OBERWESEL. (gbs) Nach den Haushaltsplänen der Bundesländer werden die beiden christlichen Großkirchen im laufenden Jahr erstmals mehr als eine halbe Milliarde Euro an Staatsleistungen erhalten. “Verrechnet man dies mit den Zahlungen, die seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 an die Kirchen geflossen sind, kommt man auf die stolze Summe von 16,8 Milliarden Euro an Staatsleistungen – und dies, obwohl die deutsche Verfassung schon seit 1919 die Ablösung dieser Leistungen verlangt”, erläutert der Kirchenfinanzexperte Carsten Frerk, Leiter der “Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland” (fowid) und Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS).
Es ist ein bemerkenswertes Phänomen: Parallel zur sinkenden Kirchenbindung der Bevölkerung steigen die Dotationen der Bundesländer für die Kirchen immer weiter an: 1970, als noch rund 93 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung Kirchenmitglieder waren, lagen die sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen bei 122 Millionen Euro. 1990, als die Kirchenmitgliederquote auf 73 Prozent gesunken war, zahlten die Bundesländer 267 Millionen Euro. Inzwischen sind die Staatsleistungen auf die bisherigen Rekordsummen von 499 Millionen Euro (2015) bzw. 510 Millionen Euro (2016) angewachsen, obwohl nur noch 59 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den Großkirchen angehören.
Carsten Frerk, der diese Zahlen am heutigen Montag in Berlin vorstellte, wies darauf hin, dass die Staatsleistungen nicht, wie vielfach unterstellt wird, zur Unterstützung konfessioneller Sozialdienstleistungen dienen, etwa von Kindergärten, Krankenhäusern oder Altenheimen, die auf anderem Wege öffentlich subventioniert werden, sondern zur Finanzierung innerkirchlicher Angelegenheiten, etwa der Gehälter katholischer und evangelischer Bischöfe, die – neben sonstigen Vergünstigungen – zwischen 10.000 und 13.000 Euro monatlich verdienen: “Außer in Bremen und Hamburg werden alle deutschen Steuerzahler, auch konfessionsfreie, jüdische oder muslimische Bürgerinnen und Bürger, zur Finanzierung innerkirchlicher Belange herangezogen. Begründet wird dies mit Enteignungen der Kirche im frühen 19. Jahrhundert. Allerdings waren die damaligen Entschädigungsvereinbarungen nur für einen eng begrenzten Zeitraum gedacht, keineswegs ‚für die Ewigkeit‘. Im Nachhinein ist es Kirchenvertretern jedoch gelungen, eine völlig andere Sichtweise im politischen Raum zu etablieren. Auf Basis dieser Geschichtsverfälschung wurden im 20. Jahrhundert verschiedene Staatskirchenverträge geschlossen, die seit 1949 viele Milliarden Euro in die Kirchenkassen gespült haben, obwohl diese Zahlungen laut Verfassung schon seit knapp 100 Jahren eingestellt sein sollten.”
Frerk zufolge ist die Ignoranz der deutschen Parlamentarier gegenüber dem eindeutigen Verfassungsauftrag der zeitnahen Ablösung der Staatsleistungen aus dem Jahr 1919 nicht zuletzt auf die enge personelle Verflechtung von Kirche und Staat in Deutschland zurückzuführen, die er in seinem unlängst erschienenen Buch “Kirchenrepublik Deutschland” aufgedeckt hat: “Die deutsche Politik wird seit Jahrzehnten von engagierten Kirchenmitgliedern bestimmt, die von Kirchenlobbyisten entsprechend beeinflusst wurden und werden. Aber das ist nicht der einzige Grund dafür, dass das Verfassungsgebot nun schon seit fast einem Jahrhundert ignoriert wird. Offenkundig gehen die wenigen Politiker, die sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen, davon aus, dass die Staatsleistungen nur durch Zahlung einer hohen Ablösesumme ausgesetzt werden könnten. Kirchenvertreter haben dafür immerhin das 24fache der derzeitigen Jahresleistungen gefordert. Das heißt: Die Kirchen verlangen heute sage und schreibe 12 Milliarden Euro für Enteignungen, die vor mehr als 200 Jahren stattgefunden haben. Ich halte dies für grotesk – vor allem, wenn man bedenkt wie vielen Menschen und Institutionen in den letzten beiden Jahrhunderten durch Krieg und Vertreibung die Existenzgrundlage geraubt wurde, ohne dass ihnen der Staat in vergleichbarer Weise mit ‘Staatsleistungen’ zur Seite gestanden hätte.”
