Dignitas: Rückblick 2021 und Ausblick 2022

Suizidversuchsprävention weiterhin im Zentrum der Beratungstätigkeit

Zum Jahresbeginn wirft der Vereins Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben einen Blick zurück auf die Tätigkeiten 2021 und einen Ausblick auf die Planungen für das aktuelle Jahr. Auch 2022 will sich der Verein unvermindert für Suizidversuchsprävention sowie Lebensqualität bis zuletzt, Selbstbestimmung und echte Wahlfreiheit am Lebensende, verbunden mit Eigenverantwortung und Vorsorge, einsetzen – in der Schweiz und international.

Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben ist ein gemeinnützig tätiger Verein. Er stärkt Menschen darin, ihr Leben bezüglich Gesundheit und Lebensende selbstbestimmt zu gestalten und insbesondere über Art und Zeitpunkt ihres Lebensendes selbst zu entscheiden. Dies ist besonders für Länder von Bedeutung, in welchen bislang diese Freiheit fehlt. Im ergebnisoffenen Beratungsgespräch zu Suizidversuchsprävention, Patientenverfügung, Palliativmedizin und Freitodbegleitung bietet Dignitas seinen Mitgliedern, Angehörigen und weiteren Interessierten die dafür benötigten Entscheidungsgrundlagen. Das Dignitas-Team umfasst 34 Teilzeit-Mitarbeitende in der Beratung, Begleitung, Mitgliederadministration, im Rechnungswesen, in Recht, Politik und Kommunikation und in der Vereinsleitung. Der Verein wird durch externe, unabhängige Fachpersonen aus Medizin, Recht, Informatik und Treuhand unterstützt.

2021: Internationale juristische Arbeit und neues Rechtsverfahren in Frankreich

Dignitas führte auch 2021 sein internationales juristisches und politisches Engagement weiter. Dieses dient der internationalen Durchsetzung des vom Schweizerischen Bundesgericht 2006 und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2011 anerkannten Menschenrechts, über Art und Zeitpunkt seines Lebensendes selbst zu entscheiden.

Nachdem die juristische Arbeit der beiden Dignitas-Vereine in der Schweiz und in Deutschland am 26. Februar 2020 zur Nichtigerklärung des Verbots der professionellen Suizidhilfe durch das deutsche Bundesverfassungsgericht geführt hatte und in Österreich der Verfassungsgerichtshof im Urteil vom 11. Dezember 2020 zu einem von Dignitas initiierten Gerichtsverfahren das Blanko-Verbot der Suizidhilfe als verfassungswidrig erklärt hatte, ist Suizidhilfe nun in beiden Ländern legal. Jetzt geht es darum, dazu beizutragen, dass die beiden bemerkenswerten Urteile verfassungskonform umgesetzt werden und so die Bürgerinnen und Bürger das Recht auf Selbstbestimmung über ihr eigenes Lebensende in ihrem Land wahrnehmen können.

Dignitas-Deutschland hat nach der Aufhebung des Verbots die Strukturen für die Vorbereitung und Durchführung von Freitodbegleitungen etabliert und führt letztere auf der Basis der langjährigen praktischen Erfahrung des Schweizer Vereins in Zusammenarbeit mit deutschen Ärzten und einem Team von Mitarbeitenden durch. Daneben engagiert der Verein sich dafür, dass ein allfälliges künftiges Gesetz zur Suizidhilfe die wiedergewonnene Selbstbestimmung deutscher Bürgerinnen und Bürger über ihr eigenes Lebensende nicht unangemessen einschränkt.

Auch in Österreich bringt Dignitas seine langjährige Erfahrung in der Vorbereitung und Durchführung von Freitodbegleitungen sowie Suizidversuchsprävention, Vorsorge und Palliative Care ein. Wichtigstes Ziel ist es, dass Personen, welche die vom per 1. Januar 2022 in Kraft getretenen "Sterbeverfügungsgesetz" vorgegebenen Kriterien erfüllen, professionelle Unterstützung erhalten.

2021 ist Dignitas auch in Frankreich gerichtlich gegen das Suizidhilfeverbot vorgegangen. Am 22. September 2021 beantragte ein französischer Anwalt im Auftrag von Dignitas beim Conseil d’État (Staatsrat) die Aufhebung des Verbots des Medikaments Natrium-Pentobarbital, damit in Frankreich wohnhafte Personen künftig das Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende in ihrem eigenen Land in Anspruch nehmen können. Das Urteil wird in den nächsten Monaten erwartet. Im Rahmen seiner politischen Arbeit beteiligte sich Dignitas beratend und unterstützend an einer Reihe von Debatten zur Regelung von Selbstbestimmung über das eigene Lebensende, unter anderem im Vereinigten Königreich, in Jersey und in Schottland.

Die juristisch-politische Arbeit des Vereins (Gerichtsentscheide, Berichte, Stellungnahmen etc.) ist auf www.dignitas.ch dokumentiert.

Den Wunsch, Leiden und Leben selbst zu beenden, ernst nehmen

Die Suizidversuchsprävention ist Kern der umfassenden Beratungstätigkeit von Dignitas: Nur wenn ein Mensch in seinem Wunsch, sein Leiden und Leben aus welchen Gründen auch immer selbst zu beenden, ernst genommen wird, und ihm in einem ergebnisoffenen Gespräch mögliche Optionen und ein realer Notausgang aufgezeigt werden, kann verhindert werden, dass der Druck durch Aussichtslosigkeit und Verzweiflung steigt und er auf riskante Weise einen einsamen Suizid versucht.

