

In einem hinterlassenen und der NZZ vorliegenden Brief schreibt sie, ihre finanziellen Ressourcen seien für die Reise in die Schweiz und den äußerst kostspieligen Aufenthalt in einem Züricher Hotel völlig aufgebraucht worden. Hätte sie gewusst, welcher Medienstress aufgrund des Marketingrummels auf sie zukomme, wäre es nie zu ihrer Einwilligung für ein doch angeblich friedvolles Ende gekommen. In der NZZ, einer der renommiertesten Schweizer Zeitungen, wird die Befürchtung geäußert, die "Sarco-Show" gefährde gar die Errungenschaften der rechtlich abgesicherten und bewährten Praxis von menschlich begleiteten Suiziden.

Die mittellos gewordene und tief enttäuschte Jessica Campell ist zwischenzeitlich mithilfe einer traditionellen Sterbehilfeorganisation gestorben – die sich vor Ort kurzfristig ihrer angenommen hat.

Zu Teil 1 des Textes geht es hier.

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