Auch der Jurist Johann-Albrecht Haupt (Humanistische Union), der Frerk bei der Aufstellung der historischen Staatsleistungen unterstützt hat, meint, dass es nicht sein könne, “dass die hoch verschuldeten öffentlichen Hände weiterhin in verfassungswidriger Weise dreistellige Millionenbeträge an Kirchen zahlen, die selbst schuldenfrei, vermögend und zudem in der Lage sind, sich durch die von ihnen festzusetzende Kirchensteuer selbst zu finanzieren.” Zudem sei es illegitim, eine hohe Summe für die Ablösung der Staatsleistungen anzusetzen, da die jährlichen Zahlungen, die seit Inkrafttreten des Verfassungsgebotes erbracht wurden, als hinreichende Ablöseleistung gewertet werden müssten.
Der Vorstandssprechersprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, formuliert diesen Sachverhalt noch ein wenig schärfer: “Angesichts der Milliardenbeträge, die in den letzten Jahrzehnten verfassungswidrig vom Staat an die Kirchen geflossen sind, ist die Ablösesumme für die Staatsleistungen längst beglichen. Tatsächlich hat der Staat ein Vielfaches von dem gezahlt, was den Kirchen im Jahr 1919 zugestanden hätte. Die Vertreter der Kirchen sollten also froh sein, die übermäßig erbrachten staatlichen Leistungen nicht zurückzahlen zu müssen, statt weitere Milliarden an Steuergeldern zu verlangen. Wir fordern die deutschen Politikerinnen und Politiker auf, die Staatsleistungen an die Kirchen schnellstmöglich durch ein entsprechendes Rahmengesetz aufzuheben – und zwar ablösefrei! Alles andere wäre ein Verrat an den Prinzipien der Verfassung.” Kritikern, die meinen, der Staat müsse die Kirchen weiterhin für Territoriumsverluste vor 200 Jahren entschädigen, empfiehlt Schmidt-Salomon, “sich einmal bewusst machen, auf welchen Wegen die Kirchen dereinst zu ihren Besitztümern gelangt sind”: “Hätten die Kirchen die Opfer ihrer Kriminalgeschichte ähnlich großzügig entschädigt, wie sie selbst vom deutschen Staat entschädigt wurden, hätten sie längst Konkurs anmelden müssen.”
Weitere Informationen zum Thema “Staatsleistungen” finden Sie auf der Website: staatsleistungen.de.
17 Kommentare
Kommentare
linnfried am Permanenter Link
es drängt sich der verdacht auf, dass die vornehmste raison d'ètre der die C-parteien genau der reibungslose fluss dieser milliarden ist. auch die fürstlche entlohnung der bischöfe muss auf den tisch.
Michael Holz am Permanenter Link
Wenn das alles verfassungswidrig ist, laesst sich dann nicht auch verfassungsrechtlich dagegen vorgehen? Wenn das moeglich ist, wird so etwas von humanistischen Verbaenden auch angestrengt?
Rudolf Dieringer am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Holz, diese Fragen treiben mich auch schon längere Zeit um. Auch ich denke, dass die humanistischen Verbände - GBS, IBKA, HVD und wie alle heissen - da mal aktiv werden sollten.
Herrn Dr. Carsten Frerk möchte ich für seine Aufklärungsarbeit danken.
Pompeius am Permanenter Link
Das erste Problem bei einer Klage vor Gericht ist immer die Aktivlegitimation: Wer darf die Klage erheben.
Das ist in vielen Fällen recht einfach: Wenn jemand sein Rechnung bei mir nicht zahlt, klage ich. Wenn jemand ein Verbrechen an mir verübt, klagt die Staatsanwaltschaft.
Bei Verfassungsbeschwerden ist das schwieriger. Relativ einfach ist es, wenn ein Gesetz einem Element des Grundrechtskatalogs widerspricht, z.B. Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wenn dann etwa eine Frau sich durch eine Regelung diskriminiert sieht, kann sie klagen.
Man muss also zunächst mal Betroffenheit nachweisen. Männer können keine Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn Frauen diskriminiert werden.
Wenn es kein individuelles Grundrecht ist, ist die Verfassungsbeschwerde schwierig. So steht in der Verfassung auch der Schutz der Umwelt und die Förderung des Sports. Ich kann keine Verfassungsbeschwerde erheben, weil der Staat noch nicht auf die Idee gekommen ist, meine Lieblingssportart zu fördern oder meinen Lieblingssee zum Naturschutzgebiet zu machen.
Entsprechend schwierig ist es, in diesem Fall. Probieren kann mans natürlich.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"... werden die beiden christlichen Großkirchen im laufenden Jahr erstmals mehr als eine halbe Milliarde Euro an Staatsleistungen erhalten."
'Nur' eine halbe Milliarde?
Muss nochmals in seinem "Violettbuch Kirchenfinanzen" nachsehen, woraus ich sage und schreibe 19 Milliarden memoriere...