Auch 2021 wandten sich täglich dutzende von Menschen aus dem In- und Ausland telefonisch oder schriftlich an den Verein. Rund ein Drittel der telefonischen Anfragen erfolgen durch Nicht-Mitglieder; diese erhalten eine kostenlose Erstberatung. Oft fehlen Hilfesuchenden die für eine Entscheidung notwendigen Informationen zu verschiedenen Optionen und Wegen zur Verbesserung ihrer Lebensqualität. Die Suizidhilfe ist nur ein Thema unter anderen. Beratungen rund um SARS-CoV-2 waren die Ausnahme, und es fanden keine Freitodbegleitungen infolge einer solchen Erkrankung statt.

Die Sicherheit, eine Wahl zu haben

Der Verein Dignitas finanziert seine Tätigkeit zu einem großen Teil durch Mitgliederbeiträge. Wer Mitglied wird, tut dies in der Regel nicht, weil er sterben möchte, sondern weil er die breitgefächerte Tätigkeit des Vereins unterstützen und die Sicherheit einer Wahl haben will. Auch 2021 nahm nur ein kleiner Anteil der Dignitas-Mitglieder – weniger als 3 Prozent – eine Freitodbegleitung in Anspruch: 212 Personen. In den letzten Jahren nahmen stets weniger als 50 Prozent aller Mitglieder, deren Gesuch um Freitodbegleitung vollständig und durch einen von Dignitas unabhängigen Schweizer Arzt gutgeheißen worden war, die Freitodbegleitung effektiv in Anspruch.

Die Beratung sowie die Vorbereitung und Durchführung von Freitodbegleitungen, insbesondere für Personen aus dem Ausland, sind sehr aufwändig. Die damit verbundenen Kosten können von den Mitgliedern nicht immer selbst getragen werden. Dignitas steht jedoch allen Personen unabhängig von ihrer finanziellen Lage offen und ermöglicht in solchen Fällen statutengemäß eine Reduktion von Beitragszahlungen oder auch deren vollständigen Erlass.

Dignitas legt großen Wert auf Qualität in allen Abläufen. Diese werden laufend überprüft und bei Bedarf angepasst. Nebst der in der Schweiz üblichen Prüfung jedes assistierten Suizids durch die Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit Polizei und Rechtsmedizin erfasst Dignitas Kritik und Lob zu jeder Freitodbegleitung mittels standardisierter Befragung der jeweils involvierten Personen und publiziert die entsprechenden Berichte.

Die Möglichkeit, professionelle Suizidhilfe zu beanspruchen, entspricht in den meisten modernen Ländern dem Wunsch einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. Gesetze, Rechtsprechung und die Praxis von Gesundheitseinrichtungen berücksichtigen dies bis heute oft nur unzureichend. Mit seiner Informations-, Aufklärungs- und Beratungsarbeit für Politik, Verwaltung, private Institutionen und Öffentlichkeit trägt Dignitas dazu bei, diesen Missstand zu beheben.

Das umfassende Know-How von Dignitas zu Suizidversuchsprävention, Sicherung der Lebensqualität und Selbstbestimmung bezüglich des eigenen Lebensendes wird international geschätzt und genutzt. Nebst der täglichen umfassenden und ergebnisoffenen Beratung von Hilfesuchenden stellt der Verein Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben seine Erfahrung aus über 20 Jahren internationaler Tätigkeit interessierten Kreisen im In- und Ausland in Form von Referaten, Präsentationen, Panelgesprächen, Empfang von Fachpersonen und Delegationen aus dem In- und Ausland etc. zur Verfügung.

Auch die Unterstützung von Fachartikeln, Reportagen und Dokumentarfilmen gehören zu diesem Engagement sowie die Beantwortung von unzähligen Anfragen von Schülern, Studierenden, Doktoranden, Forschenden, Medienschaffenden und weiteren interessierten Personen.

Ausblick 2022

Lebensqualität bis zuletzt, Selbstbestimmung und echte Wahlfreiheit, verbunden mit Eigenverantwortung und Vorsorge, sind Werte, die nicht selbstverständlich gegeben sind. Auch wenn in den letzten Jahren in einer Reihe von Ländern der assistierte Suizid und/oder die direkte aktive Sterbehilfe in einem bestimmten Rahmen möglich geworden sind oder dies schon bald der Fall sein wird: In zahlreichen Ländern nutzen religiös gebundene Moralisten, selbsternannte Experten und angebliche Lebensschützer jede Gelegenheit, den Bürgerinnen und Bürgern Menschenrechte, Patientenautonomie und Selbstbestimmung abzusprechen und die Macht der Kirche, der Medizin und der Politik über Fragen von Leben und Tod zu untermauern. Aus freiheitlicher Sicht ist es wichtig, nur dort zu regulieren, wo es für eine sichere Ausübung eines Rechts tatsächlich notwendig ist, und dafür zu sorgen, dass Gesetze nicht just jenes Recht einschränken, das zu gewähren sie vorgeben. Auch in der Schweiz müssen Grundfreiheiten und Menschenrechte immer wieder gegen konservative und bevormundende Kräfte verteidigt und durchgesetzt werden. Dignitas wird sich auch 2022 mit seinen über 20 Jahren Erfahrung und Expertise für die Durchsetzung und den Erhalt von Selbstbestimmung und echter Wahlfreiheit "in letzten Dingen", für die Suizidversuchsprävention und generell für ein menschenwürdiges Leben und Sterben engagieren.

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