M. Kurtz am Permanenter Link
Guten Tag, Herr Trutnau! Sie haben natürlich recht. Die besagten rd.
Kay Krause am Permanenter Link
Danke für diesen Beitrag! Die Frechheit dieser "Glaubenskonzerne" ist wahrlich beispiellos.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Das Land kämpft mit der Krise und ihren Folgen. Aber Kirchensubventionen bleiben immer noch von notwendigen harten Sparmaßnahmen verschont.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Eine zeitlich unbegrenzte Bezahlung an die Katholische Kirche als Entschädigung für Enteignungen gibt es auch in Österreich.
Enteignet wurden ja großteils Immobilien. Wollte man die Verträge rückabwickeln, müsste man u.a. berücksichtigen: Wertentwicklung, Verpachtungseinnahmen, Verwaltungskosten, zwischenzeitliche Bebauungen, Umwidmungen, ...
Normalerweise hat jeder wirtschaftliche Vertrag eine Ausstiegsregelung oder ein natürliches Ende. Diese Verträge nicht. Das ist für beide Parteien höchst unbefriedigend.
Was das aber damit zu tun hat, dass die Kirche ohnehin schuldenfrei und vermögend ist, weiß ich nicht. Ich muss der Bank ja auch Kreditraten zurückzahlen, obwohl sie vermögend ist. Entscheidend ist nur die Gültigkeit des Vertrags. Und die erscheint mir, juristisch gesehen, mangelhaft. Eine saubere Lösung kenne ich aber auch nicht.
wolfgang am Permanenter Link
Geld stinkt nicht, nirgends!! Die Kirchen kassieren und der "liebe Gott" geht leer aus! Was für ein Glaube! Beten und kassieren müsste das Glaubensbekenntnis heißen.
Walter Röbber am Permanenter Link
Liebe Kirchen :Ihr sollt Euch nicht Schätze sammel auf Erden...Wann beachtet Ihr endlich Eure eigene Bibel?
Constantin Huber am Permanenter Link
Hierzu schreibt die Partei der Humanisten:
"Wir sind für einen laizistischen Staat und wollen sämtliche finanziellen, öffentlichen und rechtlichen Verflechtungen zwischen Staat und Kirche auflösen. Religion ist Privatsache und muss staatlich entsprechend behandelt werden.
Wir fordern die Kündigung der bestehenden Kirchenverträge und die Abschaffung der Kirchensteuer. Alle steuerlichen Vergünstigungen und Befreiungen müssen ersatzlos gestrichen werden, ebenso die auf historischen Rechtstiteln beruhenden erheblichen Zahlungen. Wir wollen die staatliche Finanzierung der Gehälter kirchlicher Würdenträger, die Bezahlung der Ausbildung von Religionslehrern und Theologen und die Übernahme von Baulasten beenden. Die eingesparten Steuergelder sind in bildenden und sozialen Einrichtungen besser aufgehoben. Vertreter weltanschaulicher Gemeinschaften haben in diversen öffentlichen Räten, Ausschüssen, Prüfstellen und Gremien keinen Platz.
Religiös-weltanschauliche Überzeugungen einzelner Gruppen dürfen nicht länger für alle anderen Bürger verbindlich gemacht werden. In diesem Sinne treten wir auch für eine Streichung des Gottesbezugs aus dem Grundgesetz und der Landesverfassungen ein. Besondere Privilegien, die die Gleichbehandlung vor dem Gesetz tangieren, wie der dritte Weg im Arbeitsrecht in kirchlich geführten Betrieben und das Beschneidungsgesetz, sind nicht zulässig."
pavlovic am Permanenter Link
also wir geben ihnen noch ein Jahr und dann fordern wir auch die Zurückzahlung der Beträge nach 1949 und zwar mit Zinseszins.
Florian am Permanenter Link
Ich als Christ, der übrigens eine Naturwissenschaft studiert, finde es gut das die Kirchen subventioniert werden, denn sie schaffen ein allgemeines Moralbild und stabilisieren die Gesellschaft.
WAndrea Diederich am Permanenter Link
Wers glaubt wird selig. Amen.
Andrea Diederich am Permanenter Link
Die hohen Staatsgelder für die Kirchen
sind ein Spiegelbid, für die skandalöse
Politik die seit Jahren betrieben wird .
Der Blick zu himmlischen Luftschlösser
behindert das gesunde Denken.
Andrea Diederich am Permanenter Link
Der Staat sollte die Knete lieber in
Schulbänke statt in Kirchenbänke
investieren. Doch Denken statt glauben
passt nicht zum Kapitalismus.
Denken statt glauben. Unvorstellbar!!!!